Netzneutralität – ein westlicher Luxus?

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern kontrollieren Netzbetreiber gemeinsam mit den großen Online-Diensten Google und Facebook bereits den Zugang zum Netz: Der Einstieg ist kostenlos, wer weiter klicken will, muss zahlen.

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Von
  • David Talbot
  • Tom Simonite

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern kontrollieren Netzbetreiber gemeinsam mit den großen Online-Diensten Google und Facebook bereits den Zugang zum Netz: Der Einstieg ist kostenlos, wer weiter klicken will, muss zahlen.

Die Netzneutralität ist ein hehres Konzept: Alle Daten sollen von Routern und Knoten gleich behandelt werden. Doch was für die einen die zentrale Qualität des Netzes ausmacht, gilt den anderen längst als ideologisches Relikt, das Innovationen behindert. Vergangene Woche mussten die Verfechter der Netzneutralität nun einen Rückschlag verkraften: Ein US-Berufungsgericht gab einer Klage des Netzbetreibers Verizon statt, die sich gegen die Regulierung der Netzaufsichtsbehörde FCC zugunsten einer Netzneutralität gerichtet hatte.

Deren Anhänger fürchten, dass dieses Urteil den Weg zu einem Internet ebnen könnte, das von einigen Riesenkonzernen kontrolliert – oder zumindest "vermittelt" – wird. Denn die Großen könnten es sich leisten, mit den Providern eine Vorzugsbehandlung ihrer Daten zu vereinbaren, während der größte Teil der Internet-Gemeinde das Nachsehen hätte.

Die Verfechter der Netzneutralität übersehen allerdings, dass genau dieser Zustand in Schwellen- und Entwicklungsländern bereits Realität ist. Ob auf den Philippinen oder in Kenia – Schwergewichte wie Google und Facebook haben dort bereits mit Mobilfunkbetreibern Deals über eine Vorzugsbehandlung ihrer Dienste und Daten abgeschlossen.

Einen freien Zugang gibt es in diesen Ländern nur zu reinen Textversionen von Facebook und Gmail oder Startseiten von Diensten wie Facebook Zero oder Google Free Zone. Klicken sie sich von den Suchergebnisse dieser Seiten weiter, oder rufen sie Webseiten auf einem anderen Weg auf, fallen sofort Kosten an.

Wer allerdings erst gar keinen Internetzugang im westlichen Sinne hat, für den dürfte die Netzneutralität nicht oberste Priorität haben. Was zählt, ist, überhaupt online zu gehen und möglichst wenig dafür zu bezahlen. Denn in Entwicklungsländern ist der Zugang zum Netz immer noch teuer – für die Mehrheit der Bevölkerungen sogar horrend teuer.

Kostenlose Dienste wie Facebook Zero oder Google Free Zone hätten da kaum Kritik zu befürchten, sagt Erik Hersman, Gründer des iHub in Nairobi, eines Inkubators für IT-Start-ups. Die Situation werde „überhaupt nicht“ als problematisch angesehen. In Kenia sind die vier Top-Webseiten Google, Facebook, Youtube und ein kenianisches Pendant zu Google. Ähnlich sieht es in etlichen anderen Entwicklungsländern aus.

„In den USA kostet es praktisch nichts, Google oder Facebook aufzurufen, denn WLANs sind allgegenwärtig oder im Verhältnis zum Einkommen billig“, sagt Hersman. In Kenia sei dies nicht der Fall. „Die Beziehung zum Internet ist ganz anders, wenn man es nur über das Handy erreichen kann und herkömmliche Internetzugänge zuhause oder bei der Arbeit nicht existieren.“ Dominiert aber erst einmal ein kostenloser Dienst mit Chat-, E-Mail-, Such- oder Netzwerk-Funktion das Angebot, ist es für Konkurrenten kaum möglich, nach oben zu kommen.

Susan Crawford, Kodirektorin des Berkman Center for Internet & Society an der Harvard University, findet es „hochproblematisch“, dass Google und Facebook für neue Nutzer die Standardzugänge zu Webinhalten werden. „Für arme Menschen sind Internetzugang und Facebook dasselbe. Facebook ist aber nicht das Internet – es ist nur der Nährboden für das Werbegeschäft anderer“, sagt Crawford. „Dadurch verschärfen sich bestehende Ungleichheiten, die zur Verarmung der Phantasie beitragen – eine wesentliche Einschränkung des menschlichen Lebens.“

Im vergangenen Jahr einigte sich Google mit dem führenden indischen Mobilfunkbetreiber Bharti Airtel, Google Free Zone anzubieten. Nutzer bekommen im Rahmen dieses Deals kostenlos einen Datenverkehr von einem Gigabit sowie Zugang zu Gmail, Google+ und Google-Suche. Kritiker monieren, das sei unfair und benachteilige die Konkurrenz.

Facebook-Sprecher Derick Mains betont, das größte soziale Netzwerk der Welt bezahle nicht für die Daten, die durch die Benutzung von Facebook Zero entstehen. Und deutet damit an, die Netzbetreiber würden selbst für die Kosten aufkommen in der Hoffnung, dass die Nutzer irgendwann mehr Datenverkehr benötigen, wenn sie erst einmal einige Zeit dabei sind. Google wollte sich gegenüber Technology Review nicht zu der Thematik äußern.

In den USA wird seit längerem beanstandet, eine fehlende Regulierung zur Netzneutralität könnte es kleinen Akteuren schwer machen, im Wettbewerb zu bestehen. So argumentiert Fred Wilson, ein Investor, dass Start-ups kaum genug Kapital einwerben können, um gegen Platzhirsche wie Youtube anzutreten, wenn die für eine schnellere Übertragung ihrer Daten Prämien an die Provider zahlen.

Die Entwicklung in der Dritten Welt könnte sogar wegweisend für die Zukunft des Netzes sein. Die Zahl der Smartphone-Nutzer soll sich von rund 1,5 Milliarden im vergangengen bis 2017 auf drei Milliarden verdoppeln. Und die meisten der 1,5 Milliarden neuen Nutzer werden aus den Entwicklungs- und Schwellenländern stammen.

Tatsächlich bieten Google und Facebook nicht einfach nur einen freien Datenzugang in der einen oder anderen Form. Zusammen mit anderen Konzernen wie Microsoft sind sie auch dabei, eine Infrastruktur und dateneffiziente Technologien so aufzubauen, dass sie selbst am meisten davon profitieren. Und weil die Masse der Smartphones, die in den nächsten drei Jahren hinzukommen, billige Android-Geräte sind, liefern sich Google und Facebook bereits einen Kampf um die Apps, die das Geschäft dominieren werden.

Zwar reden einige Netzbetreiber in der Dritten Welt davon, dass sie Google für den Datenverkehr zur Kasse bitten wollen. Dass sie damit Erfolg haben, ist jedoch unwahrscheinlich. Denn auch sie wissen: Die neuen Kunden, die sie brauchen, gewinnen sie mit kostenlosen Versionen großer Dienste wie Google und Facebook. Haben die Nutzer erst einmal angebissen, so das Kalkül, werden sie irgendwann größere Datenkontingente brauchen. Und die bringen dann den Umsatz.

(nbo)