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Was war. Was wird.

Wenn bald schon die Schrauben ein besseres Gedächtnis haben sollen als die IT-Gipfelstürmer, dann dürften eben diese Schrauben bei manchen doch etwas locker sitzen, befürchtet Hal Faber, der mal wieder zwei (oder drei) alte Säcke loben muss.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was ist ein Achttausender gegen einen IT-Gipfel, schrieb Brecht einmal in einer schlechten Stunde in seine Kladde mit Notizen für die Nachgeborenen. So hohe Berge entstehen, weil die eurasische Platte sich auf die asiatische schiebt und das auch weiterhin tut. Bald werden die Achttausender Neuntausender oder Zehntausender sein und in ihrer ganzen Erschobenheit doch nur kleine Häufchen gegen die strahlenden Höhen eines IT-Gipfels mit der Darmstädter Erklärung, abgegeben im hessischen Darmstadtium. Richtige Kracher stehen in der Erklärung. Nehmen wir nur Simtede, eine Art digitaler Morgenthau-Plan, der ganz Deutschland in ein Testfeld für intelligente Mobilität verwandelt. Oder Semprom, die Innovationsallianz digitales Produktgedächtnis, die sich mit Indipro verbündelt hat, der Innovationsallianz vom Internet der Dinge. Sempromindipro klingt wie Annapurna, nur noch majestätischer.

*** So ein Produktgedächtnis, damit die auch die letzte intelligente Schraube weiß, was auf dem letzten IT-Gipfel besprochen wurde, hat schon seine Vorteile. Nehmen wir nur das nächste Wissenschaftsjahr, das nicht als Jahr der Physik, Informatik oder Alpinistik ausgerufen wird, sondern schlicht als Jahr der Forschungsexpeditionen. Die natürlich nicht auf Achttausender führen, sondern bequem zum nächsten Bahnhof, an dem die Expedition Zukunft hält, sofern kein Achsenbruch das Unternehmen stoppt. Denn der vielgepriesene Zug ist ein recycleter Express, der schon auf der indischen Platte herumrollte und dann schnell vergessen war. Wie war das nochmal mit dem Wissenschaftsjahr 2008, das jetzt zu Ende geht? Es war schließlich das Jahr der Mathematik, das unter dem schwachsinnigen Slogan "Alles, was zählt" ausgerufen war. Dass Mathematik eben nicht das schlichte Zählen ist, zeigt zum Schluss die Mathema, die sich der Sprache Mathematik widmet. Damit sind nicht Zufallsgeneratoren für die lieben Kleinen gemeint.

*** Bleiben wir der Mathematik und Indien zugetan, immerhin das Mutterland der Null in unserem Sinne. So eine Null ist eine ungemein praktische Zahl. Erinnert sei an die Division durch Null, die Computer ungemein irritieren kann. Oder an die Stellen-Null, mit der die neun Milliarden Euro Privatvermögen des steuervermeidenden Herrn Merckle als 9.000.000.000 ausgedrückt werden können. Soviel muss man schon besitzen, um einen Landeskredit für eine ganz private Börsenzockerei zu bekommen. Die Null ist andererseits eine vertrackte Zahl, wenn sie in der politischen Arithmetik eingesetzt wird. Da steht sie für die Enthaltung, während Ja und Nein geweils mit einer 1 gesetzt werden. Während in der Mathematik a+0=a ergibt, wird im Bundesrat die enthaltsame 0 den Nein-Stimmen zugerechnet. Das kann man für einen Konstruktionsfehler halten, wie es die tageszeitung sieht, die den guten Vorschlag des Rechenkünstlers Schäuble lobt. Fatal ist freilich der Zeitpunkt, an dem der Bundesinnenminister die Null zu Ehren kommen lassen will. Mal eben das Grundgesetz passend machen, damit das unsägliche BKA-Gesetz durchgebracht werden kann, lässt eine vordemokratische Denkweise durchschimmern.

*** Leider, leider passt sie gut zu einer Behörde, die in bester Geheimdienstmanier offenbar die Besucher von Gerichtsverfahren ausspioniert. Das bringt mich zu der 0 zurück, die beim Geheimdienst für einen Namen steht, der geheim bleiben soll. 007 lässt grüßen. Eine solche geheimdienstliche Null ist Burkhard Heefe, ein Datenschutzbeauftragter. Er arbeitet beim BKA und ist nach Aussage der Fans des BKA-Gesetzes die weisungsungebundene Instanz, die unseren Kernbereich der privaten Lebensführung schützt. "Gemeinsam mit den ermittelnden BKA-Beamten hat der Datenschutzbeauftragte zu prüfen, ob die Privatsphäre des Verdächtigen verletzt wird und die gespeicherten Daten zu löschen sind." Die immer wieder beruhigend vorgetragene Floskel hat einen Haken, gewissermaßen eine Nullstelle, die Programm ist. Beim BKA wird der Name des Datenschutzbeauftragten verschwiegen, Interviews mit ihm werden abgeblockt. Was die Verfechter wahlweise als Nebensächlichkeit oder Petitesse abtun, ist eine Tristesse und etwas mehr. Es gibt in Deutschland keine einzige Behörde, die die Identität ihres Datenschutzbeauftragten geheim hält. Selbst beim Verfassungsschutz kommt man schnell ans Ziel. Eine Geheimhaltung ist unsinnig, weil die Funktion des Datenschutzbeauftragten gerade darin besteht, bei Datenschutzkonflikten zwischen Behörde und den betroffenen Bürgern zu vermitteln. Alles andere ist eine Falschaussage.

*** "Das hat nicht so gut geklappt, sag ich mal so", hat der nette Herr Löw diese Woche gesagt. Gemeint war ein grottenschlechter Kick gegen England. Nun habe ich den IT-Gipfel hinter mir, die Achttausender sind bezwungen, da muss es halt der Zwanziger sein, in dessen Geist dieser Spielbericht geschrieben wurde. Der Weltfriedensdienstleistende des deutsche Fußballs sieht das etwas anders, wie dieses Interview zeigt. Wir können lesen und lernen, dass ein Pressesprecher des Deutschen Fremdwörter Bundes abstrakt zum Ausdruck bringen wollte, "dass sich in Internetblogs zahllose User – vielfach unter Pseudonym – an Debatten beteiligen, deren Verfasser nicht mehr direkt, sondern nur noch durch Teilnahme an der Blogdiskussion ansprechbar sind." Man kann Vieles über die Blogger und ihr Kleinbloggersdorf schreiben, die den Basic machen und unter den seltsamsten Namen unterwegs sind. Ansprechbar sind sie alle, in einer öffentlichen Diskussion,die jedermann im Internet nachlesen kann. "Indirekt" ist diese Ansprechbarkeit in den Höhenlagen zwischen neunzehn und einundzwanzig Metern über der Realität.

*** Aufmerksame Leser werden schon bemerkt haben, dass in dieser Wochenschau kein Firmenname auftaucht. Das hat seinen Grund. Das Setzen eines Links wird immer gefährlicher. Vom Mitstörer kann der freundliche Journalist, der seinem Leser einen Link zum weiteren Lesevergnügen überlässt, zum gefährlichen Anstifter von massenhaften Raubkopien werden. Ja, wir sind bald nicht nur abhörbare Raubtiere und Bestien, sondern zum Abschuss freigegeben, wenn wir auch nur eine Firma wie Slysoft, Microsoft oder Softsoft namentlich nennen. Moderne Browser kommen ohne Link aus und können allein mit dem Firmennamen in der Adresszeile arbeiten. Man stelle sich nur die Bösartigkeit vor, wenn der Namen Spy Coins in einem Text auftaucht und schwuppdiwupp die Website der Firma auftaucht, in der Terroristen ihre Münzen für den fortgeschrittenen verschlüsselten Datenaustausch kaufen. Wir brauchen dringend Blockadeprogramme gegen diese Versuchungen, gar nicht zu reden von den rigiden Sperrungen, mit denen wir endlich China gleichziehen.

*** Sir Ken Adam, geboren als Klaus Hugo Adam zu Berlin, hat den Lucky Strike Designer Award gewonnen. Geehrt wurde er für seine Filmsets, deren "Räume und Produkte im kollektiven Gedächtnis ganzer Generationen wach bleiben", erklärte die Jury. Sein Lieblingswerk ist der "War Room", den Adam für den Film "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" seines besten Freundes Stanley Kubrick entwickelte. Vielleicht fragt der neue Präsident Obama nach diesem War Room, wie Ronald Reagan es tat, als er ins Weiße Haus einzog. Der Raum ist heute wahrer als das Gold von Fort Knox.

*** Heute vor 119 Jahren wurde in San Francisco im Palais Royale Saloon von der Firma Pacific Phonograph die erste Jukebox aufgestellt. Diesen anrüchigen Namen bekam sie später, beim Debüt wurde das Gerät als "Nickel-in-the-Slot-Player" vorgestellt. Vier Personen konnten über stethoskopartige Kopfhörer gleichzeitig Musik hören, die auf Edisons Phonograph abgespielt wurde. Innerhalb von 5 Monaten spielten zwei Geräte dieser Art für den Erfinder Lous Glass 1000 Dollar ein. Er begann, die Kneipen der Bay Area mit seinen Geräten auszustatten, selbst auf den Fähren nach Oakland wurden Jukeboxen installiert. Die Gewinne investierte Glass unter anderem in einen Kampf gegen Lautsprechersysteme, die angeblich Ohren schädigen würden. Sein Motiv war indes anderer Natur: Es wäre doch der Untergang der Phonographen-Industrie, wenn Leute Musikstücke mithören können, für die sie gar nicht bezahlt haben, schrieb er an Edison. Heute wissen wir, warum die Jukebox trotzdem überlebte und bis zum Auftauchen des Walkmans für öffentliche Musik in Kneipen und Restaurants sorgte: Die meisten Radiostationen weigerten sich damals, Blues und Jazz zu spielen, was sich später bei Rock und Pop wiederholte. Die Musik änderte sich, die Klagen der immer notleidenden Musikindustrie nicht. Da lob ich mir doch zwei alte Säcke, die der wehklagenden Branche eine Nase zeigten, ein äußerst relaxtes Alterswerk der Pop-Avantgarde vorlegten und es den geneigten Musikgenießern direkt online zu Gehör bringen und auch zum Download verkaufen – ganz ohne DRM und anderen unfreundlichen Schnickschnack, aber mit virtuellem Booklet und, wenn's beliebt, auch auf physischem Daten- bzw. Musikträger, wenn's noch mehr beliebt, gar in besonders opulenter Ausstattung. Ach, das Leben und die Musik können so schön und spannend sein.

Was wird.

Die Musik ist aus. Es wird kälter, der Schnee tümmelt sich schon in der norddeutschen Tiefebene. Wer jetzt kein Haus hat, wärmt seine Hände an der Tastatur oder steigt gleich mit dem glühenden Laptop ins Bett. Unter hyperboräischen Himmeln wird es still. Vereinzelt müssen nur noch verstörte Hunde nach draußen. Selbst die Null macht sich vom Acker, schließlich sind Mathematiker Katzen Wäre da nicht der mathematische Weihnachtsmarkt im Computermuseum zu Paderborn, wo man sich wohl knusprige Wurzeln mit dieser pquadratviertelminusQ-Füllung kaufen kann oder eine biologisch mit Pellets geröstete Null, man müsste eigentlich fliehen. Die Nazghuls vom BKA schwärmen schon aus, schließlich geht es zunehmend konspirativ zu, da ist jeder im Visier, der gegen die asynchrone Flutphantasien protestiert. Was schrieb Brecht eigentlich an die Nachgeborenen?

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

(Hal Faber) / (jk)