Multipath-TCP auf dem Sprung zum Standard

Multipath-TCP ist eine raffinierte Technik, die mehrere Internet-Leitungen bündelt und so den Datendurchsatz und die Verbindungsstabilität verbessert. Im Interview mit heisenetze äußert sich der Entwickler Olivier Bonaventure unter anderem zu spannenden Anwendungsgebieten.

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Lesezeit: 17 Min.
Von
  • Richard Sietmann
Inhaltsverzeichnis

Olivier Bonaventure ist Professor für Computer Science an der Katholischen Universität Löwen (Belgien). Als Mitverfasser des RFC 6824 "TCP Extensions for Multipath Operation with Multiple Addresses" gehört er mit seinem Team am IP Networking Lab (INL) zu den treibenden Kräften der Multipath-TCP-Entwicklung. heisenetze sprach mit ihm über Stand und Perspektiven des Projektes. Ein umfassender Artikel über die rafinierte Funktionsweise der Technik erschien in c't in der aktuellen Ausgabe 6/2014 (kostenpflichtiger Beitrag).

heisenetze: Wo steht Multipath-TCP zur Zeit?

Bonaventure: In der IETF haben wir den experimentellen RFC 6824 eingebracht und der nächste Schritt besteht darin, ihn auf die Standardisierungsschiene zu setzen. Dazu müssen wir noch klären, wie man die Basis-Sicherheitsmechanismen der jetzigen Experimentalversion am besten verstärken kann.

heisenetze: Wie viele Implementierungen gibt es bereits?

Bonaventure: In der IETF Working Group sind drei Implementierungen diskutiert worden: Eine von Citrix mit dem NetScaler Load Balancer, unsere Implementierung im Linux-Kernel, und eine Implementierung, von der sich herausstellte, dass sie von Apple kam. Daneben gibt es noch eine teilweise Implementierung mit FreeBSD aus Australien. Apple hat Multipath-TCP mit iOS 7 eingeführt. Sie verwenden es anscheinend für Siri, die Spracherkennungs-Anwendung von Apple.

heisenetze: Ist die Implementierung kompatibel, sodass sie auch mit jedem anderen Multipath-TCP-Server außerhalb von Apples Walled Garden verwendbar wäre?

Bonaventure: Apple legt die Socket API der Multipath-TCP-Implementierung nicht offen, sodass jemand, der eine App für iOS 7 schreiben will, Multipath-TCP nicht verwenden kann. Es gibt Anzeichen, dass sich das ändert, aber zur Zeit scheinen nur interne Apple-Anwendungen Multipath-TCP nutzen zu können. Aus den Diskussionen, die wir mit Apple hatten, sind wir jedoch ziemlich sicher, dass Apples Implementierung mit der unseren kompatibel ist.

heisenetze: Auf welche Weise können interessierte User die Vorteile und Leistungsfähigkeit des Protokolls austesten?

Bonaventure: Wir haben auf www.multipath-tcp.org Ubuntu Images des Kernels und stellen fest, dass die Leute die Ubuntu- und Debian-Pakete herunterladen, mit ihnen Tests durchführen und manche auf virtuellen Maschinen aufsetzen. Wir haben eine ältere Version, die auf einem Samsung Galaxy S2 läuft und der jüngste Kernel läuft auf dem Google Nexus 5 Smartphone - was den Vorteil hat, dass damit Kernel-Updates leichter hinzukriegen sind als bei anderen Smartphones.

heisenetze: Baut sich da schon eine Community von Anwendern auf?

Bonaventure: Es gibt etwa 250 Teilnehmer auf der Mailing-Liste für Entwickler, die meisten davon sind aktiv und sieben oder acht Websites haben Multipath-TCP aktiviert. Auf unserer Website Multipath-TCP.org sind sie aufgeführt.

Bei uns im Lab haben wir Multipath-TCP auf einem ssh-Server aktiviert, den Studenten und Mitarbeiter nutzen. Wenn sie sich mit ssh einloggen, machen sie das über Multipath-TCP. Das hat den Vorteil, dass die ssh-Verbindungen offen leiben, wenn man vom WLAN ins Ethernet wechselt oder sich von einem Raum in den anderen begibt und die Geräte dabei neue IP-Adressen erhalten. Das ist schon recht nützlich.