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Was war. Was wird.

Schau mir in die Augen, Kleiner: Manche Weisheiten erschließen sich nicht mal mit tiefem Blick ins rote Licht, befürchtet Hal Faber. Manche Weisheit allerdings scheint auch erst nach einem tiefen Blick ins Glas aufzuscheinen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mein Name ist Hal. Hal Faber. Ich lebe und arbeite am besten in einem Isolator, wie ihn der große Hugo Gernsback entwickelt hat. Deswegen bräuchte auch ich kein Smartphone, eigentlich, aber da ist nunmal das Hal-Erbe und die grandiose Stanley-Kubrick-App, die Trost und Halt gibt in diesen unseren Tagen, in denen Geisteswissenschaftler über das inkommensurable Funktionsgeheimnis digitaler Kulturen schwafeln. Gleichzeitig wird auf der CeBIT von einem Roboter mit himmelblauen Augen geschwärmt als einer technischen Meisterleistung. "Dahinter steckt eine Software mit zehntausenden Programmierzeilen." Wow, beeindruckend, voll der Hammer, so Zehntausende von Zeilen da kommen den roten Augen von Hal die Tränen. Nehmen wir nur den in der App veröffentlichten Brief, den Kubrik 1968 an seinen Produzenten geschrieben hat: "Weiß IBM, dass eines der Hauptthemen meines Films die Geschichte eines psychotischen Computers ist. Ich möchte niemanden verärgern, oder ihnen das Gefühl geben, sie wären beschwindelt worden." Schau mir in die Augen, Kleiner ...

*** 1968 wusste Kubrick nicht, dass IBM längst den psychotischen Computer vorgestellt hatte, das System/360, das bald einen fetten Geburtstag feiert. Rundum perfekt und fehlerlos, wie Hal 9000, das war schon 1964 ein feuchter Wunschtraum. Und heute so? Watson hilft Ärzten und Bankberatern. Derweil veröffentlichte IBM ein umfassendes Geständnis, halbwegs. Vergessen die gute alte Zeit, als es Debatten über die NSA-Hintertür in Lotus Notes gab, nachdem IBM 1996 die Software gekauft hatte.

*** Ach ja, die gute alte Zeit ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Bleiben wir bei der CeBIT, dieser "weltgrößten Computermesse" mit gerade einmal 210.000 Besuchern vom Fach. Das ist zwar mehr als die 150.000 der Consumer Electronics Show in Las Vegas, aber nur ein schwacher Abglanz der guten alten Zeit. Trotz blendender Isolation drang etwas durch vom Aufgalopp der drei Tenöre, die das Lied der Digitalen Agenda schmetterten. Zarathustras Weisheiten kamen nicht unbedingt dabei heraus, aber immerhin imponierte der Bundesinnenminister mit seinem tiefen Griff in das Schatzkistlein für Metaphern und sprach als Kohls Erbe vom Straßenverkehr mit Leitplanken an den Rändern, der Straßenverkehrsordnung und vom verantwortungsvollen Miteinander der Verkehrsteilnehmer. Kostet ja nix, so ein Vergleich. Wovon der Bundesinnenminister als oberster Vertreter der Ausweisbehörden nach allen von Edward Snowden geretteten Erkenntnissen über NSA und GCHQ hätte sprechen können, wurde im Heise-Forum auf den Punkt gebracht:

"Sorgt endlich mal dafür, daß die Root-Certs der Bundesdruckerei in alle Browser und System-Cert-Stores reinkommen und vergebt jedem Bürger ein Schlüsselpärchen auf seinen nPA. Oder meinetwegen auch mehrere. Meine Güte, das ist doch wohl nicht sooo kompliziert. Dann dazu ein öffentliches Key-Verzeichnis a la DE-Mail oder PGP und passende plugins für die gängigsten Mailprogramme, die automatisch Verzeichnis-lookups machen. Das würde für die sichere Kommunikation in Deutschland mehr bringen als alle wohlfeilen Reden und Initiativen der Provider zusammen hoch 3."

*** Ein vom Staat gestellter Vertrauensanker mit entsprechenden Zertifikaten für die durchgängige Verschlüsselung ist nicht Bestandteil der hochtrabend so genannten E-Card-Strategie der Bundesregierung. Stattdessen setzt man darauf, das sich der Bürger selbst Zertifikate kauft oder sich welche von den Nutznießern schenken lässt. Das der Nutznießer einer besser geschützten, verschlüsselten Kommunikation die Demokratie selbst ist, darauf kommt keiner. Halt, doch doch, da war doch was? Hat nicht der große Woz auf der CeBIT gesprochen, als die Politwutze längst mit anderen Dingen beschäftigt waren? "Wenn Apple und Microsoft die Verschlüsselungssoftware PGP in ihre Betriebssysteme integriert hätten, würde es heute jeder benutzen." Verpasst, verpasst.

*** Im Fach-Business-Trubel der CeBIT ging unter, dass Edward Snowden nach der ARD-Fernsehsendung wieder einen Auftritt hatte, auf der SXSW genannten Digitalshow, vor einem grandiosen Hintergrund. Abgesehen von der miesen Audioqualität darf man sich fragen, was an dem von Snowden wiederholten Statement "crypto works" so schwer zu verstehen ist. Snowden ging sogar so weit zu behaupten, dass die mächtige NSA selbst nicht weiß, was er weiß, weil das Material verschlüsselt ist. Noch während der Rede bekam Snowden Solidaritätsgrüße von Tim Berners-Lee, der mit einer Geburtstagsfeier beschäftigt war. Und auf der CeBIT sprach sich Jimmy Wales dafür aus, dass der sich um das Land sorgende Whistleblower zurück in die USA geholt werden sollte. Derweil überlegte selbst der deutsche IT-Planungsrat, wie "leicht zu benutzende Verschlüsselungsinstrumente entwickelt werden" können. Der Blick der Fachleute ist natürlich nichts gegen das schöne Schaudern des Boulevards, wenn reißerische Stücke verkauft werden können und es heißt: "Und es gibt quasi keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren." Ja was denn, möchten man da schreien, gibt es eine oder gibt es gar keine Möglichkeit? Nicht nur die Computer sind offenbar psychotische Maschinen ...

(Bild: Scan aus dem Buch "GCHQ. The uncensored story of Britain's most secret intelligence agency" von Richard Aldrich)

*** Statt zockende Steuerhinterzieher zu "respektieren", die eine sehr niedrige Gefängnisstrafe antreten, sollte man sich besser an den echten englischen Politiker Tony Benn erinnern, der in dieser Woche gestorben ist. Der streibare Brite wurde im zunehmenden Alter immer radikaler. Im Jahre 1963 notierte Benn in seinem Tagebuch, nachdem Harold Wilson die über die Profumo-Affäre gestürzte Regierung von Harold Macmillian ablöste: "Ich fürchte, es sieht so aus, als ob wir einen Polizeistaat errichten wollen. Dick [Crossmann], der im Krieg bei der Spionageabwehr arbeitete, ist ein knallharter Sicherheitsmann, der als Minister gar nichts dabei finden wird, das alle Telefone abgezapft und alle Briefe geöffnet werden." So kam es. Ausgerechnet Labour baute die Geheimdienste aus. Das GCHQ wurde von 8000 auf 11.500 Mitarbeiter ausgebaut. 1969 schoss Großbritannien seinen ersten Skynet-Satelliten in den Äther, der angeblich die Kommunikation verbessern sollte, aber wohl eher ein SIGINT-System war, wie Tony Benn notierte. Als die NSA-Affäre begann, erklärte Benn:

"GCHQ und die NSA sind Beispiele von Diensten, die ihre Lektionen in Sachen Technologie gelernt haben. Sie haben Angst vor der Verbreitung von Informationen, weil sie wissen, dass freie Informationen eine der stärksten revolutionären Kräfte der Welt sind. Wenn also mutige Menschen im Interesse der menschlichen Freiheit Informationen veröffentlichen, werden sie über die Medien als 'potenzielle Terroristen' gebrandmarkt. Das ist das üble Geschäft der Dienste.

*** In dieser Woche bediente sich die Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison in einem Artikel im Guardian genau dieser Argumentation, als sie beklagte, als Terroristin verfolgt zu werden. Deshalb könne sie nicht nach Großbritannien einreisen, sondern müsse im deutschen Exil in Berlin leben. Ob dies wirklich stimmt, ist schwer zu sagen. Auf einen europäischen Haftbefehl aus Großbritannien müsste Deutschland reagieren, doch dieser scheint nicht ausgestellt zu sein. Nach der Ablehnung eines Asylverfahren für Edward Snowden durch die ängstliche Bundesregierung dürfte Sarah Harrison kaum bessere Karten haben.

Was wird.

Im letzten WWWW ging es um die Frage, ob es einen geheimen Zusatzvertrag zum G10-Gesetz gibt, mit dem der gesamte Datenverkehr in Deutschland zur Auslandskommunikation erklärt wurde, auf dass der BND ausleiten kann, was er für andere Dienste wie die NSA ausleiten will. In der Nacht zu Freitag haben sich zu später Stunde Regierung und Opposition auf einen gemeinsamen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre geeinigt. Unsere amerikanischen Freunde sind nicht eingeladen, einmal zu extemporieren, wie die Zusammenarbeit mit "Third Parties" aussieht. Dennoch lässt der Arbeitsauftrag des Ausschusses hoffen, schließlich soll auch der "Ringtausch" unter den Schnüffeldiensten untersucht werden. Bleibt die Frage, was die Regierung davon wusste, was sie dafür oder dagegen getan hat. Das könnte selbst ein von den Grünen und der Linkspartei eingeflogener Edward Snowden nicht beantworten. Lassen wir also lieber nochmal Zarathustra ... äh ... singen. (jk)