Neue Zitterpartie fürs BKA-Gesetz im Bundesrat

Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) fürchtet, dass der Bund-Länder-Kompromiss zu Online-Razzien noch gekippt werden könnte, während sein Kollege aus Mainz eine knappe Mehrheit für das Vorhaben erwartet.

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In der Union gibt es Befürchtungen, dass die von Spitzenpolitikern aus Bund und Ländern gefundene Linie zur umkämpften Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) einmal mehr nicht mehrheitsfähig sein könnte. Der von der Bundesregierung am gestrigen Mittwoch einberufene Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat "ist bei der SPD keine reine Formsache", sagte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann der "Welt". "Wir haben uns schon mehrfach geeinigt, dann hat sie Kompromisse aber wieder gekippt", monierte der CDU-Politiker. Die Unionsseite sei sehr skeptisch, weil sie den Sozialdemokraten schlicht nicht mehr traue.

Die niedersächsische Regierung muss den von Union und SPD ausgehandelten Mittelweg im Bundesrat ablehnen. "Wir werden nicht zustimmen", betonte der niedersächsische FDP-Landeschef Philipp Rösler gegenüber der Nordwest-Zeitung (NWZ). Die Zugeständnisse würden nicht weit genug gehen. Der Liberale kritisierte vor allem grundsätzlich die geplante Lizenz für heimliche Online-Durchsuchungen und das eingeschränkte Berufsgeheimnis und Zeugnisverweigerungsrecht bei Ärzten, Anwälten und Journalisten. Insgesamt werden voraussichtlich alle Koalitionsregierungen der Länder, an denen die FDP, Linke oder Grüne beteiligt sind, auch den noch einmal geänderten Vorstoß für die Erweiterung der BKA-Befugnisse aufgrund prinzipieller Bedenken nicht befürworten.

Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Karl Peter Bruch, rechnet so mit einer ganz knappen Mehrheit für das Gesetz im Bundesrat. Nach jetzigem Stand gebe es 35 Ja- und 34 Nein-Stimmen/Enthaltungen, rechnete der SPD-Politiker im Deutschlandradio vor. Er selbst und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) befürworten den Entwurf mit den abgesprochenen Korrekturen. Er räumte aber ein, dass der Gesetzgeber mit der Lizenz zum Einsatz des Bundestrojaners und dem "Hineingehen in den Rechner" technisches und rechtliches Neuland betrete: "Wir müssen die ersten Erfahrungen auswerten und die Rechtssprechung muss dann entsprechend handeln." Eine rechtsstaatliche, genaue Normierung des verdeckten Zugriffs auf IT-Systeme sei nötig.

Nach Ansicht von Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) handelt es sich beim aktuellen Kompromiss wohl um die letzte Chance, das Vorhaben noch umzusetzen. "Zu 99,9 Prozent ist das durch", gab er sich gegen über der "Passauer Neuen Presse" optimistisch. Der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, glaubt auch an die Tragfähigkeit der Verabredung. Das BKA-Gesetz sei "das beste deutsche Polizeigesetz überhaupt". Er sei "richtig happy". Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), zeigte sich ebenfalls zufrieden. Die schleswig-holsteinische SPD kündigte nach Sachsen und Rheinland-Pflaz an, trotz des Widerstands der Jusos am 19. Dezember in der Länderkammer für das leicht entschärfte BKA-Gesetz stimmen zu wollen.

Nach Verbänden von Journalisten und Anwälten forderte auch die Bundesärztekammer die große Koalition auf, am Entwurf weiter nachzubessern. Der Präsident der Einrichtung, Jörg-Dietrich Hoppe, sieht das Patientengeheimnis nachhaltig in Frage gestellt. Die ärztliche Schweigepflicht dürfe nicht zu einem Schutzrecht zweiter Klasse degradiert werden. Patienten und Ärzte müssten absolut vor Online-Razzien und Spähangriffen der Polizei geschützt werden.

Sollte das Gesetz den Segen des Bundesrats erhalten, dürfte sein Schicksal in den Händen der Karlsruher Richter ruhen. Die Bundes-FDP prüft derzeit eine Verfassungsklage. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, möglich sei eine Normenkontrollklage gegen die neuen Befugnisse für das Bundeskriminalamt (BKA) oder eine Verfassungsbeschwerde einzelner Abgeordneter. Der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum kündigte bereits an, erneut nach Karlsruhe ziehen zu wollen. Auch der Sprecher für innere Sicherheit der Grünen im Bundestag, Wolfgang Wieland, gab sich bestimmt: "Bleibt es bei diesem winzigen Kompromiss, werden wir den Gang nach Karlsruhe beschreiten." Das Gesetz sei ein "Bürgerrechtskiller".

Die Telepolis-Autorin Bettina Winsemann ("Twister") hält ebenfalls an ihrer Klageabsicht fest: "Ich bezweifele, dass das BKA-Gesetz tatsächlich so geändert in Kraft tritt, dass man sagen kann 'alles in Ordnung'", erklärte sie gegenüber heise online. Zu "99 Prozent" werde es bei der Verfassungsbeschwerde bleiben, für die das Geld auch bereits zusammen sei. Gleichzeitig kritisierte die Bürgerrechtlerin eine Äußerung aus Polizeikreisen, welche die potenziellen Kläger vor dem Verfassungsgericht als "Karlsruhe-Touristen" hinstellte.

Der Strafrechtler Rainer Hamm schätzt die Erfolgsaussichten für eine Verfassungsbeschwerde hoch ein. Angreifbar sei etwa der Datenschutz bei der heimlichen Online-Durchsuchung. Der verdeckte Zugriff wird im Gesetzesentwurf weiter nur dann als unzulässig bezeichnet, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, "dass durch die Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden". Das ist für den Rechtsprofessor "Augenwischerei". Mit dieser Formulierung habe der Gesetzgeber praktisch eingeräumt, dass er nicht willens sei, die Intimsphäre angemessen zu schützen. Auf einem Computer sei "immer sonst was drauf".

Zu den technischen und rechtlichen Details der heimlichen Online-Durchsuchung und des Bundestrojaners veröffentlichte c't in der aktuellen Ausgabe (seit Montag, dem 24. 11., im Handel) einen Hintergrundartikel:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)