Deutsche Telekom zieht gegen "billiger, billiger, billiger" zu Felde

Timotheus Höttges, designierter neuer Chef des Rosa Riesen, kritisiert die Bundesregierung und die EU-Kommission dafür, die Regulierung vor allem aus der Verbraucherperspektive zu betreiben.

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Timotheus Höttges, designierter neuer Chef der Deutschen Telekom, hat auf dem Bitkom-Trendkongress am Mittwoch in Berlin weniger Regulierung für die europäischen Branchengrößen und eine "andere Politik der Konsolidierung" gefordert. Sonst sei der kostspielige Netzausbau, die laufende "Cloudification" nicht zu bewältigen.

Es sei zu einfach, die zuständigen Manager und Ingenieure dafür verantwortlich machen zu wollen, dass die europäische Telekommunikationsbranche zurückgefallen ist, führte Höttges aus. Vielmehr sei daran schuld, wie Brüssel und Berlin die Standortpolitik für diese Industrie gestalteten. "Wir diskutieren immer aus der Verbraucherperspektive." Dies sei zwar zunächst "absolut verständlich". Die Verbraucher spürten das "billiger, billiger, billiger" in ihren Taschen, die Telcos müssten aber Konsequenzen daraus ziehen: Wo das Geld bei ihnen ausbleibe, fehle "die Reinvestitionskraft in neue Infrastrukturen".

Die Fixierung auf viele Wettbewerber setze falsche Signale. In den USA gebe es im TK-Markt vier große Spieler, in China vier Infrastrukturanbieter. Dass in Europa über 200 Netzbetreiber mitspielen wollten, "kann nicht effizient sein". Größe zähle, da Skaleneffekte und Synergien entscheidend seien. Dies mache sich etwa schon beim Geräteeinkauf bemerkbar.

Höttges drängte darauf, die Wettbewerbsregeln im gesamten Internet anzupassen. Für die derzeitig vorgeschriebene Möglichkeit, eine Endnummer binnen 24 Stunden mitzunehmen, seien "enorme IT-Anwendungen nötig". "Haben Sie mal versucht, ihre Daten aus iTunes in Android zu bekommen?", stellte Höttges dem gegenüber.

"Ich werde einen Teufel tun und das Thema Datenschutz ansprechen", fuhr Höttges fort. auf US-Servern gälten in diesem Bereich völlig andere rechtliche Grundlagen. Dort entstünden Milliardengeschäfte, "die hier gar nicht möglich sind".

Die Telekom kämpfe stellvertretend für die ganze Wirtschaft, meinte Höttges, da diese von Infrastrukturen abhänge. Die vielbeschworene "Industrie 4.0" hänge davon ab, wie unterschiedliche Geschäftsmodelle mit der Telekommunikation vernetzt würden. Dies sei eigentlich eine "riesige Chance" für die Branche, weil Deutschland der Ausrüster der Welt sei. Unter den derzeitigen Regulierungsbedingungen werde die laufende industrielle Revolution aber "für uns zur wahren Bedrohung".

Die Telekom wolle weiterhin 4,1 Milliarden Euro pro Jahr in die Netzinfrastruktur stecken, beim schnellen Mobilfunkstandard LTE habe sie in den vergangenen Jahren "am Anschlag" investiert, erläuterte Höttges. Der Festnetzausbau mit Glasfaser sei wesentlich teurer, habe aber für das Ab- und Zuleiten auch im drahtlosen Netz enorme Bedeutung. Auch bräuchten die Betreiber soviel Funkspektrum wie möglich. Wo dieses teuer versteigert werde, fehlten wiederum Mittel für den Netzausbau.

Die Telekom verschickte bereits vor rund zwei Wochen ein Positionspapier für eine "Strategie zur Stärkung der europäischen Telekommunikationsindustrie" an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und weitere Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel. Darin fordert der Konzern nach 15 Jahren Liberalisierung unter anderem eine "neue Industriepolitik" nach US-Vorbild mit Schwerpunkt "Allianzbildung" sowie die Abkehr von der bisherigen, auf Preissenkungen bedachten Linie europäischer Regulierer.

"Die europäische Telekommunikationsbranche ist durch jahrelangen, anhaltenden Regulierungs- und Wettbewerbsdruck geschwächt", heißt es in dem Dokument, das die Wirtschaftswoche zusammen mit einer Präsentation veröffentlichte. Der Internetmarkt werde von Amazon, Apple, Facebook und Google dominiert, die größtenteils unreguliert seien und "mit neuen Diensten in das Kerngeschäft" der Telcos drängten. Gerade vor dem Hintergrund von "Sicherheitspolitik, Datenschutz und Meinungsfreiheit" werfe dies viele Fragen auf.

Die Telekom-Konkurrenz reagierte vergrätzt. Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) warnte am Dienstag vor einem "undifferenzierten Abbau von Regulierung". Ein solcher "Kahlschlag" würde dem deutschen Markt massiv schaden und weitere Investitionen in den Breitbandausbau stoppen. Zudem wäre er nicht mit EU-Recht vereinbar. "Regulierungsferien für die Deutsche Telekom sabotieren Vielfalt und Wettbewerb", hieb der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) in die gleiche Kerbe. Der Glasfaserausbau in unterversorgten Gebieten in Stadt und Land würde zugleich massiv behindert. Über die Hälfte aller Investitionen in den TK-Markt seit 1998 hätten alternative Anbieter getragen. (anw)