US-Musikindustrie geht gegen Filesharing-Anwalt vor

Überraschende Wendung in einem Filesharing-Prozess: Die Musikindustrie fordert die Bestrafung des Anwalts der Beklagten und beantragt gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens.

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Ray Beckerman hat Ärger mit der Musikindustrie. Das ist nichts Neues für den New Yorker Rechtsanwalt, der einige Klienten gegen Filesharing-Vorwürfe der Recording Industry Association of America (RIAA) verteidigt. Es gehört zu seinem Job, sich mit den Anwälten der Musiklabels zu streiten. Denen geht der Anwalt offenbar so massiv auf die Nerven, dass ihn nun selbst in Haftung nehmen wollen. In dem Verfahren gegen Marie Lindor fordern RIAA-Anwälte nun Geldbußen für die Beklagte und den Anwalt – und beantragen gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens ohne Rechtskraft.

Die Musikindustrie ist also offenbar nicht mehr der Ansicht, diesen Fall noch gewinnen zu können. Dennoch sollen Lindor und ihr Anwalt zur Rechenschaft gezogen wegen. Die Beklagte soll für die "Irreführung" der Gegenseite während der Beweisaufnahme bestraft werden. Auch Beckerman soll ein vom Richter festzusetzendes Bußgeld zahlen, weil er das Verfahren auf "lästige" Weise in die Länge gezogen habe.

In ihrem Antrag (PDF-Datei) stoßen sich die RIAA-Anwälte auch an Beckermans Blog, in dem er viele der tausenden Filesharing-Verfahren dokumentiert. Er habe jeden seiner "grundlosen Anträge" dort veröffentlicht, heißt es in dem RIAA-Antrag, um seine "PR-Kampagne" zu stützen und die Kläger zu blamieren. Darüber hinaus habe Beckermann die Beweisführung der RIAA behindert. Mit seinem "lästigen Verhalten" habe er die Kläger schließlich zur Aufgabe gezwungen und die Integrität des Verfahrens insgesamt untergraben.

Im Prozess geht es – wie in den tausenden anderen Verfahren, die von der US-Musikindustrie in den vergangenen Jahren angestrengt wurden – um den Vorwurf der illegalen Verbreitung rechtlich geschützter Musik über ein Filesharingnetz. Lindor streitet die Vorwürfe ab. Im Laufe des mittlerweile drei Jahre währenden Verfahrens warf Beckerman einige Fragen auf, die für die Klagekampagne insgesamt von Bedeutung sein dürften. So stellte er unter anderem die Legitimität der von der RIAA beauftragen Ermittlungsfirma in Frage. Im vergangenen November erwirkte Beckerman einen Richterspruch, der die Musiklabels zur Offenlegung ihrer tatsächlichen Kosten für die 38 in der Klageschrift genannten Songs zwang.

Beckerman selbst hält die Vorwürfe für "unseriös und unverantwortlich" und einen Versuch, aus dem Verfahren zu kommen, ohne noch die Gerichtskosten aufgebrummt zu bekommen. Er hat bis Mitte Oktober Zeit, schriftlich auf den Antrag der Gegenseite zu antworten. Beobachter halten angesichts des von US-Richtern in der Regel heilig gehaltenen ersten Verfassungszusatzes (Freedom of Speech) vor allem den Angriff auf Beckermans Blog für mutig. Darüber hinaus entdecken Kollegen eine gewisse Ironie in den Vorwürfen.

"Sich über Beckermans Veröffentlichungen zu beschweren scheint mir ziemlich ironisch", kommentierte EFF-Anwalt Fred von Lohmann gegenüber Ars Technica. Schließlich habe die RIAA selbst erklärt, mit den tausenden Verfahren auch die Öffentlichkeit über illegales Filesharing aufklären zu wollen. "Ironie ist eine zu zahmer Begriff für den Antrag gegen Ray", sagte Lory Lybeck gegenüber Wired. "Die ganzen 30.000 Verfahren sind die Grundlage einer PR-Kampagne". Lybeck hat als Anwalt eigene Erfahrungen mit der RIAA. Für Tanya Andersen ging er nach einer erfolgreichen Verteidigung zuletzt in die Offensive. (vbr)