ARD und ZDF: Zurück ins Mittelalter?

Die Öffentlich-Rechtlichen sehen durch den Entwurf des neuen Rundfunkstaatsvertrags ihre Existenz gefährdet. Ganz so schlimm sei das nicht, kontert die private Konkurrenz. Im Tauziehen der Lobbyisten wird die Zukunft der Sender im Netz ermittelt.

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Zurück ins Mittelalter? Das, so fürchten ARD und ZDF, würde den öffentlich-rechtlichen Sendern passieren, sollte der neue Rundfunkstaatsvertrag in Form des aktuellen Entwurfs verabschiedet werden. Um die Ausgestaltung des neuen Vertrags tobt seit Monaten ein heftiger Streit zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie Verlegern und Medienpolitikern. Mit dem seit Ende März bekannten jüngsten Referentenentwurf für den neuen Rundfunkstaatsvertrag bekam die Debatte neue Nahrung. Stein des Anstoßes ist diesmal die im neuen Entwurf festgeschriebene Beschränkung der Online-Textangebote der öffentlich rechtlichen Sender auf "sendungsbezogene" Beiträge.

Die Öffentlich-Rechtlichen schreien Zeter und Mordio. Sie fürchten, von der Entwicklung abgekoppelt zu werden und den Anschluss an eines der Leitmedien der Zukunft – und damit die Jugend – zu verpassen. Durch den neuen Entwurf, klagt die ARD, würden den gebührenfinanzierten Sendern Textbeiträge weitgehend untersagt. Dem Gebührenzahler werde "die Chance genommen, sich nachhaltig und umfassend zu informieren", wenn zum Beispiel Dokumentationen nach sieben Tagen wieder aus dem Netz genommen werden müssten, sagt der ARD-Vorsitzende Fritz Raff. Der Mann des Ersten sieht seine Senderfamilie "ins medientechnische Mittelalter zurückgeschickt". Sein Mainzer Kollege Markus Schächter, Intendant des ZDF, sekundiert und stellt die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gleich ganz zur Disposition.

Dem öffentlich-rechtlichen Lamento steht nicht minder starke Meinungsmache von Seiten der Privatsender und der Verleger gegenüber. Die Unternehmen befürchten, dass ihnen ARD und ZDF mit üppigen Gebührengeldern zu viel Konkurrenz im Netz machen. Der Verband der privaten Rundfunkanbieter (VPRT) warnt vor einer "gebührenfinanzierten Marktverdrängung". Die Zeitschriftenverleger, die ihre wirtschaftliche Zukunft im Netz von ARD und ZDF bedrängt sehen, halten das öffentlich-rechtliche Wehklagen für überzogen. Schließlich erweitere der Entwurf den Online-Auftrag von ARD und ZDF hin zur sogenannten dritten Säule, indem er sendungsunabhängige Videos und Audiobeiträge erlaube. Nur bei den Textbeiträgen sollten sich ARD und ZDF künftig auf Sendungsbezogenes beschränken. "Öffentlich-rechtliche Presse ist online ebenso wenig nötig wie offline", meint Christoph Fiedler, Leiter Medienpolitik im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ).

Hintergrund des schon seit Monaten andauernden Lobby-Tauziehens um den neuen Rundfunkstaatsvertrag ist ein Verdikt aus Brüssel. Die EU-Kommission hatte die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen durchleuchtet und ein Missbrauchsverfahren wegen des Verdachts unrechtmäßiger staatlicher Beihilfen zwar eingestellt, das aber an einige Bedingungen geknüpft. Dazu gehörte, den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet genauer zu definieren und darauf zu achten, dass Gebührengelder auch im Netz nur auftragsgerecht ausgegeben werden. Um die Definition dieses Auftrages ringen nun die Autoren des Entwurfs für den neuen Rundfunkstaatsvertrag, immer unter den Argusaugen der Lobbyisten beider Seiten. An der Vehemenz der Debatte sind ARD und ZDF nicht ganz unschuldig: Trotz der Ansage aus Brüssel schmiedeten die Anstalten öffentlichkeitswirksam ihre Digitalpläne.

Mit einem kleinen Satz droht der Staatsvertrag den Öffentlich-Rechtlichen nun den Garaus zu machen – glauben zumindest die Sender. Laut Schächter heißt es in dem Entwurf: "Textbasierte Angebote (Lesemedien), die über die Anstaltspräsentation hinausgehen, sind nur sendungsbezogen zulässig". Erklärend heißt es dazu in Klammern – und unter Beifall der Verleger – "eine elektronische Presse findet nicht statt." Darüber hinaus sollen erlaubte Texte nach maximal sieben Tagen wieder verschwinden. Für die betroffenen Anstalten kommt das einem Todesurteil gleich. "Wenn wir uns im Internet nicht entfalten dürfen, dann ist das unser Ende”, sagt Peter Voß, der frühere Intendant des Südwestrundfunks. Sein Amtsnachfolger Peter Boudgoust: "Hier steht nicht weniger als unsere journalistische Kernaufgabe zur Disposition."

Doch die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF sind nur ein kleiner Teil dessen, was im Staatsvertrag festgelegt wird. Da geht es auch um das Verfahren, mit dem geprüft wird, ob neue Programmangebote mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag vereinbar sind. Hier verlangt die EU-Kommission eine verstärkte Überwachung der Auflagen durch externe Kontrollorgane. Doch dieser Forderung sind die deutschen Medienpolitiker bislang nicht nachgekommen. Sie setzen stattdessen weiterhin auf die bisherigen internen Gremien der Sender wie Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte, in denen etliche von ihnen selbst Sitz und Stimme haben.

Bis zu einer Entscheidung über den Entwurf – die Ministerpräsidenten beschäftigen sich voraussichtlich im Juni mit dem Staatsvertrag – werden beide Seiten noch kräftig trommeln. Der Platz der Öffentlich-Rechtlichen im Netz wird im Tauziehen der Lobbykräfte ermittelt. Unterdessen sollte der Zuschauer – ob er nun privat oder öffentlich-rechtlich einschaltet – in dieser Sache seinen Augen nicht immer trauen. Schließlich berichten hier die Betroffenen in eigener Sache, auch die Printmedien. Sie alle gerieren sich gerne als letzte Bastion des unbestechlichen Qualitätsjournalismus: Print als Bollwerk gegen beliebige Blogs, Öffentlich-Rechtlich gegen privates Unterschichtenfernsehen. Dass Qualitätsjournalismus nicht nur eine leere Floskel ist, könnten alle Beteiligten mit ihrer Berichterstattung in eigener Sache demonstrieren. Vielleicht ist das aber auch ein zu frommer Wunsch. (vbr)