Flut im Flöz

In Mitteleuropa gibt es kaum noch Flächen für neue Pumpspeicherwerke. Forscher entwickeln deshalb verblüffende Alternativen.

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In Mitteleuropa gibt es kaum noch Flächen für neue Pumpspeicherwerke. Forscher entwickeln deshalb verblüffende Alternativen.

Pumpspeicher in alten Bergwerken

Im Revier bahnt sich eine Revolution an: Fürchteten sich Bergarbeiter früher vor dem Absaufen ihrer Gruben, sollen die Stollen künftig gezielt unter Wasser gesetzt werden. Zwar geht die Ära des Kohleabbaus im Ruhrgebiet zu Ende; doch die Chancen steigen, dass die Zechen überleben werden: als untertägige Pumpspeicherkraftwerke (UPW).

Allerdings drängt die Zeit. Denn sobald keine Kohle mehr gefördert wird, verfallen die Schächte, eine Nachnutzung würde sich dann nicht mehr lohnen. Nach erfolgreichen Voruntersuchungen hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen daher 1,3 Millionen Euro für eine Machbarkeitsstudie bereitgestellt. Unter Federführung der Universität Duisburg-Essen (UDE) soll ein Konsortium aus Wissenschaft und Wirtschaft klären, ob und zu welchen Teilen sich die Zechen als Energiespeicher eignen. "Der Bergbau im Revier verfügt über eine hervorragend ausgebaute Grundeinrichtung unter Tage", sagt Projektkoordinator Professor André Niemann: "Mit unserem Projekt wollen wir möglichst viele Komponenten dieser Infrastruktur dauerhaft sichern."

Das Pumpspeicherkraftwerk im Revier hätte zwei Vorteile. Es würde für seinen Wasserkreislauf Räume nutzen, die größtenteils bereits vorhanden sind und überirdisch nicht stören. Aufgrund der großen Höhenunterschiede innerhalb des Schacht- und Streckensystems existieren für das Wasser des Kraftwerks zudem immense Fallhöhen. Bis zu 1000 Meter sind möglich, mehr als in den Alpen. "Das erlaubt uns, sowohl die zu speichernde Wassermenge als auch die Leistung der Generatoren klein zu halten", erläutert Niemann.

Die Leistung eines Pumpspeicherkraftwerks errechnet sich aus der Fallhöhe und dem Durchmesser der Fallrohre, also dem Volumen der herabstürzenden Wassermassen. Dabei gilt: Je tiefer das Wasser fällt, desto geringer der benötigte Rohrdurchmesser, um die gleiche Leistung zu erzielen. Beträgt die Fallhöhe statt 1000 nur 160 Meter – wie beim überirdischen Pumpspeicherkraftwerk nahe der Ruhrgebietsstadt Witten –, müssen die Planer den Durchmesser beispielsweise auf das 2,5-Fache vergrößern. Ähnliches gilt für die Dimensionierung der stromerzeugenden Aggregate.

Wie viel Energie das Pumpspeicherkraftwerk letztlich speichern kann, hängt vom Fassungsvermögen des oberen Speicherbeckens ab. Aus einem Wasservolumen von zwei Millionen Kubikmetern, wie es Experten für realistisch halten, ließen sich insgesamt rund 5,5 Gigawattstunden (GWh) Energie gewinnen. Damit könnte man mehr als 1500 Haushalte ein Jahr lang mit Elektrizität versorgen.

Bevor aber tatsächlich Strom fließt, müssen noch ein paar wichtige Fragen geklärt werden. Wie sieht das optimale Zusammenspiel der Rohre, Generatoren und Pumpen aus? Wie beeinflusst das Kraftwerk die Ökologie des Grundwassers? Gilt dabei Wasserrecht oder Bergrecht? Und spielt die Bevölkerung überhaupt mit? Mit einer Inbetriebnahme ist laut Niemann frühestens in zehn Jahren zu rechnen. Entscheidend für den Betrieb werden auch die Wirtschaftlichkeitsberechnungen sein. Im Erzbergwerk von Bad Grund im Harz wurde ein entsprechendes Projekt zuletzt auf Eis gelegt, weil sich kein Investor fand, der die 200 Millionen Euro für die Anfangsinvestitionen schultern wollte. Im Revier denkt man deshalb bereits über ergänzende Nutzungsmöglichkeiten des unterirdischen Pumpspeicherkraftwerks nach. "Vielleicht lässt sich noch zusätzlich Energie gewinnen durch die hohen Temperaturen, die in 1000 Meter Tiefe herrschen", sagt UDE-Geologe Ulrich Schreiber. "Dort unten ist prinzipiell so viel Wärme vorhanden, dass wir Teile des Ruhrgebiets damit beheizen können."

Schwimmende Tafelberge

Eduard Heindl, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Furtwangen, will Energie mit schwimmenden Tafelbergen speichern. Gibt es ein Überangebot an Strom, pressen elektrische Pumpen Wasser mit bis zu 200 Bar Druck unter gewaltige Granitzylinder, die sich daraufhin bis zu 500 Meter über die Umgebung erheben sollen. Benötigen die Netzbetreiber Strom, wird das Wasser abgelassen und treibt dabei Turbinen an. Ein Speicher mit einem Kilometer Durchmesser könnte laut Heindl 1700 GWh aufnehmen – so viel, wie in ganz Deutschland an einem Tag produziert wird. Derzeit klärt Heindls Konsortium die wirtschaftlichen und technischen Details.

Unterirdische Kolben

Auch die US-Firma Gravity Power will Energie mit Steinkolben speichern. Sie sollen aber nur einen Durchmesser von 30 bis 80 Metern haben und sich nicht über die Landschaft erheben, sondern in 500 Meter tiefen Schächten auf und ab steigen, getragen von 37 Bar Wasserdruck. Knapp zehn GWh lassen sich laut Gravity Power mit einer Anlage speichern, die nicht mehr Fläche als ein Fußballfeld beansprucht. Die Technik ist patentiert, nun werden Partner gesucht.

Der erste Standort soll in Deutschland liegen. Versenkbare Wannen Eine ähnliche Idee hat sich auch Gernot Kloss vom Kloss-Innovationsbüro patentieren lassen. Der Kolben besteht bei seinem Konzept allerdings nicht aus massivem Material, sondern aus einer schwimmenden Betonwanne von rund 100 Metern Durchmesser und 30 Metern Höhe. Wird ein Ventil geöffnet, strömt das Wasser nach oben in die Wanne und treibt dabei eine Turbine an. Gleichzeitig erhöht es das Gewicht des Kolbens und steigert dadurch den Wasserdruck. Ist die Wanne vollständig geflutet, wird sie mit überschüssigem Strom wieder leergepumpt, damit ein neuer Speicherzyklus beginnen kann. Laut Kloss lassen sich seine Speicher leichter bauen und warten als solche mit massivem Kolben. Zudem haben sie – im Verhältnis zur Größe – ein größeres Speichervolumen.

Betonkugeln am Meeresgrund

Ein Konsortium um Hochtief setzt auf Beton-Hohlkugeln am Meeresgrund, die je nach Strombedarf geflutet oder leergepumpt werden. Der hohe Wasserdruck in der Tiefe erzeugt eine große Druckdifferenz zwischen Kugelinnerem und Umgebung. Deshalb kommt das System mit weniger Platz und entsprechend geringeren Eingriffen in die Natur aus als herkömmliche Pumpspeicher. Eine 30 Meter große Kugel in 700 Metern Tiefe könnte 20 Megawattstunden speichern. Noch in diesem Jahr soll ein drei bis sechs Meter großer Prototyp in einem süddeutschen See getestet werden.

Kanäle als Speicher

In den Schleusen der Schifffahrtskanäle wird ständig Wasser hin und her gepumpt – warum dies nicht als Energiespeicher nutzen? Dazu müssten lediglich die vorhandenen Pumpen umgerüstet werden. Forscher der Universität Lüneburg untersuchen am Beispiel des Elbe-Seitenkanals, inwieweit sich Wasserstraßen als Energiespeicher eignen. Schon ein Pegelunterschied von zehn Zentimetern auf einem 40 Kilometer langen Teilstück reicht zum Speichern von gut 13 Megawattstunden (MWh) Strom. Deutschlandweit wären es etwa 0,4 GWh.

Druckluftspeicher

Es muss nicht immer Wasser sein – auch Luft ist ein gutes Speichermedium. Wird sie mit überschüssigem Strom in unterirdischen Kavernen komprimiert, kann sie beim Expandieren Turbinen antreiben. Weltweit existieren zwei Druckluft-Speicherkraftwerke – eines in den USA (knapp drei GWh), eines im niedersächsischen Huntorf (rund 700 MWh). Druckluftspeicher lassen sich auch dort bauen, wo es weder Berge noch Bergwerke gibt. Allerdings haben sie einen recht bescheidenen Wirkungsgrad von 40 bis 50 Prozent. Der Grund: Beim Expandieren wird die Luft so kalt, dass sie mit Gas aufgeheizt werden muss.

Sogenannte "adiabate" Speicher umgehen das Problem, indem sie die beim Komprimieren entstandene Wärme zwischenspeichern. In Sachsen-Anhalt baut der Energiekonzern RWE derzeit eine adiabate Testanlage namens "Adele" mit einer Kapazität von 360 MWh und einem Wirkungsgrad von 70 Prozent. Sie soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. (grh)