Hirn steuert Beinprothese

US-Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ein bionisches Bein ohne große Anstrengung steuern lässt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.

US-Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ein bionisches Bein ohne große Anstrengung steuern lässt.

US-Forscher haben ein Steuersystem entwickelt, mit dem Menschen, deren untere Extremitäten oberhalb des Knies amputiert wurde, eine mit Motoren ausgestattete Bein- und Fußprothese allein über Gedanken kontrollieren können. Das soll weitgehend natürlich und ohne große Anstrengung erfolgen, die Prothese quasi zum Teil des eigenen Körpers werden.

Der Ansatz von Levi Hargrove vom Rehabilitation Institute of Chicago (RIC) basiert auf Elektroden, die in der Prothesenschale sitzen, die an das vorhandene Restgewebe andockt. Dadurch lassen sich Muskelbewegungen des Oberschenkels aufzeichnen, die der Prothesenträger auslöst, wenn er daran denkt, seine Füße oder Unterschenkel zu bewegen. Ein Steuercomputer mit einer eigens entwickelten Software, die Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens nutzt, übernimmt die Auswertung.

Forscher Hargrove mit dem bionischen Bein.

(Bild: RIC/NWU)

Wie Wissenschaftler aus Hargroves Team bereits vor zwei Jahren nachweisen konnten, lässt sich aus den elektrischen Signalen der Muskelbewegungen des Oberschenkelns herauslesen, wenn ein Mensch daran denkt, beispielsweise seine Zehen, seine Füße oder einen Unterschenkel zu bewegen – und zwar auch dann, wenn das restliche Bein bereits amputiert wurde. Warum das so ist, ließ sich bislang nicht zweifelsfrei feststellen; möglicherweise dient die leichte Mitanspannung des Oberschenkelns dem Körper dazu, das Gehen oder Laufen zu stabilisieren.

Die RIC-Forscher konnten die Signale nun so aufbereiten, dass sich daraus ein Gehprothesensystem steuern ließ. Dazu nutzten sie ein bereits vorhandenes bionisches Bein, das Kollegen an der Vanderbilt University entwickelt haben, und erweiterten es um die Gedankensteuerung. Erster Proband ist Zac Vawter, dessen Bein nach einem Motorradunfall oberhalb des Knies amputiert werden musste. Die bisherigen Erfahrungen sind gut: Nach einer vergleichsweise kurzen Trainingsphase muss er sich gedanklich nun kaum mehr bemühen, um zu gehen oder sogar Treppen auf- und ab zu steigen.

Zac Vawters rechtes Bein trägt die Prothese. Vor der Anpassung wurden Nerven verlagert.

(Bild: RIC/NWU)

Noch ist unklar, wann die Technik kommerzialisiert werden kann. Annie Simon, Mitglied in Hargroves Team, sagte gegenüber Technology Review, dass es wohl noch mindestens drei bis fünf Jahre dauern werde, bis daran zu denken sei. Dabei soll das Verfahren für möglichst viele Menschen mit Amputationen angepasst werden. Für die aktuelle Studie mit Testperson Zav Vawter war vorab noch ein chirurgisches Verlegen von Nervenenden notwendig, um die Signalauswertung genauer zu machen; das soll künftig nicht mehr zwingende Voraussetzung sein.

"Unsere Vision ist es, dass Amputierte künftig einfach nur ihre neue Prothese anziehen müssen und eine kurze Trainingsphase durchlaufen, um ein bionisches Körperteil ohne große Anstrengung nutzen zu können", sagt Simon. Komplexe invasive Verfahren, bei denen Elektroden beispielsweise mit Nervenenden verbunden werden müssen, wären nicht nötig. Das Signal, dass Elektroden an Muskeln erfassen, reiche zur Steuerung aus.

Zac Vawter beim Gehtraining.

(Bild: RIC/NWU)

Das bionische Bein, das Hargrove und sein Team bei ihrer jüngsten Studie einsetzen, nennt sich "Powered Knee and Ankle System" und wird gerade von Freedom Innovations aus Kalifornien in Lizenz von der Vanderbilt University kommerzialisiert. Dabei handelt es sich um die erste vollständig motorisierte Beinprothese der Welt, die den menschlichen Gang und die Leistungsfähigkeit natürlicher Beine nachahmen kann.

In ihren Versuchen mit der Gedankensteuerung arbeiteten die Forscher auch daran, die Prothese möglichst sicher zu machen. Dabei ging es darum, die Fehlerrate zu reduzieren, so dass Verletzungen durch Fallunfälle vermieden werden. Während robotische Beinprothese der Standardbauart eine Fehlerrate von bis zu 12,9 Prozent aufweisen, konnte diese bei dem neuen Verfahren auf unter 2 Prozent gesenkt werden.

Freedom Innovations arbeitet derzeit daran, das "Powered Knee and Ankle System" leichter und kompakter zu machen. Es soll sich äußerlich möglichst wenig von herkömmlichen Prothesen unterscheiden. (bsc)