re:publica: Watson für alle

IBM will seine Watson-Technik als Cloud-Service für jedermann verfügbar machen. Auf der re:publica wurde nachgedacht, wie Watson dann etwa als Lügendetektor für öffentliche Politikeraussagen genutzt werden könnte.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Was das WWW und Netscape für die Internet-Revolution war, könnte IBM Watson als Denkwerkzeug für die Revolution des öffentlichen Diskurses sein. Man denke nur an Horst Seehofer und die CSU-Kampagne "Wer lügt, der fliegt" im Fernsehen – komplett mit einem Fakten-Echtzeit-Check durch die "Veto-Maschine" Watson, die live einblendet, dass es in ganz Bayern nur 12 antragsstellende Arbeitsemigranten gibt.

Beim Jeopardy hat er sich gut geschlagen. Vielleicht demnächst auch bei Anne Will und Co.?

IBM hat mit Watson viel mehr gewonnen als das TV-Quiz Jeopardy. Die Watson-Technik, in die IBM gerade 1 Milliarde Dollar investiert, soll den Konzern fit für kommende Kämpfe gegen Google, Amazon und Microsoft machen – insbesondere wenn Watson auf das Smartphone kommt und als Cloud-Service von jedermann eingebunden werden kann. Auf der re:publica stellten Konrad Buck und Stefan Holtel ihre Überlegungen vor, wie die flüssige Demokratie mit Unterstützung von Watson aussehen könnte.

Ohne Denkwerkzeuge ist der Mensch ein Kloß mit 70 Prozent Wassergehalt. Dank Internet hellt sich diese trübe Erkenntnis etwas auf, meinte Stefan Holtel. Werkzeuge wie der "Provokationskanal" Twitter und der "Propagandakanal" Facebook erleichterten die Denkarbeit. An der Spitze steht momentan IBMs
Watson, gefolgt von Quill von narrativeScience, eine Art maschinell erstellter Heiseticker, nur ohne die großartigen Heise-Foren.

Was könnte passieren, wenn diese "kognitive Maschine" von Watson für jedermann als Service verfügbar würde? Wenn Watson mal nicht kocht, sondern in Echtzeit die Rede eines Politikers auf Fakten überprüft? Als CSU-Chef Horst Seehofer die Kampagne "Wer betrügt, der fliegt" gegen betrügerische Arbeitsemigranten vorstellte, brauchte die investigative Presse mehrere Tage, um festzustellen, dass es wenige Fälle dieser Art gibt. Watson hätte das in Echtzeit während des Seehofer-Interviews einblenden können.

Watson mit seiner Fähigkeit, in unstrukturierten Daten zu suchen und mit seinem Gegenüber in natürlicher Sprache zu kommunizieren, könnte statt des aktuellen Wahl-O-Mats zur Europawahl einen "Wahl-O-Mator" befeuern. Der würde alle Stimmen der Parteien zu jedem Punkt im Handumdrehen als gesprochenen Dialog präsentieren können, war sich Stefan Holtel sicher. Als Krönung stellte er die "permanente Sentiment-Analyse" vor, die etwa in Deutschland alle Aktionen zum Ausstieg aus der Kernkraft bewertet. Wer handelt wie und wo in welchen Interessen und verhindert womöglich den Übergang ins nachhaltige Bewirtschaften?

So interessant und anregend der Vortrag zur re:publica war, so ließ er doch eine Reihe von Fragen offen. An erster Stelle steht die Frage, wie Konkurrenten wie Google und Amazon auf ein allgemeines Watson-Angebot (per Smartphone, als Cloud-Service) reagieren. Nicht minder wichtig istdie Frage, ob IBM von sich aus nicht einen Einsatz von Watson als "Selbstbedienungs-KI" enge Grenzen setzt.

Ein Programm, das den Wahrheitsgehalt von Aussagen eines US-Präsidenten sekundenschnell beurteilen kann, könnte unter Umständen umstürzlerisch wirken – und damit prompt verboten werden. Auf der anderen Seite lauert dabei ein noch größeres Problem: Menschen vertrauen angeblich einem Computer mehr als anderen Menschen. Was ist, wenn Watson deswegen zur ultima ratio erklärt wird? (axk)