Geplante "Vertiefung" des EU-Patentsystems kommt voran

Der Wettbewerbsrat hat einen "Fortschrittsbericht" der portugiesischen Ratspräsidentschaft zum Aufbau einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit angenommen, doch es gibt noch Streit um Kernfragen und Softwarepatentgegner sind besorgt.

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Der EU-Wettbewerbsrat hat auf seiner Sitzung am gestrigen Donnerstag in Brüssel einen "Fortschrittsbericht" (PDF-Datei) der portugiesischen Ratspräsidentschaft zum Aufbau einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit angenommen, doch es gibt noch Streit um einige Kernpunkte. Spanien etwa macht sich Sorgen, dass mit dem Vorstoß die Zentralisierung zu weit geht und in vielen Fällen Englisch de facto Verhandlungssprache würde. Vor allem Deutschland und Frankreich liegen sich derweil in der Frage in den Haaren, ob Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen in Patentauseinandersetzungen gemeinsam schon in erster Instanz behandelt werden sollen. Die Bundesregierung pocht hier auf das eigene Modell der Trennung dieser Verfahren. Auch der Zeitpunkt und die Form der Einbindung eines künftigen Gemeinschaftspatentes in das Prozedere sind noch umstritten.

Trotz der hauptsächlich an diesen Punkten verbleibenden harten Arbeit für die kommende slowenische Ratspräsidentschaft zeigten sich Brüsseler Vertreter zufrieden mit dem vorerst Erreichten. Der portugiesische Justizminister Joao Tiago Silveira sprach von bedeutsamen Schritten. Es gehe an allen Fronten voran, hieß es auch bei der für den Binnenmarkt zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission. Das bestehende "Flickwerk" bei der Patentgerichtsbarkeit sei teuer und schlecht, es müsse baldmöglichst abgestellt werden. Dabei sei nicht nur auf eine kostengünstigere EU-weite Durchsetzung von Patentansprüchen zu setzen. Vielmehr müsse auch eine Nichtigkeitsklärung an einem Ort für die ganze Gemeinschaft durchgeführt werden können. Natürlich sei daher vorher aber auf eine Zusatzausbildung von Richtern in Mitgliedstaaten, in denen bislang wenig Patentstreitigkeiten zu verzeichnen sind, zu achten. Für die EU-Gerichte müssten die besten Richter aus den Kammern der Gemeinschaft zusammengestellt werden.

Die Kommission befürwortet in dem heftig umkämpften Gebiet mit ihrer Mitteilung zur "Vertiefung" des Patentsystems vom April einen zweigeteilten Ansatz. So sollen einerseits umstrittene Vorarbeiten für ein Europäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten (EPLA) aus dem Europäischen Patentamt (EPA) beziehungsweise der Europäischen Patentorganisation, die hinter der weitgehend autonomen Münchner Behörde steht, für eine Zentralisierung der Rechtsprechung über die bisher vom EPA verteilten nationalen Bündelpatente teils aufgegriffen werden. Da die Kommission das EPLA an sich nach den Widerständen insbesondere Frankreichs als gescheitert betrachtet, soll der Ansatz ergänzt und in ein Mehrkammernsystem mit einer EU-weiten Gerichtsbarkeit über die geplanten "echten" Gemeinschaftspatente integriert werden.

Die Portugiesen haben in ihrem Arbeitspapier nun – größtenteils im Einklang mit den Vorschlägen der Kommission – unter anderem vorgeschlagen, die erste Instanz der neuen EU-Patentgerichtsbarkeit mit regionalen Einheiten sowie einer übergeordneten zentralen Abteilung einzurichten. Gemeinsam mit der zentralen zweiten Instanz sollen alle diese Ebenen eine einheitliche Gemeinschaftsrechtsprechung mit gemeinsamen Verfahrensvorgaben bilden.

Die Gerichte der ersten Stufe sollen dabei national in einzelnen Mitgliedsstaaten angesiedelt werden können, sodass dort auch in den jeweiligen Sprachen der Länder verhandelt werden könnte. Im Einvernehmen aller Parteien soll auch die Sprache des erteilten streitigen Patents gewählt werden dürfen. Nichtigkeitsklagen sollen gemäß dem Vorschlag von der Zentralabteilung erster Instanz gehört werden. Als Verhandlungssprache ist dort die Sprache des gewerblichen Schutzrechtes vorgesehen. Bei mündlichen Verhandlungen sollen auf Anfrage Übersetzer zur Verfügung stehen. Für das Berufungsgericht ist vorgesehen, in der Sprache des Verfahrens auf erster Instanz zu verhandeln. Abweichungen sollen gemeinsam vereinbart werden können.

Für die Verfahrensregeln beziehen sich die Portugiesen auf die Empfehlungen hochrangiger Richter nationaler Gerichte mit Patentschwerpunkten, welche diese vor einem Jahr in Venedig in der Debatte um das EPLA abgegeben hatten. Laut der Blaupause sollen Anhörungen bei dem Gericht nicht länger als einen Tag dauern und Entscheidungen spätestens drei Monate danach schriftlich vorliegen. Anträge auf dringende einstweilige Verfügungen können nach dem Papier von nationalen Gerichten dezentral bearbeitet werden. In der Resolution heißt es ferner, dass nur Rechtsanwälte Fälle vertreten sollen dürfen. Patentanwälte fürchten daher, dass sie aufgrund der aktuellen höchstgerichtlichen EU-Rechtsprechung damit faktisch gerade von Nichtigkeitsklagen ausgeschlossen werden sollen. Die französische Zunft hat daher prompt beschlossen, Patent- und Rechtsanwälte in einer Berufsgruppe zu verschmelzen.

Auch bei der Ratifizierung des Londoner Übereinkommens geben sich die Franzosen laut Beobachtern weiter intrigant. Der unter dem Dach des EPA getätigte Vorstoß besagt, dass die ausführlichen Patentbeschreibungen im Rahmen eines Antrags bei der Behörde nur noch in einer der drei Sprachen Englisch, Französisch oder Deutsch vorliegen müssen. Experten versprechen sich davon eine deutliche Vergünstigung europäischer Bündelpatente, da die Verdolmetschungen bislang einen Großteil der Kosten ausgemacht haben.

Die Regierung in Paris hat zwar Ende August ein Gesetz zur Ratifizierung des Vorhabens auf den Weg gebracht, das inzwischen beide Kammern des französischen Parlaments passiert hat und seit Mitte Oktober offiziell unterschrieben ist. Die Ratifizierungsurkunde liegt gut einen Monat später bei der Bundesregierung, bei der die Hinterlegung erfolgen muss, noch nicht vor. Dies hat Anlass zu Spekulationen gegeben, dass Paris mit einer Verzögerungstaktik Druck zur Durchsetzung seiner Vorstellungen zur EU-Patentreform nebst Betonung des späteren Gemeinschaftspatents ausüben will. Beim federführenden Bundesjustizministerium spricht man dagegen von der normalen langen Dauer derartiger Vorgänge.

Softwarepatentgegner lehnen ein zentrales EU-Patentgericht derweil weiter ab, da sie andernfalls eine Sanktionierung der weiten, Schutzansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" einschließenden Vergabepraxis des EPA fürchten. André Rebentisch von der European Software Market Association (ESOMA) etwa bezweifelte vergangene Woche auf einer Konferenz (PDF-Datei) der Mittelstandsvereinigung patentfrei.de in Hamburg, dass die Initiative der Ratspräsidentschaft eine hinreichende EU-Rechtsgrundlage hat.

Problematisch sieht der Interessenvertreter auch die Rolle der vorgesehenen "technischen Richter" und eines Expertenpools, der aus Patentjuristen besteht. Hier bestünde die Gefahr, dass dessen Mitglieder das gemeinsame Vorverständnis besäßen, Software habe patentierbar zu sein. Rebentisch befürchtet, dass ein zentralisiertes Gerichtssystem zudem grundsätzlich der Patentinflation Vorschub leisten würde. Er verwies dabei auf schlechte Erfahrungen in den USA mit einer zentralen Berufungsinstanz: Diese habe den Bereich der patentierbaren Gegenstände durch Fallrecht kontinuierlich ausgeweitet. (Stefan Krempl) / (vbr)