Revolution im Meer
Biologisch gesehen war Velella ein Erfolg. Aber Sims hatte mit technischen Problemen zu kämpfen: "Wir waren nicht in der Lage, den genauen Verlauf der Eddies vorherzusagen und wussten daher nie, wohin der Aquapod treiben würde." Zudem war die Datenübertragung via Satellit langsam, unzuverlässig und teuer. Aber das größte Problem waren die Zugkräfte auf den Pod. Sims nutzte im Velella-Projekt ein sehr kleines Exemplar von nur rund sechs Metern Durchmesser, nachdem ein anfänglicher Test mit zwei Acht-Meter-Pods im Tandem gescheitert war. Das Seil riss, die Kugelkäfige gingen verloren. Sims seufzt: "Ich fürchte, bei großen Käfigen wird man sich wohl ein anderes Design ausdenken müssen, wenn man sie frei treiben lassen will."
Also doch lieber Käfige fest verankern? Nicht überall sind die Bedingungen so gut wie vor Hawaii. Harter Wellengang, nicht vorhersagbare Strömungen und Hurrikane machen die Offshore-Fischzucht zu einem schwer kalkulierbaren Risiko. Schon die Anlagen sind kostspielig – der Preis des kleinsten Aquapods beträgt 25000 Dollar. Aber Fütterung, Überwachung und Wartung weit draußen im Ozean treiben die Betriebskosten dramatisch in die Höhe.
Bela Buck ist überzeugt, eine günstigere Alternative zu haben. Der Forscher vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven sieht eigentlich noch viel zu jung aus für einen Professor, vor allem, wenn er mit Sonnenbrille auf der Nordsee unterwegs ist. Und dort war der 44-Jährige in den letzten Jahren oft. Buck hatte eine zündende Idee: Warum nicht dort Fischfarming betreiben, wo es schon Infrastruktur gibt – nämlich in Offshore-Windparks. "Man könnte sich den Betrieb der Schiffe teilen", sagt er, "und dadurch eine Menge Geld sparen."
Buck zeigt eine Karte von der deutschen Nordsee auf seinem Laptop. "Die Nordsee ist schon ziemlich voll." Mit jedem Tastendruck füllt sie sich mehr mit farbigen Flächen und Linien: Militärgebiete, Naturschutzgebiete, Pipelines, Stromkabel, Bohrplattformen. "Es bleiben eigentlich nur Windparks übrig, wenn man dort Fische züchten will." Innerhalb der riesigen mehrbeinigen Fundamente der Windräder will Buck Fischkäfige installieren. Als Futter will er das nehmen, was die Betreiber aufwendig von den Sockeln entfernen und dann wegwerfen: Miesmuscheln, die sich überall anhaften. Buck plant sogar schon Spezialroboter, die diesen Job erledigen sollen.
Es wird aber noch ein paar Jahre dauern, bis er die erste Testanlage bauen kann. Die Parkbetreiber haben mit den harschen Bedingungen in der Nordsee so viel zu tun, dass sie sich nicht auch noch um Fischfarmen kümmern wollen. Zeigen muss sich zudem noch, welche Käfig-Bauweisen bis zu vier Meter Tidenhub, acht Meter hohe Wellen und Stürme überstehen werden. Informationen darüber sammelt Buck derzeit in Wellenkanal-Experimenten.
Verglichen mit der Nordsee geht es in der Inlands-Fischfarm der Firma Neomar in Völklingen so ruhig zu wie in einem Hallenbad. Die Firma hat das Meer einfach an Land geholt. Der Meeresbiologe Uwe Waller kam 2009 hierher, um die Anlage aufzubauen. Die Saarländer wagen damit etwas, woran schon einige gescheitert sind: Meeresfische in einer Salzwasser-Kreislaufanlage zu züchten. Entwickelt wurden solche Anlagen, in denen das gesamte Wasser vollständig wiederaufbereitet wird, für Süßwasserfischarten – vorwiegend Barsch, Lachs, Aal und Forelle. An die Zucht der viel empfindlicheren Meeresfische hatte sich bisher kaum jemand getraut. Doch wenn alles planmäßig läuft, werden Ende des Jahres in der Völklinger Anlage die ersten Wolfsbarsche, Störe und Doraden geerntet. Und das Hunderte von Kilometern von der Küste entfernt.
Waller, dünn, drahtig, beredt und enthusiastisch, ist ein alter Hase der deutschen Aquakultur. In Kiel hat er das Aquarium geleitet und bei Hannover gemeinsam mit Martin Sander eine Versuchsanlage zur Zucht von Wolfsbarschen konstruiert. Festen und schleunigen Schritts führt er zum Eingang der fußballfeldgroßen Halle, die von außen grau und unscheinbar wie ein gewöhnlicher Industriekomplex wirkt. Er betritt eine Schleuse, in der grüne Plastikoveralls hängen und weiße Gummistiefel herumstehen. Überzüge für die Schuhe sind Pflicht, ebenso wie Händewaschen und Desinfizieren. "Wir müssen vorsichtig sein", sagt Waller. "Wenn man einmal einen Krankheitserreger in der Anlage hat, war's das." Die Vorsicht ist berechtigt, denn anders als in vielen Aquakulturen weltweit werden in Völklingen keinerlei Antibiotika eingesetzt.
Im Inneren der Halle riecht es nach frischem Beton. Alles ist neu und unbenutzt. Ein wenig erinnert der Raum an ein riesiges Schwimmbad. In die vier 30 mal 30 Meter großen und 1,90 Meter tiefen Kunstteiche passen zehn Millionen Liter Wasser, etwa doppelt so viel wie in zwei große Schwimmbecken. Noch sind sie leer, aber schon bald wird in sie das selbst hergestellte Meerwasser mit den ersten Stören einströmen. In der Mitte ragt an einem Spiralkabel eine Sonde herunter, die dann permanent Sauerstoffgehalt, Temperatur und pH-Wert des Wassers überwachen wird.