Der Robotereinsatz in Fukushima: Shinji Kawatsuma im Interview

Am Rande des Roboterwettbewerbs Eurathlon sprach heise online mit Shinji Kawatsuma von der Japan Atomic Energy Agency (JAEA). Er leitete nach dem Reaktorunfall in Fukushima den Robotereinsatz.

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  • Hans-Arthur Marsiske

Shinji Kawatsuma von der japanischen Atomenergiebehörde JAEA.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Am Rande des Eurathlon, dem internationalen Wettbewerb für Rettungsroboter, hatte heise online Gelegenheit zum Gespräch mit Interview mit Shinji Kawatsuma von der Japan Atomic Energy Agency (JAEA). Er leitete nach dem Reaktorunfall in Fukushima den Robotereinsatz.

heise online: Herr Kawatsuma, nach dem Reaktorunfall in Fukushima gab es in Deutschland einige Verwunderung darüber, dass bei den Rettungsarbeiten zunächst keine Roboter eingesetzt wurden, obwohl sich gerade in Japan doch so viele Menschen für Roboter begeistern. Wo lagen die Schwierigkeiten?

Kawatsuma: Ich sehe in dem Zusammenhang zwei Probleme. Das eine betrifft die Robotertechnologie. In das Design der Roboter sind keine Erfahrungen von Rettungsübungen oder realen Einsätzen eingeflossen. Es gab kein Feedback von Rettungskräften, das aufgegriffen worden wäre. Das zweite Problem waren die fehlenden Rettungspläne. Nach dem Unfall von 1999 in der Brennelemente-Fabrik in Tokaimura wurde zwar beschlossen, Rettungsroboter zu entwickeln. Es gab Diskussionen, eine Organisation zu etablieren, aber keine Beschlüsse. Niemand war verantwortlich für die Wartung der Roboter, ihre genaue Spezifikation oder die Entwicklung eines Einsatzplans.

heise online: In Fukushima sind einige Roboter verlorengegangen. Sind sie durch die radioaktive Strahlung beschädigt worden?

Kawatsuma: Nein, ich denke nicht. Wir haben insgesamt vier Roboter verloren. In drei Fällen waren dafür Probleme mit der Kommunikation verantwortlich, ein weiterer Roboter hatte eine Fehlfunktion beim Antrieb. Das war der Flugroboter T-Hawk. Die Strahlung hat uns keine Schwierigkeiten bereitet, da wir uns in einem Bereich bewegten, wo die Intensität bei mehreren hundert Millisievert, vielleicht auch einigen Sievert pro Stunde lag. Wenn wir uns mehr dem Reaktorkern nähern, müssen wir mit mehreren Dutzend oder sogar tausend Sievert pro Stunde rechnen. Dann sind Maßnahmen gegen die Strahlung erforderlich.

heise online: Haben Sie vor, mit Robotern in diese stark verstrahlten Zonen vorzudringen?

Kawatsuma: Ja und nein. Es ist gut möglich, dass wir Fernhantierungstechnik in den Reaktorsicherheitsbehälter schaffen, aber sicherlich keine komplizierten Roboter. Wir müssen zunächst den teilweise geschmolzenen Kernbrennstoff entfernen, dann den Rest reinigen und entsorgen. Die Maschinen dafür sind vorhanden.

heise online: In Ihrem Vortrag haben Sie hervorgehoben, dass Roboter allein nicht ausreichen, sondern immer komplette Systeme erforderlich sind. Können Sie diese Lehren aus dem Fukushima-Unfall noch einmal für uns zusammenfassen?

Kawatsuma: Die erste Lehre lautet: Wir brauchen eine eigene Organisation, die sich auf solche Notfälle vorbereitet, indem sie die Anforderungen an die Roboter definiert und Einsatzpläne entwickelt. Vor dem Unfall in Fukushima gab es keine derartige Organisation, niemand war verantwortlich für Notfallmaßnahmen. Als zweite Lehre hat sich gezeigt, wie wichtig die Systemintegration ist. Der einzelne Roboter kann nützlich sein, doch er ist immer in ein komplettes System eingebunden. Diese Integration muss rechtzeitig erfolgen, in friedlichen Zeiten, ebenso das Training der Bediener. Und schließlich, das ist die dritte Lektion, sind Tests und Notfallübungen in realen Anlagen erforderlich. Die dabei gewonnen Erfahrungen können dann wieder zu verbesserten Rettungsprozeduren führen. Es geht dabei nicht um die einzelnen Roboter, sondern um funktionierende Gesamtlösungen.

heise online: In Ihrem Vortrag formulierten Sie auch eine Botschaft an die Entwickler von Robotern. Würden Sie die für uns noch einmal wiederholen?

Kawatsuma: Bitte denken Sie daran, dass am Ende der Bediener für den Einsatz des Roboters verantwortlich ist. Er sollte daher frühzeitig in die Entwicklung eingebunden sein. Und bieten Sie nicht nur Roboter an, sondern Robotersysteme, zu denen auch das Operator-Training gehört. Außerdem ist es wichtig, dass der Roboter schnell und ohne große Kosten durch den Bediener für den jeweiligen Einsatz optimiert werden kann. Es ist unmöglich, hunderte oder gar tausende von Robotern für alle denkbaren Situationen in Bereitschaft zu haben. Sie müssen vielmehr den jeweiligen Erfordernissen rasch und unkompliziert angepasst werden können.

heise online: Bei einem Reaktorunfall kommt es nicht nur darauf an, die Roboter gut bedienen zu können, sondern auch die kerntechnische Anlage gut zu kennen. In Deutschland trainieren daher die Mitarbeiter der verschiedenen Anlagen regelmäßig mit den Robotern.

Kawatsuma: Dem stimme ich zu. In einem Notfall ist es ungeheuer wichtig zu wissen, wo etwa Treppen sind oder wichtige Einrichtungen. Ohne diese Kenntnisse können selbst erfahrene Bediener leicht Fehler begehen und Roboter verlieren. Wir haben daher unsere Mitarbeiter zu den Nuklearanlagen geschickt, um sie so genau wie möglich kennenzulernen.

heise online: Wie ist gegenwärtig die Haltung der japanischen Bevölkerung gegenüber nuklearer Energie? Werden Sie sie weiterhin nutzen?

Kawatsuma: Unmittelbar nach dem Unfall waren viele Menschen strikt gegen Atomenergie. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, scheinen jedoch viele von ihnen zu akzeptieren, dass wir sie vorerst noch brauchen, bis wir alternative Energiequellen erschlossen haben. (axk)