BT Deutschland darf Vorratsdatenspeicherung vorerst aussetzen

Das Verwaltungsgericht Berlin hat einen Antrag der auf Geschäftskunden spezialisierten Telekommunikationsfirma stattgegeben, wonach sie zunächst nicht zur Vorhaltung von Anlagen zur Protokollierung der Nutzerspuren gezwungen werden darf.

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BT Deutschland muss die Verpflichtung zur verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten vorerst nicht umsetzen. Dies beschloss das Verwaltungsgericht Berlin  erwartungsgemäß nach einer nun bekannt gewordenen Entscheidung am vergangenen Freitag. Laut dem heise online vorliegenden 17-seitigen Beschluss (Az. VG 27 A 232.08) der 27. Kammer des Gerichts darf die Tochter der BT Group (British Telecom) zunächst nicht zur Vorhaltung von Anlagen zur sechsmonatigen Protokollierung der Nutzerspuren angehalten werden. An die zuständige Bundesnetzagentur erging die Weisung, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegen den Anbieter keine Zwangsmaßnahmen zu ergreifen – ab Anfang 2009 wäre ansonsten die Verhängung von Bußgeldern in beträchtlicher Höhe möglich. Die Richter folgten damit einem Eilantrag des Klägers vom 12. August.

Die Antragstellerin hatte geltend gemacht, die Verpflichtung zum Anschaffen und Betreiben von Überwachungstechnik auf eigene Kosten verletze sie in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit und sei daher verfassungswidrig. Sie müsse einmalige Investitionskosten in Höhe von mindestens 720.000 Euro aufwenden, um die erforderlichen technischen Voraussetzungen zu schaffen. Überdies entstünden laufende Betriebskosten in Höhe von 420.000 Euro jährlich. Dies sei insbesondere deshalb unangemessen, weil angesichts ihres Kundenkreises im Bereich großer Unternehmen sowie Behörden des Bundes und der Länder kaum Anfragen von Strafverfolgungsbehörden auf Einsicht in die Datenberge zu erwarten seien.

Die Kammer sah den Fall gleich gelagert wie die zuvor von einem anderem Telekommunikationsanbieter eingereichte Klage gegen die Verdonnerung durch den Staat, auf eigene Kosten Technik zur Überwachung von Auslandstelefonaten installieren zu müssen. Bei dieser sogenannten Auslandskopfüberwachung betrachtete das Berliner Verwaltungsgericht die Inpflichtnahme privater TK-Dienstleister für Sicherheits- und Strafverfolgungsmaßnahmen ohne Entschädigung für die beträchtlichen Kosten als nicht gerechtfertigt und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

Die im Streit um die Auslandskopfüberwachung erfolgten Erwägungen sah das Verwaltungsgericht bei dem Antrag von BT nun ebenfalls als zu berücksichtigen an. Maßgeblich sei, dass die Antragstellerin keinen Ersatz für ihre Aufwendungen zur Anschaffung und zum Betrieb der Überwachungstechnik erlangen könne, falls die Verfassungsrichter die Kostenregelung später für nichtig erklären würden. Es gebe schließlich keine staatliche Haftung für "legislatives Unrecht". Dieser mögliche Schaden für die Antragstellerin sowie die bei einer Aussetzung der Verpflichtung zur Einrichtung von Vorkehrungen zur Vorratsdatenspeicherung entstehende weitere Überwachungslücke könne allerdings vermieden werden. Es stehe dem Bund nämlich frei, die Aufwendungen der Antragstellerin für die Vorratsdatenspeicherung durch eine allgemeine, von der Branche seit langem geforderte Entschädigungsregelung oder eine spezielle Verpflichtung zur Kostenübernahme für die BT nach einer möglichen Maßgabe aus Karlsruhe zu ersetzen.

Das Gericht wies in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass für das Urteil die Frage, ob die auch von über 34.000 Bürgern, Parteien, Abgeordneten oder Gewerkschaften in Karlsruhe aufgrund von Datenschutzbedenken angegriffenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung selbst verfassungsgemäß seien, keine Rolle gespielt habe. Zugleich stießen dem Gericht aber auch rechtliche Widersprüche auf: Einerseits werde vom Gesetzgeber offenbar eine möglichst lückenlose Kontrolle der Telekommunikation angestrebt, andererseits gewährleiste Artikel 10 Grundgesetz und seine Umsetzung im Telekommunikationsgesetz den "anonymen, abhörfreien Telefonverkehr". Gegen den Beschluss kann die Bundesnetzagentur als Vertreterin der Bundesregierung noch Widerspruch beim Oberwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen. Für andere TK-Anbieter gilt die Freistellung nicht automatisch. Sie müssen sich selbst an die Verwaltungsgerichte wenden.

Felix Müller, Regulierungsbeauftragter bei BT Deutschland, begrüßte gegenüber heise online die ganz im Sinne des gestellten Antrags ergangene Entscheidung: "Der Gesetzgeber muss sich nun überlegen, ob er die bestellte Vorratsdatenspeicherung bezahlt oder sie auf ein vernünftiges Maß zurechtstutzt." Das Gericht habe sehr deutlich gemacht, dass der Bund die Industrie nicht grenzenlos für hoheitliche Aufgaben im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung ohne angemessene Entschädigung in Anspruch nehmen dürfe.

Siehe dazu auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)