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Was war. Was wird.

In der Heimat der Brech- und Sprechbohnen gab es, serviert vom Krümelmonster, in dieser Woche schlechten Aufschnitt bei unpassender Gelegenheit. Hal Faber trocknet sich darob die Augen mit einem Tüchlein.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Schau mir in die Augen, Kleines" ist eine etwas verunglückte Übersetzung des fünft-wichtigsten Satzes der Filmgeschichte. Der Satz fällt einmal in der großartigen Abschiedsszene von Casablanca, doch zuvor hatte ihn Rick in Paris gesprochen:

"Where I'm going you can't  what I've got to  you can be no part of. I'm not good at being noble. Ilsa – but it doesn't take too much to see that the problems of three little people don't amount to a hill of beans in this crazy world. Someday you'll understand that. Not now. Here's looking at you, kid."

Seufz. Da-da-da-da-dada trocknen wir unsere Augen mit einem Tüchlein. Denn in dieser Welt gibt es genug Bohnenhügel. Nehmen wir nur den deutschen Bundestag, die Heimat der Brech- und Sprech-Bohnen. Dort spielte sich ausweislich des offiziellen Protokolls (PDF-Datei) folgender Dialog ab:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Wieland, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich halte das immer mit der Sesamstraße: Wieso weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm. Bitte schön, Herr Kollege Wiefelspütz.

(Heiterkeit. Reinhard Grindel [CDU/CSU]. Man muss aber nicht gleich das Krümelmonster geben am Rednerpult!)

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Kollege Wieland, bitte schauen Sie mir in die Augen.

(Heiterkeit)

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich bin hier zu manchem verpflichtet, aber dazu nicht. So weit geht es nun wirklich nicht.

(Volker Kauder [CDU/CSU]. Das ist hier aber ein schlechter Aufschnitt von Casablanca!)

Ein schlechter Aufschnitt, eine schiefe Metapher und etwas Krümelmonster dazu: Das alles vor dem Moment, an dem die lustige Versammlung darüber abstimmt (PDF-Datei), dass eine Bundes-Superpolizei der Allmächtigen ans Werk gehen muss, die ständig wachsende terroristische Gefahr zu bekämpfen. So demonstrieren uns Parlamentarier, dass sie ein wenig wichtiger als ein Arzt sind.

*** Ob das Getöse etwas genutzt hat, bleibt abzuwarten. Die einzige Begründung in der gesamten Parlamentsdebatte lieferten ein paar verschlüsselte Dateien der Sauerland-Gruppe, die ganz ohne Online-Durchsuchung "Just in Time" geschnappt wurde. Gerichtsverwertbare Beweise gibt es genug, die jungen Männer anzuklagen. Ein klarer Hinweis darauf, dass es beim neuen Gesetz für das "deutsche FBI" nicht um Strafverfolgung mit gerichtsverwertbaren Beweisen geht. Das Getöse namens BKA-Gesetz muss noch vor Gericht bestehen und vor allem die furchtbaren Mühlen der parlamentarischen Taktik überleben, ehe es serviert werden kann. Vielleicht bleibt nur ein kalter Aufschnitt über. Noch ein wenig wichtiger als Parlamentarier und Gerichte wird der nicht weisungsgebundene Datenschutzbeauftragte des BKA sein, eine Art Überoberstaatsanwaltspolizist mit der Lizenz zum Lauschen. Die SPD bezeichnet ihn neckisch als Bürgeranwalt, aber sie nennt sich selbst ja auch Sozialdemokratische Partei. Wer ist der Mann oder die Frau, der/die selbst dem Bundesdatenschutzbeauftragten kein Wort der Erwähnung wert ist? Vielleicht ist es ja ein 1-Euro-Zusatzjob in der Behörde. Erinnert sich noch jemand an die Aussage, dass 120 Beamte datenschutzrechtliche Selbstkontrolle betreiben?

*** In der vorigen Wochenschau hatte ein Scherzchen mit der polizeilichen Einheitsadresse 172.23.22.199 des Bundeskriminalamtes die Leser amüsiert. Niemand konnte ahnen, das wenig später IP-Nummernbereiche des Bundesnachrichtendienstes bei Wikileaks auftauchten, mit denen sich sogar etwas anfangen ließ: Es ließ sich feststellen, dass die Südmilch-Truppe in der Wikipedia offenbar das betreibt, was das amerikanische Vorbild COIN oder auch Counter-insurgency nennt. Nun muss man sich die Frage stellen, wie doof der Geheimdienst ist, wenn er keine Nummern eines X-beliebigen Providers nutzt oder ob es vielleicht eine besonders raffinierte Methode ist, einen digitalen Erdnagel in die anderen gefährlich erscheinende Schwarmintelligenz zu versenken. Ähnlich sieht es bei der kuriosen Geschichte um den Journalisten Burkhard Schröder aus, vielen Lesern als Theroretiker der Online-Durchsuchung bekannt. Von dem Vorsitzenden der German Privacy Foundation einen verschlüselten Rechner zu konfiszieren, mag der ultimative Testlauf der Frage sein, ob man einen Trojaner setzen kann. Offiziell will man nur feststellen, ob der Autor nach der Verschärfung der Chemikalienverbotsordnung und des Waffenrechtes "etwas ins Internet" geschrieben hat. Flüchtige Leser haben flugs aus Mann einen Bomben-Journalisten gemacht, andere  finden gleich den Verlag peinlich, in dem auch diese Wochenschau erscheint. Fazit: Die Herstellung von Murks ist einfacher als die Herstellung von Sprengstoffen.

*** Was aber ist die Herstellung von Murks gegen die Pressearbeit des Deutschen Fußball-Bundes? Bereits in der vorigen Wochenschau war vom Sportreporter Jens Weinreich die Rede, der den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger einen Demagogen genannt hatte. Dagegen hatte Zwanziger vor Gericht geklagt und bis jetzt zwei Mal verloren, ein drittes Mal will er es offenbar in seiner Heimat Koblenz versuchen. Nun macht sein Verband aus dem Schmierenspiel eine einzige dummdreiste Lüge und fantasiert von einer diffamierenden Kampagne, die der Journalist angezettelt habe. Kein Wort von den verlorenen Prozessen, kein Wort davon, dass der Journalist nicht eingeknickt ist und keine Erklärung abgegeben hat, sondern bei seinem Wortlaut bleibt. Vom DFB-Präsidenten ist dieser Satz unstrittig zitierbar: "Wenn sie die Kommunikationsherrschaft nicht haben, sind sie immer Verlierer." Ein Verlierer will er auf keinen Fall sein, der Kommunikationsherrscher. Was ist eigentlich jemand, der zwei Gerichtsbeschlüsse unterschlägt? Macht ihn die Defraudation zu einem Defraudagogen?

*** Der Fußball kennt andere Figuren, etwa den Herrn Hopp und dem von ihm finanzierten Bundesliga-Aufsteiger Hoffenheim. Gegen Hopp wird in deutschen Stadien ordentlich Stimmung gemacht, als hätte er Milliarden in den Verein gesteckt und der Trainer kein Wort zu sagen. Nun hat besagter Hopp nicht nur die Software-"Schmiede" SAP gegründet, sondern wie jeder Mensch einen Vater gehabt. Der als Truppführer der SA in Hoffenheim gewütet hatte und in der Reichsprogromnacht die Synagoge zerstörte. Besagter Hopp hat die Übersetzung des Buches Aus Hoffenheim deportiert finanziert und auch den Dokumentarfilm Menachem und Fred möglich gemacht, der bald in deutsche Kinos kommt. Verlorene Brüder haben sich gefunden, ein deutscher Softwareproduzent blickt über den Tellerrand. Es gibt sie noch, die kleinen Wunder.

*** Mama Africa ist tot. Zweimal wurde die Sängerin Miriam Makeba ausgesperrt. Nach dem Dokumentarfilm Come Back Africa musste sie in den USA leben, nach der Heirat mit dem Black-Panther-Aktivisten Stokely Carmichel in Guinea. 1967 hatte sie den Welthit Pata Pata. Nach "Here's looking at you" nun also "Deep in my slumberland, far from the sins of man, no heartache will I know, when I've passed on". Ein letzter Gruß geht auch an Mitch Mitchell, einst Schlagzeuger bei der Jimi Hendrix Experience: "Let none regret my end who called me friend."

Was wird.

In der kommenden Woche startet die Medica, die größte Medizinmesse der Welt. Auf ihr wird mehr IT gezeigt, als es der Name vermuten lässt. Von Röntgenbild-Auswertungsbildschirmen, die endlich mit dem Finger bedient werden können, bis zum Tresor für Server mit Patientendaten reicht die Palette der Exponate. Auch wenn die Mediziner die Technik anders sehen und benamsen als der gemeine EDV-Enthusiast: "Das chice iPhone dürfte unter Ärzten und Patienten gleichermaßen viele Freunde haben", heißt es in einem Artikel über die elektronische Gesundheitsakte auf dem Telefon.

Seit Jahren zieht es nicht nur Ärzte, sondern auch Parlamentarier auf die Medica. Die Volksvertreter stellen seit Jahren sich und die elektronische Gesundheitskarte gerne ins Rampenlicht. Prompt haben aus der Ärzteschaft die als rabiat verschrieenen Zahnärzte den Parlamentariern einen handlichen Strick gereicht, mit dem sie nach dem BKA-Gesetz die Gesundheitskarte aufknüpfen können. Dabei soll die Medica 2008 den festlichen Rahmen für die Bekanntgabe des Rollouts dieser Karte abgeben, des größten anzunehmenden Wunders, seit Jesus über das Wasser raste.

Chice nur, dass man beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit mittlerweile schwere Bedenken gegen die mindestens acht Monate dauernde Austausch-Prozedur hat: Solange die herkömmliche Krankenkarte und die elektronische Gesundheitskarte koexistieren, liegen die Daten auf der Gesundheitskarte zwar verschlüsselt, jedoch in einem ungeschützten Bereich der Karte. Das ist den Datenschützern ein Dorn im Auge. Sie verlangen, dass die Projektgesellschaft Gematik diesen Konstruktionsfehler schnellstens heilt, zumal die Gematik selbst in ihrem Datenschutzkonzept den Schutzbedarf der Daten als "sehr hoch" einstuft. Die passende Medizin für dieses Problem wird auf der Medica gesucht. (Hal Faber) / (anw)