Kommentar: Fitness-Wearables sind das Gegenteil von Freiheitsberaubung

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher mag daran glauben, dass uns tragbare Technik zu fremdgesteuerten Wesen der Datenhändler macht. Aber geht es nicht eigentlich um die Freiheit, ohne Leiden und Krankheiten leben zu können?

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Von
  • Jan-Keno Janssen

Eine Ansprache von Neelie Kroes – beziehungsweise das Aktivitätstracker-Armband der EU-Kommissarin – war der Aufhänger eines FAZ-Artikels von Frank Schirrmacher über die von Digital-Monopolisten ausgehende Gefahr: Diese würden den einfachen Bürger seiner Freiheit berauben und zu einem programmierbaren Roboter machen.

Schirrmacher unterstellt der Politikerin technokratische Propaganda und die Vernachlässigung ihrer Pflicht, die gesellschaftlichen Folgen technischer Innovationen kritisch zu hinterfragen. Deshalb attestiert der FAZ-Herausgeber dem Aktivitätstracker von Neelie Kroes „gewiss unbestreitbare Vorteile“, warnt aber zugleich, dass sie mit ihrer Ansprache die „bedenklichsten Gadgets der Datenhändler“ feiert.

Ein Kommentar von Florian Schumacher

Florian Schumacher ist freiberuflicher Journalist, Berater und Trendscout der Wearable Technologies AG. Als Gründer von Quantified Self Deutschland fördert er den Austausch über die Nutzung persönlicher Daten im Kontext von Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung.

Schirrmacher beschreibt das Fitness-Gadget der Politikerin als Kennzeichen des "homo oeconomicus", dem Menschen der Gegenwart, der sich ohne Gnade marktwirtschaftlichen Zwängen unterwerfen muss. Diesem diktiere der Markt ein gesünderes Leben, bei dem der ehemals freie Bürger sein Recht auf Krankheit verliere, um dem System Kosten zu ersparen. Dabei verkennt er, dass der Erfolg der digitalen Bewegungs-Motivatoren auf überzeugten Nutzern basiert, die durch das Bewusstsein für Ihr eigenes Verhalten Spaß an einem gesünderen Lebensstil entwickelt haben.

Keine Zwangsverordnung oder Manipulation dieser Menschen ist notwendig, um sie zum Aufzeichnen ihrer Körperdaten zu bewegen – allein der Vorteil der kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst ist genug. Denn tatsächlich haben die in den letzten 100 Jahren von Ingenieuren entwickelten Autos, Rolltreppen und Straßenbahnen bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung eine Kultur des Bewegungsmangels geschaffen, welchem kein Körpergefühl zu widersprechen vermag. Ein Zustand, der immer noch von vielen Menschen kritiklos als normal akzeptiert wird. Macht sich heute eine neue Generation von Ingenieuren, Psychologen und Entscheidern im Gesundheitswesen daran, die Schwachstellen unserer selbstgeschaffenen Kultur zu korrigieren, wird dies als Manipulation verurteilt, die den Einzelnen zum Sklaven mache.

Tatsächlich jedoch bewirken diese neuen Technologien das Gegenteil: Sie stärken das Bewusstsein für das eigene Verhalten und helfen, sich gegen die Versuchungen durch Werbung für ungesundes Essen und Vielerlei mehr zu behaupten.

Im Vergleich zu den Aktivitätsdaten, die das Armband von Neelie Kroes aufzeichnet, werden wir in Zukunft Tag und Nacht eine tausendfache Menge an Daten über unsere Gesundheit und unser Verhalten erzeugen. Waage, Uhr und Bett werden zu Gesundheitsscannern, die physiologische Parameter überwachen und Trends in unserem Gesundheitszustand erkennen, lange bevor eine ernsthafte Erkrankung auftritt. Mit dem Wissen, das hierdurch entsteht, gewinnen Menschen die Freiheit pro-aktiv zu handeln, werden von gesundheitlichen Einschränkungen verschont und bekommen die Chance auf ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter.

Aktivitätstracker können spielerisch dazu motivieren, sich mehr zu bewegen.

(Bild: c't)

Dass die enorme Menge persönlicher Daten, die viele Bürger damit erzeugen werden, auch Gefahren birgt, steht außer Frage, wie dies bei jeder anderen neuen Technik ebenso der Fall war. Deshalb ist der Schutz der Daten, für den Schirrmacher kämpft, ein wichtiges Anliegen – aber nicht ausreichend, um die Zukunft konstruktiv zu gestalten. Wie es vor hunderten von Jahren im Dorf kaum möglich war, ein Geheimnis zu verbergen, wird es auch im digitalen Zeitalter keinen perfekten Schutz vor unerwünschtem Informationsfluss geben.

Entscheidend ist neben dem Schutz der Daten deshalb insbesondere der Schutz der Persönlichkeit, zum Beispiel durch Gesetze, die Arbeitgeber und Versicherungen daran hindern, persönliche Daten zum Nachteil des Einzelnen einzusetzen. In Deutschland befinden wir uns hier auf einem guten Weg, der viel optimistischer stimmt, als uns die Angstmacher dies vermitteln wollen.

Blicken wir in die Vergangenheit, als Quacksalber und Aderlässe die bevorzugten Mittel zur Behandlung von Krankheiten waren, wird der Vorteil moderner Methoden zur Steigerung der Gesundheit immanent. Zu glauben, der heute erreichte Stand wäre das Ende dieser Entwicklung, ist töricht und lässt viele Schicksale und Schmerzen unberücksichtigt. Die Freiheit, frei von vermeidbaren Krankheiten, Leiden und Einschränkungen zu leben, ist eines der nobelsten Anliegen, welchem sich immer mehr Unternehmen aus Geschäftssinn und gutem Willen verschreiben.

Diese mit kriminell agierenden Geheimdiensten gleichzusetzen, wie bei den Kritikern der Digitalisierung oft üblich, zeugt von Mangel an Respekt und Verständnis, wodurch jede Glaubwürdigkeit verspielt wird. Vielmehr werden die selbsternannten Freiheitshüter schnell selbst zu Bevormundern, die ihren Mitbürgern die Fähigkeit, Nutzen und Risiken selbstständig abzuwägen, absprechen.

Freiheit heißt Verantwortung, sich jenseits von Gewohnheit, Werbung und Lobbyismus für den eigenen Weg zu entscheiden. Eine immer größere Gruppe an Menschen erkennt die Chancen, die darin für sie verborgen liegen. Das Quantifizierte Selbst ist deshalb Ausdruck eines Bewusstseins, welches wahre Freiheit ermöglicht und Ängsten und Irrtum die wohlinformierte Gestaltung des eigenen Lebens entgegensetzt. Schirrmachers Frage, ob Denken weiterbringt, kann also positiv beantwortet werden. Erst recht, wenn man sich traut, die Grenzen des eigenen Wissens zu überwinden. (Dieser Text erschien zuerst in Florian Schumachers Blog "igrowdigital".) (jkj)