Kritik an Jugendschutzfilter und Altersprüfsystemen

Vertreter der Wirtschaft plädieren im Rahmen einer Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags für weniger strenge Regeln bei Filterprogrammen sowie Altersprüfsystemen und warnen vor Website-Sperrungen.

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Vertreter der Wirtschaft und Medienwächter plädieren im Rahmen einer derzeit diskutierten Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) vor allem für weniger strenge Regeln bei nutzerautonomen Filtersystemen und Altersprüfsystemen. Der Großteil der Branche, die Inhalte für Erwachsene im Internet anbietet, "hat sich schlicht aus Deutschland verabschiedet", monierte Mike Cosse, Leiter Politik bei Microsoft Deutschland, eine falsche Weichenstellung bei den hohen Anforderungen an Alterschecks. Vor allem der in der Regel erforderliche Medienbruch über das Post-Ident-Verfahren habe den Markt für Anbieter unattraktiv gemacht, sagte Cosse auf dem medien- und kommunikationspolitischen Forum des Branchenverbands Bitkom am Montag in Berlin.

Verena Weigand, Leiterin der Stabsstelle der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), meinte hingegen, bei den Anwendern von Altersverifikationssystemen handele es sich "zu 99 Prozent um Porno-Anbieter". Wenn einer meine, er müsse ins Ausland gehen, "dann ist es halt so". Das Problem mit der staatlichen Zertifizierung von Jugendschutzprogrammen fürs Netz sieht auch Weigand dagegen als "noch nicht ganz gelöst" an. Es sei nicht möglich, altersabgestufte Zugänge für Kinder und Jugendliche technisch gemäß den Vorgaben des JMStV einzurichten, ergänzte Murad Erdemir, Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Es sei daher besser, auf nutzerautonome Filter zu setzen sowie die Schaffung kinder- und jugendgerechter Inhalte zu fördern. Erdemir warnte davor, die Zugangsanbieter zum Sperren einzelner jugendgefährdender Webseiten im Ausland zu verpflichten: "YouPorn war der falsche Ansatz", erinnerte an die letztlich gerichtlich unterbundenen Blockade Arcors im vergangenen Jahr.

Sabine Frank, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter (FSM), erwähnte die vielen Verhaltenskodizes, die sich etwa Suchmaschinen oder Mobilfunker bereits auferlegt hätten. Sie wünschte sich aber eine noch deutlichere Abgrenzung zwischen der Aufsicht im Rahmen der "regulierten Selbstregulierung" und der tatsächlichen Selbstkontrolle. Nach wie vor nehme die Mainzer Instanz jugendschutz.net eine unklare Rolle ein. Sie sei der KJM angegliedert, die letztlich über die Einhaltung des Jugendschutzes im Internet wacht, trete aber eigenständig an Anbieter heran. Weigand stützte dagegen den Kurs der Vorarbeiter bei jugendschutz.net. Diese müssten nicht langwierige Prüfungen in einer Reihe von Gremien durchführen und könnten somit schneller auf jugendgefährdende Inhalte reagieren. Sollte ein Anbieter nicht auf ein Schreiben der Mainzer reagieren, lande der Fall dann immer noch bei der KJM und vermutlich später auch vor Gericht.

Als offene Punkte beim Jugendmedienschutz bezeichnete die KJM-Vertreterin das Zuständigkeitsgerangel bei Online-Spielen sowie den Bereich nutzergenerierter Inhalte im Web 2.0. Generell sei noch unklar, ob die Bestimmungen zur Provider- und Plattformhaftung ausreichen würden. Es lasse sich so trotz der bereits vorliegenden umfangreichen Evaluation des JMStV noch nicht sagen, ob bei einer Reform ein rein kosmetisches Facelifting, ein umfangreicheres Fettabsaugen oder gar das Einfügen zusätzlicher Regelungen über Implantate nötig sei. (Stefan Krempl) / (anw)