Revolution im Meer

Der Welthunger nach Fisch steigt, aber die Meere sind leer. Neue Farming-Technologien zu Wasser und zu Land sollen die Probleme der Aquakultur lösen und die Menschheit mit nachhaltigem Fisch versorgen.

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Von
  • Jens Lubbadeh
Inhaltsverzeichnis

Der Welthunger nach Fisch steigt, aber die Meere sind leer. Neue Farming-Technologien zu Wasser und zu Land sollen die Probleme der Aquakultur lösen und die Menschheit mit nachhaltigem Fisch versorgen.

Neil Sims sagt zur Begrüßung und zum Abschied "Aloha". Sims, groß und schlank, trägt Vollbart und Sonnenbrille und hat einen Schlapphut auf. Er steht auf dem Schoner "Machias", an dem ein Kugelkäfig mit einem Seil befestigt ist. Die Kugel mutet an, als wäre sie direkt aus einem Raumschiff gerollt und in den Ozean geplumpst. Hier in Hawaii hat Sims zum allerersten Mal Fische in einem mobilen Aquapod bis zur Schlachtreife herangezogen. Mit Erfolg: "Das Wachstum war phänomenal", sagt Sims voller Enthusiasmus. "Nach nur vier Monaten hatten sie ihr Schlachtgewicht erreicht. Wir vermuten, dass es daran gelegen haben könnte, dass sie mit der Strömung schwammen und dadurch Energie einsparten." Und: Fast alle Tiere überlebten. Die Käfige bestehen zwar nur aus einem Plastikgerüst, sind aber mit einem Gitter aus einer Kupfer-Nickel-Legierung umhüllt. "Die hat kein Hai geknackt."

Hergestellt werden die futuristischen Kugelkäfige von Ocean Farm Technologies. Wer nach Pioniertaten in der Meeresfischzucht sucht, landet schnell bei der Firma aus dem US-Bundesstaat Maine. 2008 baute sie zusammen mit Clifford Goudey, damals Leiter des MIT Sea Grant Offshore Aquaculture Engineering Center, den Prototyp eines ferngesteuerten Aquapods. Angetrieben von zwei Rotoren, schwebte der Käfig langsam durch das Meer vor Puerto Rico. Goudey saß an der Fernsteuerung und hielt den Käfig mithilfe von GPS auf dem richtigen Kurs.

Es blieb ein Prototyp, aber es war ein erster Schritt hin zur Vision einer sauberen Offshore-Aquakultur, die nicht mehr Ozeane und Umwelt belastet. Aquakultur, wie sie heute praktiziert wird, sieht normalerweise anders aus: vollgepferchte Käfigbatterien vor den Küsten, welche die Gewässer belasten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beherrscht eine Aqua-Unkultur den Weltmarkt.

Nun will Sims die Vision mobiler Fischfarmen endlich Wirklichkeit werden lassen. Die Kugelkäfige von Ocean Farm Technologies werden zwar bereits in Korea, Panama, Mexiko und den USA eingesetzt, allerdings fest verankert am Meeresboden. Bei einem Durchmesser von 8 bis 20 Metern können sie bis zu 60000 Fische fassen. Das "Time Magazine" kürte sie zu einer der besten Innovationen des Jahres 2012. Doch das reichte Sims nicht. Er will in ihnen Fische frei treibend aufziehen und damit fast unter natürlichen Lebensbedingungen. 2011 und 2012 hat er seine Idee im Velella-Projekt getestet, unter anderem gefördert von der National Science Foundation. Die Vorteile: Die Fische hatten ständig frisches Wasser und nahezu artgerechte Bedingungen.

Die Welt ist auf Nachschub aus den Farmen angewiesen: Zwei von drei Fischen, die auf unseren Tellern landen, stammen aus dem Meer, aber nur mit wenigen Arten gelingt die Zucht. Der Output der Fischerei stagniert seit etwa 20 Jahren, rund ein Drittel der Fischgründe sind überfischt. Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Bei dem derzeitigen Pro-Kopf-Verbrauch müssen bis 2030 für die dann geschätzten 8,3 Milliarden Erdbewohner zusätzliche 23 Millionen Tonnen Fisch her, hat die Welternährungsbehörde FAO errechnet. Ganze Forschungsinstitute arbeiten daran, wie der Bedarf zu befriedigen ist. Seit den 80er-Jahren treiben die USA die Entwicklung der Aquakultur vehement voran. Die europäische Union hat den 6,5 Milliarden Euro schweren Europäischen Meeres- und Fischereifonds aufgesetzt, mit dem von 2014 bis 2020 eine nachhaltige Fischerei und Aquakultur in Europa aufgebaut werden soll. Der Markt ist gigantisch: Die Aquakultur ist der am schnellsten wachsende Bereich der Lebensmittelindustrie. Die heutige Weltproduktion ist 100 Milliarden Dollar wert. Die große Herausforderung lautet: Wie kann man den Fisch nachhaltig produzieren?

Die Antwort: Entweder in großen Käfigen tief im Ozean, wie es Neil Sims tut. Oder in Hightech-Kreislaufanlagen tief im Landesinneren. Doch was auf den ersten Blick einfach klingt, ist eine riesige Herausforderung. Die Zucht von Meeresfischen ist kompliziert, weil die Tiere sehr empfindlich darauf reagieren, wenn das Wasser in dem sie schwimmen, von ihren Ausscheidungen verschmutzt wird.

Genau aus diesem Grund will Neil Sims die Fische dort halten, wo sie ohnehin leben: auf hoher See. Er seilte den Aquapod an ein Segelschiff, zog ihn hinaus aufs Meer und pumpte über eine Pipeline 2000 Jungfische der Stachelmakrele Seriola rivoliana hinein. Der Raubfisch schmeckt wie weißer Thun und wird für Sushi verwendet. Dann ließ Sims Schiff und Aquapod einfach vor sich hin treiben. Acht Monate lang. Hawaii war für den Test wie geschaffen, weil es vor den Inseln Ringströmungen gibt, die sogenannten Eddies, in denen Pod und Schiff nicht verloren gehen können. Per GPS überwachte Sims ständig die Position des Pods.