Britischer Generalanwalt warnt vor "unerträglichem" Sicherheitsstaat

Der Leiter der britischen Anklagebehörde, Sir Ken Macdonald, hat in einer seiner letzten Reden im Amt den Einsatz von immer mehr Überwachungstechniken als unwiderruflichen Einschnitt in die Grundrechte kritisiert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.

Der Leiter der britischen Anklagebehörde, Sir Ken Macdonald, hat in einer seiner letzten Reden im Amt den Einsatz von immer mehr Überwachungstechniken als unwiderruflichen Einschnitt in die Grundrechte der Bürger kritisiert. "Wir müssen aufpassen, nicht einen Lebensstil zu entwickeln, in dem das Rückgrat der Freiheit durch den unaufhörlichen Druck eines Sicherheitsstaates gebrochen wird", warnte der Generalanwalt, der noch in diesem Monat aus seiner derzeitigen Position scheidet, laut britischen Medienberichten. Es müsse allen klar sein, dass es in der Natur der Staatsmacht liege, dass zusätzlich gewährte Befugnisse für Ermittler ebenso wie die den Strafverfolgern zur Verfügung gestellten technischen Werkzeuge "für immer mit uns sind". Sie würden nicht zurückgenommen, vielmehr werde in der Regel noch draufgesattelt.

Überwachungstechniken bezeichnete der Generalanwalt bei einem Vortrag in London als zweischneidiges Schwert im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus. Sie seien entscheidend im Kampf gegen schwere Straftaten und könnten bei ihrem wohlüberlegten Einsatz die Gesellschaft schützen. Zugleich erhalte damit der Staat aber enorme Mittel zum Sammeln von Informationen und Wissen über jeden einzelnen Bürger in die Hand. Prinzipiell könne "jede Sekunde" des Lebens von Individuen aufgezeichnet und gespeichert werden. Es sei nötig, bei den auch in Großbritannien anstehenden Entscheidungen über eine Ausweitung von Überwachungskompetenzen dieses Verständnis im Hinterkopf zu behalten und sich die dadurch entstehende Welt im Vorfeld auszumalen: "Wir könnten am Ende mit etwas leben, was wir gar nicht ertragen können".

Macdonald sprach keine konkreten Überwachungsvorhaben an, bezog sich aber offenbar unter anderem auf die Pläne der britischen Innenministerin Jacqui Smith, eine zentrale staatliche Datenbank für die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten zu errichten. Umstritten ist auch das Vorhaben der britischen Regierung, erstmals einen Personalausweis einzuführen. Großbritannien gilt generell als Vorreiter beim Ausbau des Überwachungsstaates. Nach jüngsten Schätzungen sollen allein fast 4,5 Millionen Videokameras das tägliche Leben der Inselbewohner schier auf Schritt und Tritt festhalten. Der britische Datenschutzbeauftragte Richard Thomas charakterisiert das Vereinigte Königreich seit langem unzweifelhaft als Überwachungsgesellschaft und kritisiert immer wieder Einzelmaßnahmen wie die "Big Brother"-Videoüberwachung oder die vorgeschlagene Super-Datenbank zur Vorratsdatenspeicherung.

Erleichtert zeigte sich Macdonald zumindest darüber, dass Großbritannien Forderungen zur Einrichtung spezieller Gerichtshöfe oder besonderer Richter und "anderen Begleiterscheinungen der Paranoia" im Anti-Terrorkampf widerstanden habe. Das "Guantanamo-Modell", das Verdächtigen ihrer Grundrechte beraube, dürfe nicht kopiert werden. Es sei in der derzeitigen Situation aber schwer auszumachen, wer noch einen kühlen Kopf bewahre und die Verfassung schütze, wenn sie von Regierungsseite aus unter Beschuss gerate. Vertreter der Opposition begrüßten die Mahnrede. Die Labour-Regierung habe zu oft "ungerechtfertigt Befugnisse" vergeben, "umfassende Datenbanken" errichtet sowie dem "überzogenen Gebrauch von Überwachungskompetenzen" zugesehen, hieß es bei den Konservativen. Die Liberalen begrüßten die Warnung vor einem "Leviathan-Staat", der alles wissen und kontrollieren wolle. Das Innenministerium verwies auf eine laufende Konsultation über den jüngsten Überwachungsvorstoß. (Stefan Krempl) / (jk)