Von Cablegate über Offshore-Leaks zur NSA-Affäre: Medien und Big Data

Gerard Ryle vom Internationalen Konsortium für investigative Journalisten plädierte auf einer Veranstaltung von iRights.Lab dafür, dass Medien intensiv kooperieren, um die von Whistleblowern enthüllten Informationen auszuwerten.

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Damit die von Whistleblowern in jüngster Zeit zusammengetragenen Datenschätze ausgewertet werden können, sollten Medienorgane intensiv kooperieren, meint Gerard Ryle, Direktor des Internationalen Konsortiums für investigative Journalisten (ICIJ). Das von ihm geführte Netzwerk habe in der Operation "Offshore-Leaks" 86 Journalisten aus 46 Ländern daran beteiligt, ein 260 Gigabyte umfassendes Archiv zu durchforsten. Als er das Material erhalten habe, sei ihm rasch klar geworden, dass es sich bei den Informationen über Steueroasen und ihre Nutznießer um eine "globale Geschichte" handle, die er allein nicht hätte stemmen können.

Er sei vor rund zwei Jahren, als ihn die Festplatte in einem Päckchen ereilte, noch Reporter bei einer australischen Zeitung gewesen, berichtete Ryle auf einer Veranstaltung von iRights.Lab und dem Vodafone Insitut in Berlin. Er habe festgestellt, "dass ich die Geschichte nicht von Australien aus machen konnte". Da habe es sich gut getroffen, dass ihn einer seiner früheren Professoren zu diesem Zeitpunkt für die freigewordene Leitungsstelle im ICIJ in den USA ins Gespräch gebracht habe. Dort habe er in rund anderthalb Jahren das Material zusammen mit Mitgliedern des Verbands sowie weiteren Partnern und speziellen Datenjournalisten aus der ganzen Welt aufbereitet.

"Prinzipiell sind die meisten investigativen Journalisten Einzelgänger", sagte Ryle. Wenn sie etwas in der Hinterhand hätten, sprächen sie in der Regel nicht einmal mit ihren Chefredakteuren darüber. Andernfalls wollten diese die Story am nächsten Tag im Blatt haben. Im Offshore-Fall sei aber allen Beteiligten bewusst geworden, "dass die Geschichte besser würde, wenn mehrere Leute daran mitarbeiten". Die Beteiligten hätten sich zunächst per E-Mails ausgetauscht, die mit PGP verschlüsselt wurden. Da dies auf Dauer vielen zu umständlich erschienen sei, habe das ICIJ ein passwortgeschütztes Online-Forum eingerichtet.

Das Konsortium, dessen Kern nur über ein kleines Team mit einer handvoll fest angestellter Mitarbeiter betrieben werde, wird vor allem von Stiftungen finanziert. Wichtigster Geldgeber in den vergangenen vier Jahren sei die niederländische Adessium Foundation gewesen, die sich nach eigenen Angaben für eine "ausgeglichene Gesellschaft" einsetzt. Für die Nutzung des Offshore-Materials wurden auch die beteiligten Medien um einen kleinen Obolus gebeten. Ziel sei es zudem, mehr institutionelle Mitglieder zu gewinnen, die 100.000 US-Dollar pro Jahr zahlen.

Mit dem Geld will das ICIJ laut Ryle versuchen, das "investigative Potenzial" in einer Zeit zu erhalten, in der Zeitungen und Rundfunksender angesichts sinkender Einnahmen ihr Personal zurückschrauben. Die Bedeutung eines Mediums hänge aber nicht von dessen Belegschaftsgröße ab. Die digitale Technik erlaube es Journalisten, schneller zu arbeiten und auch mit einer überschaubaren Truppe große Geschichten zu reißen. Berührungspunkte mit der Wirtschaft hat der Medienmanager nicht: Er könne sich durchaus vorstellen, dass eine Firma eine große investigative Story sponsere. In die Recherche hineinreden dürfe sie freilich nicht.

Ryle ist davon überzeugt, dass Whistleblower sich auch künftig vor allem an große, renommierte Medien oder dafür arbeitende Journalisten wenden. Auch Bradley Manning habe zunächst versucht, Kontakt etwa mit der Washington Post und der New York Times aufzunehmen. Da er dort immer nur auf Anrufbeantworter gestoßen sei, habe er seine Botschaftsdepeschen schließlich Julian Assange von Wikileaks anvertraut und so Cablegate lanciert.

Hierzulande machten es die Gesetze schwer, Whistleblowern eine Plattform zu geben, monierte der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen. Schon eine Online-"Dropbox" für brisante Dokumente einzurichten werfe rechtliche Fragen auf, wenn eine Medieninstitution in diesem Fall als Diensteanbieter mit erhöhter Haftung und verringertem Quellenschutz eingestuft werde. Der erste Versuch des ZDF, einen "Leak-Server" einzurichten, sei zudem unter einer fremden Domain gelaufen und daher nicht gut angenommen worden.

Intern hat der öffentlich-rechtliche Sender ein "Task-Force"-System aufgebaut, um die interne "Schwarmintelligenz" zusammenzubringen. Bislang seien solche Gruppen zu Themen wie Vogelgrippe, Doping und Terrorismus eingerichtet worden. Medienübergreifende Kooperationen etwa mit Verlagshäusern gestalteten sich nach wie vor im Wettbewerb um ähnliche Publikumskreise schwierig, obwohl längst "die Googles und Yahoos unsere eigentlichen Konkurrenten sind".

Auf den NDR, der hierzulande neben der Süddeutschen Zeitung als Kooperationspartner bei den Offshore-Leaks fungierte, sei er ein wenig neidisch gewesen, räumte der ZDF-Mann ein. Die PRISM-Story rund um die NSA-Affäre hätte der Sender aber wohl nur gebracht, wenn er die gesamten von Edward Snowden abgezogenen Dokumente hätte einsehen können. Einen großen Reputationsgewinn habe der Guardian als Hauptenthüllungsorgan nicht erzielen können. Ein echter Aufschrei der Bürger sei ausgeblieben, da sie sich gerade in Europa letztlich doch nicht ernsthaft von der massiven Netzschnüffelei des US-Geheimdienstes tangiert sähen. Beim ZDF seien die Einschaltquoten bei Reportagen zu dem Thema nicht sonderlich hoch. (anw)