Das China-Syndrom

In Großbritannien baut ein französisches Konsortium zwei neue AKW – mit Hilfe chinesischer Experten. Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Russen.

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In Großbritannien baut ein französisches Konsortium zwei neue AKW – mit Hilfe chinesischer Experten. Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Russen.

Sie können das Wort „Energiewende“ nicht mehr hören? Sie kriegen Kopfschmerzen und Ohrensausen, wenn Ihnen der fünfunddreißigste Vorschlag für den Strommarkt der Zukunft um die Ohren geschlagen wird? Oder wenn Ihnen ein windiger Parteisoldat erklären will, dass Braunkohle eigentlich ein Teil der Energiewende ist?

Kopf hoch - oder wie die Briten sagen würden: Bewahren Sie eine steife Oberlippe. Uns geht es doch gut. Gegen den energiepolitischen Wahnsinn, der sich jenseits des Ärmelkanals grade ausbreitet, ist die deutsche Politik hochgradig rational und faktenzentriert.

Das glauben Sie nicht? Hierzulande kaum beachtet, hat die britische Regierung vergangene Woche einen bemerkenswerten Deal unterzeichnet. Der sichert die Finanzierung von zwei neuen Kernkraftwerken, die bei Hinkley, Sommerset, errichtet werden sollen. Und zwar, indem die Regierung für jede atomar erzeugte Kilowattstunde die Differenz zum aktuellen Börsenpreis bezahlt.

Wie, Sie dachten, Kernkraft ist doch so billig? Well, it depends. Aber der Reihe nach. Man kann es schon fast als Treppenwitz der Geschichte bezeichnen, dass der federführende Konzern, der die AKW errichtet und betreibt, aus Frankreich kommt. Weil auch das letzte britische Unternehmen sich vergangenes Jahr aus dem Vorhaben zurückgezogen hat, kommt die französische EDF zum Zug.

Die hat eine hübsche Online-Broschüre veröffentlicht, in der Interessierte nachlesen können, was kommt: Zwei Blöcke vom TYP EPR (European Pressurized Water Reactor) mit zusammen 3000 Megawatt Leistung. Kosten: rund 14 Milliarden Pfund. Start: voraussichtlich 2023.

Voraussichtlich. Der erste EPR Europas wird zur Zeit in Finnland gebaut. Das Kernkaraftwerk Olkiluoto 3, das mit einer zurzeit angekündigten Inbetriebnahme 2016 sieben Jahre hinter dem Zeitplan zurück liegt und mit geschätzten 6,6 Milliarden Euro rund doppelt so teuer ist wie ursprünglich geplant.

Wie auch immer. Das eigentlich innovative an Hinkley C ist die Finanzierung. Die britische Regierung garantiert der EDF nämlich einen Abnahmepreis von 92 Pfund pro Megawattstunde. Die Differenz zum Marktpreis - zur Zeit etwa 50 Pfund pro Megawattstunde - zahlt der britische Staat. Und zwar für volle 35 Jahre. Sollte der Markpreis über 92 Pfund klettern, muss EDF die Differenz zurückzahlen.

Welch ein Stück Glück für ein hart arbeitendes Unternehmen kann man da nur sagen. Das Beste aber kommt noch. Weil EDF das Geschäft nicht alleine stemmen kann oder will, hat man die China General Nuclear Power Group mit ins Boot geholt. Die ist zwar zunächst nur mit bis zu 40 Prozent beteiligt. Eine spätere Mehrheitsbeteiligung ist aber nicht ausgeschlossen. Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Russen. Die könnten doch die maroden britischen Werke zur Wiederaufarbeitung wieder in Schuss bringen...

Aber im Ernst, man kann davon ausgehen, dass die Chinesen die Chance, einen Fuß in die europäische Energieversorgung zu kriegen, sehr, sehr ernst nehmen. Aber die Art und Weise, wie in China der Ausbau der Atomkraft gemanagt wird, lässt doch - vorsichtig ausgedrückt - auf Unterschiede in der Sicherheitskultur schließen. Mal ganz abgesehen davon, dass Großbritannien da ein Stück seiner kritischen Infrastruktur für ein Unternehmen öffnet, das nach Ansicht paranoider Cyberkrieger direkt aus dem Reich des Bösen stammt. Ob das also wirklich eine gute Idee ist?

Genug gegruselt. Ich wollte damit nur sagen: So kann die Zukunft der Energie auch aussehen. Wer wird da über ein bisschen Erhöhung der EEG-Umlage noch meckern, gell?

(wst)