CDU und CSU wollen Internet im NSA-Stil überwachen

Die Union drängt im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf die "Ausleitung" des Datenverkehrs an "Netzknoten" im Kampf gegen Terrorismus und schwere Verbrechen. Polizeien und Geheimdienste sollen Zugriff darauf haben.

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CDU und CSU drängen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der SPD in der Arbeitsgruppe Inneres auf eine deutliche Verschärfung und Ausweitung der Internetüberwachung: Innenexperten der Union schwebt dazu eine "Ausleitung" des Datenverkehrs an "Netzknoten" vor, wie sie etwa der zentrale Austauschpunkt DE-CIX in Frankfurt oder kleinere Zusammenschaltungspunkte einzelner Provider sowie weiterer Internetkonzerne darstellen. Dies erklärte der Vorsitzende der Dienstleistungsgesellschaft ver.di, Frank Bsirske, unter Berufung auf ein umfassendes Forderungspapier der konservativen Innenpolitiker gegenüber heise online.

Zugriff auf die umfangreichen Datenbestände – der DE-CIX gilt mit einer Kapazität von 7 TBit/s als größer Internetknoten der Welt – sollen laut Bsirske die Polizeien von Bund und Ländern zur Strafverfolgung im Rahmen der Strafprozessordnung sowie die Geheimdienste zur Gefahrenabwehr nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10-Gesetz) erhalten. Speziell beziehe sich die Passage auch auf eine entsprechende Ausweitung der bestehenden Befugnisse zum Erheben "aktuell anfallender" Verbindungs- und Standortdaten wie IP-Adressen.

Offenbar möchte die Union auf diese Weise eine umstrittene Praxis des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Nachhinein legitimieren: Anfang Oktober hatte der "Spiegel" berichtet, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst seit mindestens zwei Jahren die Leitungen von 25 Internetprovidern belauscht. Einige sollen am DE-CIX angezapft werden. Zugangsanbieter wie 1&1 wissen eigenen Angaben nach nichts von dieser Schnüffelei, mit der eine umfassende Analyse des gesamten Netzverkehrs mit Programmen wie XKeyScore möglich würde. Diese können etwa ein Login bei einem sozialen Netzwerk oder anderen Online-Dienst mit weiteren Aktivitäten der dafür genutzten IP-Adresse verbinden und das Nutzerverhalten so über verschiedene Plattformen hinweg ausspähen.

Insgesamt würde die Maßnahme eine Überwachung des gesamten Netzverkehrs im Stile der NSA und ihres britischen Partners GCHQ zulassen. Legal ist schon jetzt, dass maximal 20 Prozent des über den DE-CIX laufenden Verkehrs für den BND und andere "Bedarfsträger" im Rahmen der G10-Überwachung an sogenannten Auslandsköpfen ausgeleitet und im "Staubsaugerverfahren" nach einschlägigen Stichworten im Anti-Terror-Kampf analysiert werden.

Ermittler haben zudem die Möglichkeit, sich im Verdachtsfall kleine Teile des Internetverkehrs einzelner Provider im Rahmen der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) ausleiten zu lassen. Jetzt soll der "Heuhaufen" für die Sicherheitsbehörden und der Kreis der Zugriffsberechtigten aber nach dem Willen von CDU/CSU deutlich vergrößert werden, um mögliche "Nadeln" finden zu können.

Die Wunschliste der Union enthält dem Vernehmen nach andere Punkte wie die Nutzung der Mautdaten zur Strafverfolgung, die Ausdehnung der Videoüberwachung oder die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die vielen bereits als prinzipiell beschlossene Sache erscheint. Nach Ansicht von Beobachtern verblassen diese Forderungen aber hinter der ins Spiel gebrachten Komplettauswertung des Datenverkehrs der Bundesbürger. Das Motto dürfe nun keinesfalls heißen: "Von der NSA lernen, heißt siegen lernen".

Die vorgesehene anlasslose Überwachung des fließenden Datenverkehrs gefährdet Bsirke zufolge die Meinungs-, Presse- und Koalitionsfreiheit und so die Demokratie als Ganzes: "Wir sind irritiert, dass ein solcher Vorschlag gemacht wird, obwohl die NSA-Praktiken seit Wochen einen Sturm der Entrüstung in unserem Land ausgelöst haben."

Konstantin von Notz, innenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, zeigte sich gegenüber heise online in einer ersten Reaktion konsterniert: "Die Bundesregierung verschleiert, vernebelt und verdeckt seit mehr als fünf Monaten den größten Überwachungsskandal, den die westlichen Demokratien jemals erlebt haben." Wer sich nun ausgerechnet die NSA zum Vorbild nehme und der Totalüberwachung der Kommunikation das Wort rede, statt endlich die Grundrechte der Bürger durchzusetzen, mache sich "endgültig zum Feind unserer Verfassung und unseres Rechtsstaates". Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung auf die Notwendigkeit einer Überwachungsgesamtrechnung hingewiesen. Diese müsse nun endlich "aufgemacht werden".

Unionspolitiker wie der in der AG Innen sitzende Wolfgang Bosbach (CDU) wettern parallel in Fernseh-Talkshows gegen die NSA-Überwachung und die Bespitzelung des Handys der Kanzlerin. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl plädierte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) dafür, Deutschland "durch eigene Technik" in der Internetinfrastruktur unabhängiger zu machen von US-Konzernen. "Die bestehenden Kommunikationswege via Internet und Mobilfunk" sollten "gezielt mit vertrauenswürdigen Sicherheitslösungen" ergänzt werden, "nicht zuletzt mit Hilfe deutscher Anbieter". Die angepeilte große Koalition müsse genutzt werden, um die Weichen zu stellen "für eine Rückgewinnung der nationalen Souveränität in der Informationstechnik".

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte der "Welt am Sonntag" in Bezug auf die NSA-Affäre: "Es ist eine Datensammelwut zu beobachten, die weder angemessen ist noch besseren Schutz vor Terrorismus bietet." Für heise online standen mehrere angefragte Innenexperten der Union nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung mit Verweis auf die "Vertraulichkeit" der derzeit auf Hochtouren laufenden Koalitionsgespräche. Bsirske verlangte von der Unionsführung, "rasch aufzuklären", ob der bei den Koalitionsverhandlungen besprochene "weitgehende Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Kommunikation tatsächlich angestrebt wird". (ps)