EU-Telecom-Paket: Streit um Internetsperren beherrscht Schlussdebatte

Die 2. Lesung der geplanten neuen Regeln für den Telekommunikationsmarkt im EU-Parlament war überschattet von der unterschiedlichen Auslegung einer "Kompromissklausel" zum Kappen von Netzzugängen bei Rechtsvergehen.

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Das Paket mit neuen Regeln für den EU-Telekommunikationsmarkt geht weiter seinen Weg: Im EU-Parlament fand am heutigen Dienstag die 2. Lesung des Pakets statt, das unter anderem neue Vorgaben für die Telecom-Regulierung und zur Aufteilung des Funkspektrums aus der "digitalen Dividende" enthält. Im Zentrum der 2. Lesung stand aber die mit dem EU-Rat in zähen Gesprächen ausgehandelte "Kompromissklausel" zum Grundrechtsschutz der Internetnutzer. Die Verhandlungsführer im Namen der Volksvertreter sowie die für die Medien und Informationsgesellschaft zuständige EU-Kommissarin, Viviane Reding, betonten während der zweistündigen Debatte in Straßburg immer wieder, dass mit der gefundenen Wortwahl Internetsperren etwa nach wiederholten Urheberrechtsverletzungen nur in einem rechtsstaatlichen Verfahren angeordnet werden dürften. "Erforderlich ist immer ein Richter in einem unabhängigen Tribunal, der das letzte Wort hat", erklärte Reding. Sprecher der Oppositionsparteien warnten dagegen vor einem "chinesischem Ansatz" zur Internetzensur.

"Die Zugangs- und Bürgerrechte werden mit der neuen Formulierung geschützt", betonte die französische Sozialistin Catherine Trautmann als Berichterstatterin für die Überarbeitung der Rahmenrichtlinie zur Telecom-Regulierung. Vor jeder Internetsperre müsse ein unabhängiges Gericht gehört werden. Dies sei ein Signal gegen die der französischen Regierung vorschwebende "abgestufte Erwiderung" auf Copyright-Verstöße gemäß dem "3 Strikes"-Ansatz, in dem die Verwaltungsbehörde HADOPI (Haute Autorité pour la Diffusion des Oeuvres et la Protection des Droits sur l'Internet) ein Kappen von Netzzugängen ohne Einbezug der Justiz anordnen dürfen soll.

Der Kompromisstext gibt aber auch Raum für genau gegenteilige Interpretationen: Statt von einer Justizbehörde, die laut dem Votum des Parlaments in der 1. Lesung über Einschränkungen der Grundrechte wachen sollte, ist nur noch von einem "unparteiischen Tribunal" die Rede. Entfallen ist auch die Anforderung, dass diese allgemein auf "Rechtsstaatlichkeit" verpflichtete Instanz "vor" der Verhängung einer Maßnahme wie einer Netzsperre eine Entscheidung zu treffen hat.

Vielen Abgeordneten ist die verwässerte Klausel daher zu schwammig. "Ich bin nicht glücklich mit dem Kompromiss zur Einschränkung der Internetfreiheiten", sagte Rebecca Harms, stellvertretende Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament. Es bleibe offen, ob das HADOPI-Modell damit zulässig werde oder nicht. Ihr spanischer Fraktionskollege David Hammerstein betonte, die Provider dürften nicht in die Rolle digitaler Hilfssheriffs gedrängt werden. "Die Regierungen haben versucht, etwas in das Paket einzubauen, was mit der Richtlinie nichts zu tun hat", beklagte auch Sophia in't Veld von den Liberalen die immer wiederkehrenden Forderungen aus dem EU-Rat nach Internetsperren. Ihre Fraktion besteht daher auf einer Änderung, die ein Kappen von Netzzugängen von einer klaren Richtergenehmigung abhängig macht.

Eva-Britt Svensson von den Linken beklagte ebenfalls, dass sich bislang die "Regulierungswut der bestehenden Mächte" durchgesetzt habe. Sie warb daher für Unterstützung der von ihr eingebrachten und von Nutzerorganisationen wie La Quadrature du Net mitgetragenen "Bürgerrechts-Änderungsvorschläge" in Form der sogenannten Citizen Rights Amendments (PDF-Datei). Damit würden die alten Positionen des Parlaments zum Schutz der Internetfreiheiten und des offenen Prinzips des Internets wiederhergestellt und ausgebaut. Die Meinungs- und Informationsfreiheit sei höher einzuschätzen als die Kontrolle über die Nutzer.

Die Berichterstatter und Reding trommelten derweil für die Verabschiedung des Pakets. Es sei zwar richtig, dass Provider künftig zwischen verschiedenen Übertragungen wie etwa VoIP oder Peer-2-Peer (P2P) "unterscheiden" könnten, räumte sie Zugeständnisse bei der Aufrechterhaltung der Netzneutralität ein. Somit sei es auch möglich, die Qualität einzelner Applikationen oder Dienste zu verringern. Im Gegensatz stünde es den nationalen Regulierern aber offen, in diesem Feld "Mindeststandards" zu setzen. Insgesamt sprach Reding von einem "sehr guten Paket im Interesse Europas", das weitere Investments in den 300 Milliarden Euro schweren TK-Markt fördere. Der Wechsel eines Anbieters müsse künftig innerhalb eines Tages ermöglicht werden, Verträge mit Providern dürften nur noch ein Jahr Mindestlaufzeit haben. Die Erfahrungen der 27 nationalen Regulierer fließe in die neue zentrale Aufsichtsbehörde BEREC (Body of European Regulators for Electronic Communications). Erstmals werde mit der Reform der Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation eine Verpflichtung für Anbieter geschaffen, die Öffentlichkeit über Datenpannen aufzuklären. Die Kommission werde rasch einen Vorschlag für entsprechende Benachrichtigungsanforderungen in anderen Wirtschaftsbereichen machen. Das EU-Parlament simmt am morgigen Mittwoch über das Telecom-Paket ab.

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(jk)