Streit um Hirnforschung in der Ökonomie

Das junge Forschungsfeld der Neuroökonomie sucht mit den Mitteln der Hirnforschung nach neuen Antworten auf Fragen der Ökonomie. Doch der Wert der Erkenntnisse ist umstritten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Das junge Forschungsfeld der Neuroökonomie sucht mit den Mitteln der Hirnforschung nach neuen Antworten auf Fragen der Ökonomie. Doch der Wert der Erkenntnisse ist umstritten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 6/2008 (seit dem 21. 5. am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen).

Bernd Weber, seit drei Jahren Leiter des Neuroeconomics Lab der Universität Bonn ist überzeugt: "Ohne die Vorgänge im Hirn zu verstehen, können die Ökonomen das menschliche Verhalten nicht richtig modellieren." Insbesondere auf das Modell-Konstrukt des "Homo oeconomicus", des strikt nach individueller Nutzenmaximierung strebenden Menschen also, hat es die junge Zunft der Neuroökonomen abgesehen. "Die Kräfte im Hirn zerren die Menschen in verschiedene Richtungen", sagt etwa der Züricher Wirtschaftsforscher Ernst Fehr, "trotzdem gehen die Ökonomen immer noch davon aus, dass der Mensch seine Impulse perfekt kontrolliert."

Für Uwe Sunde, Makroökonomie-Professor an der Schweizer Universität St. Gallen, sind die Bonner Erkenntnisse durchaus wegweisend. "Die klassische Theorie geht davon aus, dass Menschen sich an absoluten Werten orientieren. Aber die Schlussfolgerung ist: Wir vergleichen uns immer und überall mit unseren Mitmenschen", sagt Sunde. Die Konsequenz: "Jedes Modell, das nur mit absoluten Einkommen rechnet, ist unvollständig." Zu überarbeiten gäbe es demnach reichlich [-–] von den Voraussagen für Konsum- und Sparverhalten unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen über ökonomisch fundierte Steuergesetzgebung bis hin zur Wirkung von Leistungsanreizen auf Angestellte.

In den USA setzt gerade ein regelrechter Hype um die Hirnscanner im Dienste der Wirtschaftsforschung ein. In Stanford, am MIT oder am California Institute of Technology (Caltech) stecken renommierte Institutionen Millionen in die neue Forschungsrichtung. Mit riesigen Stiftungsvermögen – Harvard beispielsweise verfügt über 34,6 Milliarden Dollar – können sie die aufwendigen Labore mit den teuren Magnetresonanztomografen vergleichsweise locker finanzieren.

Während die Neuroökonomen selbst schon zukünftige Nobelpreise vor Augen haben, stellen manche ihrer Kollegen das ganze Konzept infrage. Valerie Gray Hardcastle von der US-Universität Virginia Tech etwa bezeichnet die wirtschaftswissenschaftliche Arbeit mit funktionaler Magnetresonanztomografie in einer Studie als "aufgeregtes Tamtam". Ihre Kritik: Die bildgebenden Verfahren von heute hätten nur eine Auflösung von 0,1 Millimeter, einzelne Nervenzellen seien dagegen um ein Vielfaches kleiner. Zudem könne jeder Scan nur fünf Sekunden an Zellaktivität messen [-–] das sei viel zu ungenau.

Auch andere Ökonomen vermuten Geltungsdrang und bezweifeln die Seriosität der neuro-interessierten Kollegen. So kritisiert Ariel Rubinstein, Wirtschaftsprofessor an den Universitäten Tel Aviv und New York: "Ich habe immer noch keine einzige relevante Erkenntnis gesehen, die diese Studien erreicht haben. Wie können ernsthafte Forscher solch hastige Schlussfolgerungen aus so wenigen Daten ziehen?" Die Neuroökonomie befinde sich noch auf einem "sehr rudimentären Niveau", sagt auch Professor Axel Ockenfels, Markt-Theoretiker an der Universität Köln. Aus ihr klare Handlungsempfehlungen abzuleiten, halte er deshalb für "extrem schwierig".

Am stärksten stören sich die Kritiker an den teuren Geräten. Die beiden MRTs im Bonner Labor haben 4,5 Millionen Euro gekostet, allein die Betriebs- und Wartungskosten belaufen sich auf jährlich 100.000 Euro pro Stück. Ähnlich hoch sind die Ausgaben in anderen Zentren anzusiedeln. Der Caltech-Gerätepark beispielsweise, mit dem acht Neuroökonomen arbeiten, schlägt mit mehr als einer Million US-Dollar im Jahr zu Buche. Um das zu finanzieren, sammeln die Neuroökonomen fleißig Forschungsgeld ein. Das mit zehn Mitarbeitern größte europäische Labor für Neuroökonomie findet sich an der Universität Zürich und bestreitet fast die Hälfte des Etats aus Drittmitteln. (wst)