NetMundial: Zivilgesellschaft kritisiert Netz-Charta

Erst Stunden nach dem geplanten Ende der Konferenz NetMundial in São Paulo lag das Abschlussdokument vor. Die Zivilgesellschaft trägt es nicht mit, unter anderem weil klare Worte gegen die Überwachung fehlen.

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Von
  • Monika Ermert

Nach vielen Diskussionen und zwei harten Konferenztagen hat die NetMundial-Konferenz in São Paulo am Donnerstagabend Grundprinzipien für die Netzpolitik und einen Wegweiser für die weitere Entwicklung im Bereich Internet Governance verabschiedet. Eine Magna Charta fürs Netz ist es nicht geworden, meint die Zivilgesellschaft und trägt den Beschluss am Ende nicht mit, und zwar wegen der lauen Haltung zum Grundrechtsschutz und weil klare Worte gegen die massenhafte Überwachung fehlten. Auch Russland, Indien und Kuba legten Widerspruch ein. Indiens Vertreter räumt aber ein: "Wir haben auf dieser Konferenz viel gelernt."

Die Abschlussdokumente der NetMundial trafen nicht jeden Geschmack

(Bild: netmundial.br )

Erst Stunden nach dem geplanten Ende der NetMundial kamen die Organisatoren mit ihrem Abschlussdokument zurück, um das bis zuletzt hart verhandelt worden war. Heiß umkämpft waren unter anderem die Verurteilung der massenhaften Überwachung von Nutzern, die Verpflichtung zur Netzneutralität und eine Klausel zur Einschränkung der Haftbarkeit von Providern. Am Ende wurde im 11-seitigen "Netmundial Multi-Stakeholder Statement" ein Katalog mit Grundrechten, Prinzipien für die Netzverwaltung und einem Fahrplan für bevorstehende institutionelle Reformen, etwa die Neuordnung der Aufsicht über das DNS und eine klare Stärkung des Internet Governance Forum der UNm festgehalten.

Eher laue Kompromisse gab es dagegen zum Thema Überwachung; die Netzneutralität taucht nur noch in Punkten auf, die nicht abschließend behandelt werden konnten. Massenhaft überwacht werden dürfe nur "in Übereinstimmung mit international verankerten Menschenrechten" – ein Widerspruch in sich, wie der Aktivist Jakob Appelbaum auf einer Alternativ-Veranstaltung zur NetMundial kritisierte. Dagegen Stimmung gemacht, die Netzneutralität zu verankern, hatten zahlreiche große Unternehmen von Cisco, über AT&T bis zu Microsoft, aber auch Regierungen. Brasiliens Werben mit dem Grundrechtegesetz Marco Civil da Internet, in dem Netzneutralität festgeschrieben ist, half da nicht viel.

Dem selben Lobbydruck ist es nach Ansicht kritischer Beobachter wie der US-Aktivistin Robin Gross, Gründerin der Organisation IP-Justice, geschuldet, dass der Schutz des geistigen Eigentums im Grundrechtsteil verankert wurde. Darin heißt es: "Einschränkungen der Haftbarkeit von Intermediären sollen im Einklang mit wirtschaftlichem Wachstum, Innovation, Kreativität und freiem Fluss der Daten umgesetzt werden. Dazu sollen alle Beteiligten angehalten werden, unter dem Gebot der Fairness etwas dafür zu tun, illegale Aktivitäten abzuwehren und davor abzuschrecken."

Für einen starken Urheberschutz hatte neben der US-Filmindustrie auch die französische Regierung geworben. Frankreichs Delegierter David Martinon bewertete die Erklärung als ein sehr gutes Dokument. Der russische Delegierte kritisierte demgegenüber, das Zustandekommen des Abschlussdokuments sei nicht ausreichend transparent gewesen. Der indische Vertreter zeigte sich enttäuscht darüber, dass viele Diskussionsbeiträge nicht aufgegriffen worden seien. Seine Regierung könne nicht zustimmen, ohne vorher mit allen Interessengruppen in Indien gesprochen zu haben.

Trotz vielen Lobes für die Möglichkeiten zur Teilhabe an der Konferenz – Regierungen, Unternehmen, Wissenschaftler und Aktivisten hatten in allen Sitzungen gleiche Rederechte – wollten die zivilgesellschaftlichen Gruppen am Ende die Dokumente nicht mittragen. Die São-Paulo-Erklärung "bringt uns nicht genügend weiter gegenüber dem Status quo beim Grundrechtsschutz und bei der Ausbalancierung des Einflusses und der Macht unterschiedlicher Interessenvertreter", sagte der NGO-Vertreter.

Vor allem aber zeigten sich die zivilgesellschaftlichen Vertreter enttäuscht darüber, dass die massenhafte Überwachung nicht klar verurteilt wurde. Die Klauseln zur Überwachung seien total verwässert worden, sagte Gross. Auf der Plus-Seite stehe, dass die Meinungsfreiheit anerkannt werde und es als notwendig angesehen werde, das Netz im öffentlichen Interesse zu verwalten. Eine direkte Fortsetzung der NetMundial wurde nicht beschlossen. NetMundial soll einmalig bleiben, die Internet-Governance-Debatte und das gemeinsame Feilen an künftigen weiteren Chartas aber nicht. (anw)