Europäisches Patentamt verteidigt Vergabe von Softwarepatenten

Gemäß der Revision des Europäischen Patentübereinkommens aus dem Jahr 2000 sollen Patente auf allen Felder der Technologie vergeben werden. Das Europäische Patentamt will so weiter als erstes den "technischen Charakter" prüfen.

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Christian Platzer, Prüfer am Europäischen Patentamt (EPA), hat auf dem European Patent Forum in Prag am heutigen Mittwoch die umstrittene Praxis der Münchner Behörde bei der Vergabe von Patenten auf "computerimplementierte Erfindungen" verteidigt. Auch in der 2000 überarbeiteten Version des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) sei zwar die Bestimmung enthalten, dass Computerprogramme "als solche" nicht patentierbar sind. Zugleich seien damit aber Patente "auf alle Felder der Technologie" zu vergeben. Dies entspreche der Linie des EPA, bei Patentanmeldungen zunächst den "technischen Charakter" eingereichter Erfindungen zu prüfen.

Eine allgemeine Definition dieses Schlüsselbegriffs werde bei der Begutachtung in der Behörde nicht zugrunde gelegt, erläuterte Platzer das Verfahren weiter. Daran hätten sich deutsche Gerichte über die Jahre hinweg versucht. Dies habe aber nur dazu geführt, dass sie ihre Beschreibungen angesichts des technischen Fortschritts alle paar Jahre wieder hätten überarbeiten müssen. Ein solcher Ansatz werde "den Bedürfnissen des Patentsystems" nicht gerecht. Im EPA hätten vielmehr die Beschwerdekammern in einer Reihe von Entscheidungen "Hinweise auf die Bedeutung" des hauptsächlichen Ausschlusskriteriums bei Computerprogrammen gegeben.

So wird die Datenverarbeitung laut Platzer etwa als technisch angesehen, wenn sie sich auf physikalische Datenparameter oder die Kontrolle eines industriellen Prozesses beziehe. Aber auch, wenn es um die Veränderung der grundsätzlichen Arbeitsweise eines Computers etwa durch eine effizientere Speicheraufteilung oder eine Erhöhung der Geschwindigkeit oder Sicherheit eines Prozesses gehe, werde die erste Hürde als genommen angesehen. Dies führe in "90 bis 95 Prozent" der behandelten Anmeldungen nicht zu Streitfragen. Insgesamt sichere diese Interpretationsweise des EPÜ "die Funktionsweise des Systems". Patente auf "reine Geschäftsmethoden" würden von vornherein ausgeschlossen.

Prinzipiell patentiert das EPA aber auch Verfahren, solange auch nur ein Element der Ansprüche einen technischen Charakter hat. Umso stärker werden Platzer zufolge in einem solchen Fall die erforderliche Erfindungshöhe und die Neuheit der Patentanmeldung geprüft. Wenn ein Beitrag zur Erweiterung des Stands der Technik nur auf der nicht-technischen Ebene erfolge, falle die Anmeldung durch. Eine Geschäftsmethode zur Messung der Kapitalisierung von Aktienindizes etwa, die auf allgemeinen ökonomischen Prinzipien aufbaue, werde nicht durch eine Computerimplementierung allein patentierbar. Dieser Ansatz sei mit der Entscheidung der technischen Beschwerdekammer im "COMVIK-Fall" (PDF-Datei) 2002 noch einmal festgeschrieben worden. Im Gegensatz dazu müsse beim US-Patentamt der Erfindungsschritt nicht allein technisch bedingt sein.

Die schleichende Ausweitung der Patentierungsregeln bei Computerprogrammen verdeutlichte Nicholas Wallin, Patentanwalt bei der britischen Kanzlei Withers & Rogers. So habe die "VICOM-Entscheidung" (PDF-Datei) der Beschwerdekammer von 1986 zu einer Frage der Patentierbarkeit von Verfahren zur Bildverarbeitung noch den "technischen Beitrag" einer Erfindung herausgestellt. Die spätere Abschwächung dieser Anforderung zum "Charakterbegriff" begrüßte Wallin und sprach zugleich von einer "verpassten Chance" bei der Revision des EPÜ, die "Als solche"-Klausel nicht zu streichen. Nun hofft der Brite auf die anstehende Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zu verbliebenen "Rechtsunsicherheiten" bei Softwarepatenten. Damit solle die Praxis endgültig "vereinheitlicht" werden. Zudem forderte Wallin, die von ihm ausgemachte "Lücke bei erfinderischen Geschäftsmethoden" zu schließen und auch diese patentierbar zu machen.

Der Präsident des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), Benjamin Henrion, forderte dagegen, dass die Ausschlussbestimmung im EPÜ wörtlich zu nehmen sei. So sei es bei Computerprogrammen generell schwer, anhand der vielen einfließenden Entwicklungen den Stand der Technik zu ermitteln. Die Erfindungshöhe könne man zumindest nicht anhand des Quell- oder Binärcodes prüfen. Die gegenwärtige Vergabepraxis des EPA schaffe "keine Rechtssicherheit für die Programmierer", die aufgrund möglicher Patentfallen auch nicht vom Verkauf ihrer Werke profitieren könnten. Die VICOM-Entscheidung bezeichnete Henrion in diesem Sinne als "Sündenfall", da sie das Kriterium des technischen Beitrags ad absurdum geführt habe.

Francoise Le Bail, stellvertretender Chef der Generaldirektion Unternehmen und Industrie bei der EU-Kommission, hatte zuvor erklärt, dass Firmen bei digitalen Technologien nicht nur auf den Patentschutz schauen sollten. Sie sollten sich vielmehr vor Augen halten, dass auch das Urheberrecht bei Software greife. Jedes Unternehmen müsse für sich klären, wo dieses aufhöre und der gewerbliche Rechtsschutz anfange. Patente könnten zudem die Kosten für Innovationen auch erhöhen, gab der Franzose zu bedenken, da diese auf vorhandenen Entwicklungen aufbauen würden. Er warnte vor "Patent-Dickichten" im Softwaresektor, in denen Rechtsverletzungen mehr oder weniger vorprogrammiert seien. Bei deren Lichtung müsse auch das Wettbewerbsrecht verstärkt eine Rolle spielen, um Patentmissbrauch zu verhindern. (Stefan Krempl) / (pmz)