Strom gibt Gas

Vier Projekte zeigen, wie aus Windstrom speicherbares Gas wird – und wie vielseitig dieser Weg sein kann.

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Von
  • Jörn Iken

Vier Projekte zeigen, wie aus Windstrom speicherbares Gas wird – und wie vielseitig dieser Weg sein kann.

Der Landstrich an der Ems in Nordwestdeutschland ist geprägt von großen Tiermastbetrieben – Schweine und Geflügel, manchmal hunderttausend und mehr Tiere. Wer hier Bioenergie nutzen will, hat kurze Wege. Gleich hinter der Kleinstadt Werlte kommt das Hinweisschild "Biogasanlage". Neben den großen zylindrischen Fermentern fallen die Kräne und eine halb fertige Halle ins Auge. Der knöcheltiefe Schlamm und die Bagger sind der letzte Beweis: Neben der Biogasanlage wird in großem Stil gebaut.

Dass auf dem Gelände an einer Zukunftstechnologie gearbeitet wird, merkt man zwar nicht auf den ersten Blick. Aber neben der Halle blinkt Edelstahl – ein Gewirr von Rohren, Tanks und Gasflaschen, montiert zur größten Methanisierungsanlage der Welt. Und die Sicherheitsvorkehrungen gegen Werksspionage sind streng: "Fotografieren verboten", mahnt der Technische Betriebsleiter Dieter Jansen.

Wenn alles fertig ist, wird in Werlte Windstrom in Autokraftstoff umgewandelt – eines von mehreren Power-to-Gas-Konzepten (PtG). Die Ansätze unterscheiden sich im Endprodukt – Methan oder Wasserstoff – sowie im Einsatz von CO2. Allen gemeinsam ist: Sie verwandeln überschüssigen Wind- und Solarstrom in ein speicherbares Gas. 200 Terawattstunden könnten auf diesem Weg im bestehenden Gasnetz gespeichert werden.

Der Fabrikkomplex in Werlte besteht aus der weithin sichtbaren Biogasanlage und der weltweit ersten Großproduktion von Methan aus erneuerbaren Energiequellen. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt des regionalen Energieversorgers EWE, des Anlagenbauers SolarFuel und des Autokonzerns Audi.

Die Prozesskette der Gesamtanlage besteht aus drei Elementen: Der erste Schritt findet in der EWE-Biogasanlage statt. Sie verarbeitet im Jahr 110000 Tonnen Gülle und Lebensmittelabfälle. "Die Lieferungen kommen aus einem Umkreis von 150 Kilometern", sagt Betriebsleiter Jansen. Aus diesem Material produziert die Anlage Gas, das etwa zu zwei Dritteln aus energetisch nutzbarem Methan besteht. Den Rest stellt Kohlendioxid, das in weiteren Schritten ebenfalls in Methan umgewandelt wird.

Um das CO2 von dem Gemisch abzutrennen, strömt das Biogas zunächst durch Aktivkohle. An ihr lagert sich das Kohlendioxid an. Unterdruck saugt es ab und befördert es zur Methanisierungsanlage. Dort trifft das CO2 auf Wasserstoff, der zuvor per Elektrolyse aus Wasser gewonnen wurde. Beide Gase zusammen reagieren dann zu Methan. Der Prozess ist energieaufwendig – aber sauber, wenn der Strom dafür aus erneuerbaren Quellen stammt. Audi will das erzeugte Methan ins Erdgasnetz einspeisen und damit schon in diesem Jahr Erdgasautos betanken.

Ähnliches versucht auch ein Projekt in Emden an der Emsmündung – allerdings nicht mit Biogas, sondern mit Klärgas. Die 60000-Einwohner-Stadt ist einer der Anlandungspunkte für Strom aus Offshore-Windrädern. Hier ist eine 300-Kilo-watt-Pilotanlage geplant, die mithilfe von Windstrom Methan erzeugt. Projektpartner sind die Hochschule Emden, die Stadtwerke und die Entsorgungsbetriebe. "Wir verfolgen zwei Ziele", erläutert Sven Steinigeweg, Chemieprofessor an der Hochschule. "Wir wollen sehen, wie der Prozess verläuft und wie er sich mit dem elektrischen Netz verträgt. Außer-dem wollen wir die Kläranlagen an die Fluktu- ation von Windstrom anpassen." Steinigeweg geht es dabei vor allem um die Speicherung von erneuerbar erzeugtem Strom. "Wir wollen die Kläranlagen als Kurzzeitspeicher für Windstrom nutzen."

Auch diese Anlage stellt Wasserstoff mithilfe von Windstrom in einem Elektrolyseur her. Nach der Elektrolyse gehen die Emder jedoch einen anderen Weg als die Betreiber in Werlte: Sie setzen auf die Direktmethanisierung. Zwar ist auch Klärgas ein Gemisch aus etwa zwei Dritteln Methan, einem Drittel CO2 und geringen Mengen anderer Gase. Die Anlage in Emden aber spaltet das Kohlendioxid nicht vom Klärgas ab, sondern verwandelt das CO2 gemeinsam mit dem Wasserstoff aus der Elektrolyse direkt in Methan. So entsteht mittels Windstrom ein Gas, dessen Methangehalt zwar etwas unter der hochreinen Sorte des Audi-Verfahrens liegt – mit über 90 Prozent jedoch immer noch hoch genug ist für die Vermarktung als Energieträger.

Die aber wird vorerst nicht einfach. Durch die Direktmethanisierung spart man die Abspaltung des Kohlendioxids. Doch weil die zugehörigen Anlagen bisher deutlich kleiner sind als bei anderen Verfahren, sind die Herstellungskosten hoch.

In welcher Weise eine großtechnisch optimierte Direktmethanisierung die Kosten unter die der konventionellen Methanisierung drücken kann, ist für Steinigeweg noch offen. Der Preis spielt für ihn allerdings eine eher untergeordnete Rolle. "Mit Erdgas aus dem Boden können wir sowieso nicht konkurrieren. Der Speicheraspekt ist bei uns wichtig", unterstreicht er. "Das ist der Zusatznutzen." Aus dem gleichen Grund hält er auch den geringen Wirkungsgrad für vertretbar. Nur 30 Prozent des eingesetzten Stroms lassen sich am Ende aus dem Methan wieder zurückgewinnen.

Diese Einschätzung teilen jedoch längst nicht alle Experten. Denn als Speichermedium kommt auch Wasserstoff infrage. Weil das Gas äußerst energiereich ist, so die Argumentation, warum es dann aufwendig in Methan umwandeln? Von allen gängigen Treibstoffen hat Wasserstoff die höchste massebezogene Energiedichte, doppelt so viel wie Erdgas. Das senkt die Lagerkosten. "Für Wasserstoff gibt es momentan aber kein Netz", hält Ulrich Zuberbühler den Wasserstoff-Verfechtern entgegen. "Methan kann ich hingegen überall einspeisen", sagt der Projektleiter am Stuttgarter Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW).

Michael Wenske vom ostdeutschen Enertrag-Hybridkraftwerk ist anderer Meinung. "Wasserstoff ist ideal. Er ist speicher- und transportfähig", so der Ingenieur. Zwar kennt auch Wenske die Vorbehalte gegen das Knallgas: Es kann beispielsweise mit Sauerstoff explosionsartig reagieren. "Deshalb begrenzen technische Regeln den Wasserstoffanteil in wasserstoffhaltigen Gasen in einem Netz auf zwölf Prozent", sagt Wenske. Messreihen hätten aber ergeben, dass sich die Explosionshäufigkeit nur um den Faktor 1,3 erhöht, wenn der Wasserstoffanteil im Gas auf 20 Prozent steigt. Das hält Wenske für sicher genug, um das bestehende Erdgasnetz als Speicher zu benutzen.

Das Hybridkraftwerk von Enertrag in Prenz-lau stellt Wasserstoff gleich für eine dreifache Nutzung her: als Treibstoff für Brennstoffzellen, als Brennmaterial für Blockheizkraftwerke und als Speichermedium für überschüssigen Windstrom. Dafür betreibt Enertrag direkt am Standort drei Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 2,3 Megawatt. Den Wirkungsgrad des Hybridkraftwerks gibt Enertrag mit bis zu 65 Prozent an – wenn sowohl die Strom- als auch die Treibstoff- und Wärmeerzeugung einberechnet wird. Wasserstoff zu produzieren und ihn anschließend in eine Erdgasleitung einzuspeisen, soll sogar mit einem Wirkungsgrad von 80 Prozent möglich sein – durch die Methanisierung sinkt er hingegen auf 65 Prozent.

Die Diskussionen machen klar: Noch sind eine Reihe grundsätzlicher Fragen zu klären, bevor die Technologie im Großen Anwendung finden kann. Alle derzeitigen Projekte haben Pilotfunktion, sei es nun in Emden, Werlte oder Prenzlau. Auch in Stuttgart, wo das ZSW die nach wie vor größte derartige Anlage mit einer elektrischen Anschlussleistung von 250 Kilowatt betreibt, laufen lediglich Tests. "Das Ganze hat vorindustriellen Charakter", schätzt ZSW-Projektleiter Zuberbühler den aktuellen Entwicklungsstand ein.

Die Arbeit, die Anlagen für die großtechnische Anwendung auszulegen, läuft allerdings auf Hochtouren. Denn damit würden die Investitionskosten sinken, ist Hermann Pengg-Bührlen von Audi überzeugt. Und gerade sie sind derzeit das große Hemmnis der Power-to-Gas-Technologie. "Ihre Wirtschaftlichkeit hängt von den Investitionskosten ab. Der Wirkungsgrad ist einer der unwichtigsten Faktoren." (bsc)