Popkomm: Die Musikbranche und die Grenzen der digitalen Welt

Auf der diesjährigen Musikmesse in Berlin richtet sich der Zorn der Musikwirtschaft und Autoren neben den "Raubkopierern" auch auf die EU-Kommission und ihr kartellrechtliches Vorgehen gegen Verwertungsgesellschaften.

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Sorgenvolle Gesichter und Worte bestimmten die Eröffnungszeremonie der Popkomm in Berlin am heutigen Mittwoch. "Nach wie vor muss die Branche den Prozess der Digitalisierung bewältigen", erinnerte der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf die versammelten Fachbesucher der Musikmesse unterm Funkturm an wichtige Hausaufgaben. "Der Umsatz der Tonträger geht zurück, ein Anstieg der Raubkopien ist zu verzeichnen", sang der Politiker der Linkspartei das gleiche Lied wie in den vergangenen Jahren. Die Auswirkungen würden bis auf die Künstler durchschlagen. Neben den großen Labels seien auch die "Indies" von illegalen Downloads massiv betroffen. Es gehe daher auf der dreitätigen, optimistisch mit "Plug in to Success" überschriebenen Nabelschau und dem Begleitkongress nicht nur um technische Innovationen, sondern auch um die generelle Frage, was aus der Musikwirtschaft werde.

Dieter Gorny, Präsident des Bundesverbands Musikindustrie, hatte vorab bereits betont, dass die Labels nicht mehr die CD in den Mittelpunkt stellen würden und ihre Geschäftsmodelle auf die digitale Welt umgestellt hätten. "Raubkopierer" seien eine bleibende Gefahr: "Wir brauchen nicht nur ein anständiges Urheberrecht, sondern das Bewusstsein, dass auch ein kleiner Diebstahl ein Diebstahl ist." Von "Bagatelldelikten" dürfe keine Rede sein. Zugleich plädierte Gorny, der am Donnerstag mit der Musikvideo-TV-Legende Ray Cokes den Startknopf für das von ihm mitaufgebaute Angebot Musikfernsehen.tv drücken will, erneut für Kooperationen mit Providern, die Warnhinweise an Urheberrechtsverletzer versenden sollten.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann betonte in seiner Eröffnungsrede, Raubkopieren sei kein Kavaliersdelikt. Er wertete es als fragwürdiges Signal, dass Generalstaatsanwaltschaften Leitlinien "verfasst haben, nach denen unterhalb einer bestimmten Grenze Urheberrechtsverletzungen im Internet nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden sollen". Umso wichtiger sei der mit dem Auskunftsanspruch gegen Provider neu eröffnete Weg für die Labels, ihre Ansprüche zivilrechtlich einzuklagen. Laut Neumann befürwortet die Bundesregierung ferner eine Zusammenarbeit von Rechteinhabern und Zugangsanbietern, um illegale Download-Aktivitäten im Internet zu bekämpfen. Die darauf aufbauende Einführung eines "französischen Modells" zur "abgestuften Antwort" auf Urheberrechtsverletzungen im Internet bis hin zur Kappung der Leitung sieht das Bundesjustizministerium aufgrund von Datenschutzbedenken aber skeptisch.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco warnte hingegen davor, "schon wieder" neue Instrumente im Kampf gegen Urheberrechtsverstöße einzuführen und zunächst die Wirkung des neuen Auskunftsanspruchs abzuwarten. Der Versuch der Musikindustrie, die Kontrolle über Vertriebswege von Musik im Internet zurückzuerlangen, indem Provider als Hilfssheriffs eingespannt werden, sei "faktisch gescheitert". Mit einer beispiellosen Welle von Strafanzeigen habe sie ihre Kunden nicht zurückgewinnen können. Und ein System abgestufter Sanktionen, wie Frankreich es derzeit einzuführen versucht, sei in Deutschland schon aus verfassungsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Gründen nicht machbar.

Robin Gibb, Präsident der weltweiten Dachgesellschaft der Verwertungsgesellschaften CISAC (International Confederation of Societies of Authors and Composers), bedrückte derweil mehr als die viel beschworenen Raubkopierer die "Dummheit" der EU-Kommission. Ein Dorn im Auge ist dem Ex-Sänger der Bee Gees vor allem das kartellrechtliche Vorgehen der Brüsseler Behörde gegen die CISAC. Verwertungsgesellschaften hat die Kommission dabei in einer ersten Entscheidung regionale Beschränkungen in Gegenseitigkeitsvereinbarungen untersagt. Gibb kündigte nun an, gegen diese "dogmatische" und "ungesunde" Auflage vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.

"In der digitalen Welt gibt es keine Grenzen", räumte der CISAC-Präsident zwar ein. Neue Mechanismen zur Lizenzierung von Kulturgütern müssten gefunden werden. Dafür seien gegenseitige Abkommen unter einzelnen Verwertungsgesellschaften ohne Exklusivitätsregeln aber nach wie vor der beste Weg. Die Bemühungen der CISAC, eine einzige Anlaufstelle für Lizenznehmer aufzubauen, seien durch den kartellrechtlichen "Vorschlaghammer" der Kommission aber vorerst gestoppt worden. Brüssel gehe es offenbar nicht um Wettbewerb, sondern um einen Abwärtswettlauf zu den niedrigsten Standards. Dies werde der Autorengemeinde großen Schaden zufügen.

In den Messehallen selbst ist von Trübsal wenig zu spüren. Ralf Kleinhenz, Geschäftsführer der Popkomm, konnte gar der gegenwärtigen internationalen Finanzkrise Gutes abgewinnen. Damit habe die Musikwirtschaft die "rote Laterne der krisengeschüttelten Branchen abgegeben". Zugleich freute er sich, 843 Aussteller aus über 50 Ländern sowie ein gutes Dutzend Bands und zahlreiche anderer Vertreter aus dem diesjährigen Partnerland Türkei begrüßen zu dürfen. Sony BMG zeigt der Popkomm zwar einmal mehr die kalte Schulter. Dafür haben Internetgrößen wie Amazon oder Napster dort Stände bezogen. Spätestens auf dem Popkomm-Festival in den Abendstunden der Messetage und am Wochenende dürfte die Krise dann bei Auftritten von 400 Bands und Gesangskünstlern in der reichen Berliner Club- und Konzertlandschaft endgültig weggerockt werden. (Stefan Krempl) / (anw)