Patente als wachsender Hemmschuh bei der Entwicklung von Standards

Die in großen etablierten Normierungsinstitutionen übliche Lizenzierung, die eine individuelle Vergütung für gewerbliche Schutzrechte vorsieht, stößt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien an ihre Grenzen.

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Die in großen etablierten Normierungsinstitutionen übliche Form der Lizenzierung von Patentansprüchen, die im Idealfall eine individuelle Vergütung für gewerbliche Schutzrechte vorsieht, stößt im Bereich der schnelllebigen Informations- und Kommunikationstechnologien an ihre Grenzen. Dies erklärten Vertreter von Konzernen und Standardisierungseinrichtungen am Dienstag auf dem European Patent Forum in Prag. Die entsprechende "FRAND"-Lizenzierungspraxis (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory) "öffnet die Tür für schlechte Unternehmenspraktiken", monierte etwa Tim Frain, Patentexperte von Nokia.

Für die Welt des Internets hätten sich Vergütungsansprüche und Patente allgemein als besonders hinderlich herausgestellt, ergänzte Rigo Wenning vom World Wide Web Consortium (W3C). Die Rechte am Hypertextmedium selbst habe das CERN, an dem Tim Berners-Lee die entsprechenden Protokolle entwickelte, in die Wissensallmende gegeben. Seitdem kennzeichne das Web als eine der Basisarchitekturen der Informationsgesellschaft eine "chaotische Gemengelage von Ideen, Erfindungen, Innovationen und neuen Geschäftsmodellen". Geschwindigkeit sei hier entscheidend, während "Patente nicht das richtige Schutzmittel" seien. Zu groß seien auch die Gefahren, dass Patent-Trolle beim Einbringen neuer Entwicklungen in den Markt zuschlagen und ihre Hand aufhalten würden.

Das W3C habe 1999 selbst einmal mit dem Gedanken gespielt, FRAND-Prinzipien einzuführen, erinnerte Wenning an interne Auseinandersetzungen über Patentregeln. Dies habe aber zu einem Sturm von Protesten vor allem aus der Open-Source-Gemeinde geführt, die das in der EU umstrittene Lizenzierungsmodell für nicht vereinbar hält mit den Grundlagen freier Software. Seit fünf Jahre fahre das Standardisierungsgremium für grundlegende Webtechnologien daher einen "pragmatischen Ansatz" rund um gewerbliche Schutzrechte. Patentansprüche auf Techniken für entwickelte Normen müssten demnach nicht nur rechtzeitig offenbart werden. Vielmehr müssten Mitglieder auch eine vergütungsfreie Lizenz dafür zur Verfügung stellen.

Streitfälle, wie sie etwa Apple bei der Widget-Standardisierung ausgelöst hat, werden laut Wenning in Sondergremien behandelt und seien bisher "nicht dramatisch" gewesen. Generell entstehe so ein Register an Patenten, für die quasi ein Nichtangriffspakt erklärt worden sei. Zudem entstünden im Rahmen der Normierung keine Kosten für die Patentrecherche.

Doch nicht alle einschlägigen Normen werden vom W3C entwickelt. Wenning bedauerte in diesem Zusammenhang, dass das MPEG Industry Forum die Video- und Audio-Standards MPEG-4 und MP3 nur vergleichsweise restriktiv lizenziere und dabei auf individuelle Vergütungen Wert lege. Daher würden Videodateien momentan nur in proprietäre Entwicklungen wie Adobes Flash-Player integriert und ein echter Boom bewegter Bilder im Web verhindert. Glücklicherweise werde die Patentpolitik des W3C inzwischen aber von anderen Institutionen wie OASIS (Organization for the Advancement of Structured Information Standards) kopiert.

Nach Ansicht Frains ist das FRAND-Modell zwar nicht komplett gescheitert, kann angesichts der regen Patentaktivitäten etwa im Bereich von Telekommunikationskonzernen aber nicht mehr unangepasst greifen. So fänden sich etwa allein in den Datenbanken des European Telecommunications Standards Institute (ETSI) Zehntausende grundlegender Ansprüche auf gewerbliche Schutzrechte. Dadurch würden die Lizenzierungspreise in die Höhe schnellen, was eine Implementierung entsprechender Standards für die Wirtschaft zu kostspielig mache. Die ETSI-Richtlinie, nur eine Voraberklärung von Patenten zu verlangen, könne zudem zu einem Pokerspiel mit hohem Spekulationsfaktor der beteiligten Konzerne mit großen Beständen an Schutzrechten führen.

Als erfolgversprechender betrachtet der Nokia-Anwalt den mittlerweile etwa bei der Entwicklung breiter Standards wie zu künftigen Mobilfunk-Technologien angewendeten Ansatz, die Vergütungsansprüche der wichtigsten Mitspieler von vornherein zu bündeln. So hätten etwa im April 2008 sieben Konzerne aus Grundlage dieses "Kuchenmodells" ihre Erwartungen an Lizenzeinnahmen im jeweils einstelligen Bereich für Mobilfunkgeräte der nächsten Generation veröffentlicht. Dies trage vor allem zur Transparenz bei, auch wenn es nicht um die Schaffung eines gemeinsamen Patentpools gehe. Vielmehr würden "Referenzpunkte" für die betroffenen Ansprüche bekannt gegeben.

Erhebliche Bedenken hat bei Frain zudem das Urteil des Landgerichts Mannheim vom Februar ausgelöst, wonach Versprechen für eine FRAND-Lizenzierung zumindest in Deutschland nicht zwangsweise beim Wechsel des Eigentümers betroffener Patentansprüche mitwandern. Der bayrische Patentverwerter IP-Com drohte dem taiwanischen Smartphone-Hersteller HTC daraufhin mit einem Verkaufsstopp für dessen Geräte. Zuvor hatte die Firma geistige Eigentumsrechte für einen dreistelligen Millionenbetrag von Bosch erworben. Die von dem Produzenten vorgegebene FRAND-Politik hat IP-Com nicht übernommen. Karsten Meinhold vom ETSI meinte trotzdem, dass die Patentregeln der Einrichtung funktionieren und Innovationsprozess nicht verhindern würden. (Stefan Krempl) / (pmz)