Hessische Polizei hat seit März eine Million Kfz-Kennzeichen gescannt

Im Vorfeld der Verhandlung über Beschwerden gegen den verdachtslosen Abgleich von Nummernschildern mit polizeilichen Fahndungsdateien vor dem Bundesverfassungsgericht sind erste Zahlen zum Einsatz des Verfahrens in Hessen bekannt geworden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 425 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Im Vorfeld der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über Beschwerden gegen den verdachtslosen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit polizeilichen Fahndungsdateien sind erste Zahlen zum Einsatz des Verfahrens in Hessen bekannt geworden. Die hessische Polizei hat demnach seit März eine Million Nummernschilder mit ihren neuen automatischen Kennzeichenlesegeräten gescannt. Der automatische Abgleich mit Fahndungsdatenbanken soll dabei 300 Treffer ergeben haben, wie das hessische Innenministerium dem Nachrichtenmagazin Focus mitteilte. Zu etwa zwei Dritteln waren es die Fahrer von Autos ohne Haftpflichtschutz, die der Polizei ins Netz gingen. Als größeren Erfolg wertet das Innenministerium laut dem Bericht die Festnahme einer Einbrecher-Truppe.

Karlsruhe verhandelt am morgigen Dienstag über Klagen gegen das Kennzeichen-Scannen in Hessen und Schleswig-Holstein. Die dortigen Polizeigesetze  erlauben den dauerhaften Einsatz automatischer Kennzeichenlesegeräte. Die Beschwerdeführer rügen unter anderem einen Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung ahnungsloser Fahrer. Sie bemängeln, dass der Abgleich der Nummernschilder mit derzeit rund 2,8 Millionen zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugen ungezielt und ohne Anlass erfolge. Ein solches massenhaftes Stochern im Nebel behandele jeden Autofahrer wie einen potenziellen Straftäter und lege den Grundstein für einen immer umfangreicheren maschinellen Abgleich der Bevölkerung mit polizeilichen Datenbanken. Konkrete mit den Geräten erzielte Erfolge seien dagegen kaum zu vermelden. Vielmehr sei die Zahl gestohlener Kraftfahrzeuge, die einen Schwerpunkt auf den Fahndungslisten bilden, zwischen 1993 und 2006 auch ohne die spezielle Form der Rasterfahndung um 83 Prozent zurückgegangen. Im praktischen Einsatz seien zudem bis zu 40 Prozent der gemeldeten "Treffer" fehlerhaft.

Die Beschwerdeführer haben zudem kein Vertrauen, dass nicht doch schon in naher Zukunft die Bewegungsdaten aller Verkehrsteilnehmer aufgezeichnet und Bewegungsprofile erstellt werden. Sie monieren auch, dass nur wenig Transparenz darüber besteht, wer in den polizeilichen Fahndungsdateien gespeichert ist. Allein durch die Möglichkeit automatischer Verkehrsüberwachung wird nach Ansicht der Kläger "psychischer Druck erzeugt, der geeignet ist, die allgemeine Handlungs- und Bewegungsfreiheit zu beschränken". Erlaube man eine generelle, verdachtslose Kennzeichenüberwachung, dann würde der Überwachung der gesamten Bevölkerung durch permanenten Abgleich mit allein polizeilichen Fahndungsdateien der Weg eröffnet. Dieser könne sich dann etwa auch auf eine automatische Überprüfung aller Inhaber eingeschalteter Mobiltelefone, einer permanenten, kontaktlosen Fahndung anhand von RFID-Chips in mitgeführten Ausweispapieren oder einer generellen biometrischen Gesichtserkennung an jeder Straßenecke beziehen.

Hessen argumentiert dagegen, dass die Nummernschilder im Falle eines Nicht-Treffers nur für die Sekunden des Abgleichs gespeichert sind. Die Verteidigungsschrift (PDF-Datei) der schleswig-holsteinischen Regierung kommt pauschal zu dem Ergebnis, dass die Befugnis zum Scannen einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriff ins Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstelle. Sie verstoße weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen das Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit. Bayerns Polizei hat bereits eingeräumt, dass das automatische Kennzeichenlesesystem in einem besonderen Modus alle gescannten Nummernschilder für einen längeren Zeitraum speichern kann, zum Beispiel bei einer Ringalarmfahndung. Die bayerischen Fahnder soll allein zwischen Januar und Oktober 2006 rund 45 Millionen Kfz-Kennzeichen per Videoscan ausgelesen und überprüft haben. Dabei sei eine Trefferquote von drei Promille erzielt worden.

Neben den Klägern sieht auch der ADAC das Scannen weiter skeptisch. Der Leiter der Abteilung Verkehrsrecht des Automobilclubs, Michael Ludovisy, bezweifelt, "dass der Staat in solchem Maß Personen unter Generalverdacht stellen darf". Ihn stört besonders, dass die Kennzeichen heimlich gefilmt werden. Den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts soll im Vorfeld der Anhörung bereits besonders interessiert haben, ob auch Fahrer und Beifahrer auf den Fotos erkannt werden können, die von den Infrarotkameras geschossen werden. Die hessische Staatskanzlei sandte daraufhin zwei Originalaufnahmen nach Karlsruhe, auf denen Umrisse und Marke des Wagens erkennbar sind. Der Innenraum soll aber im Schatten liegen. Der Fahrer würde nicht identifiziert, wurde den Richtern beschwichtigend mitgeteilt.

Mindestens die Hälfte aller Innenminister lässt bereits Kennzeichen scannen oder hat die Voraussetzung dafür geschaffen: Dazu gehören neben den beklagten Ländern auch Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Baden-Württemberg will dafür 2008 das Polizeigesetz ändern. Die bereits eingesetzten Geräte sind in der Lage, pro Stunde mehrere tausend Fahrzeuge informationell abzugleichen. (Stefan Krempl) / (jk)