Was war. Was wird.
Die Wochenschau von Hal Faber: Dieses Mal geht's um Aufmerksamkeitsökonomie, katholische Dogmatik und evangelischen Liberalismus, Tulpenbauer und die Leichtigkeit des Seins.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes. Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war
*** Ist HTML die "Sprache des Glaubens an der Schwelle zum dritten Jahrtausend?" Unter diesem Motto tagte die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche (VELKD). Dabei wurde der eigene Internet-Auftritt vorgestellt, als neuester Kommunikationsweg für den Kontakt mit den Gläubigen. In dem Positionspapier der Kirche gibt man sich offensichtlich nicht mit Windows Media Audio zufrieden, das selbst Real Networks nun unterstützt. "Neben dem Internetauftritt will die VELKD verstärkt auf die bildliche Wahrnehmungsfähigkeiten der Gläubigen setzen", heißt es da. Gespannt warten wir auf die neuen Icons, die die Zehn Gebote aussagekräftig nach DIN 23 330 und DIN 30 727 umsetzen. Wenigstens haben die Kirchenoberen eines entdeckt: Der typische Internet-Nutzer geht nicht in die Kirche, teilen sie betrübt mit. Warum dann eine Internet-Seite, wenn sich der gemeine Surfer eh nicht dafür interessiert? Vielleicht sollten sich auch evangelische Theologen einmal bei der katholischen Dogmatik bedienen: Die hat es in ihrer langen Historie noch immer geschafft, jedes Paradoxon heilsgeschichtlich aufzulösen.
*** Wo die Evangelen in bildlicher Wahrnehmung schwelgen, vermeiden die Katholen der Welten Gedröhn: Seit einigen Tagen bietet das Bistum Limburg einen Service, der den Fastenden via SMS Stärkung zukommen lässt. Ein Vers aus der Bibel, auf das Handy geschickt, soll zur inneren Einkehr einladen. Der SMS-Service ist ökumenisch: Auf der Webseite des Bistums kann sich jeder Fastende eintragen. Wie tröstlich.
*** Vom Standpunkt der natürlichen künstlichen Intelligenz kann man argumentieren, das hinter Buddha, Mohammed und Jesus eine einzige Idee steht, die sich mit den passenden Tools in alle Religionen übersetzen lässt. Solch ein Ding will SoDeog Technologies mit ihrem SyncTalk für die unterschiedlichsten drahtlosen Geräte bieten, vom PalmOS über Windows CE bis hin zu Epoc32. SoDeog ist damit praktizierte Ökumene: Der Name SoDeog (in der Aussprache: so-DAY-oag, sagt die PR-Abteilung) kommt vom Lateinischen Soli Deo Gloria, oder: Nur Gott sei die Herrlichkeit.
*** Immerhin ist sodeog.com im Internet nicht so verfänglich wie deusexmachina.de, wie die deutsche Firma Deus Ex Machina ihren Web-Auftritt benamste und damit prompt in die Fänge von Cyber Patrol und anderen Kinderschützern geriet. Deu-Sex klingt nach Schweinerei und ist doch nur ein Spezialist für Steganographie und eine wunderliche Oberfläche namens Dependencies, die den Zeitstrang auflöst.
*** Wahrscheinlich mag niemand mehr das Wort Green Card im Wort zum Sonntag lesen, aber wie wäre es mit dieser untergegangenen Nachricht? Dass man es anders machen kann, ohne Kartentricks mit kurzer Verfallszeit, zeigen unsere Nachbarn in Holland. Inder statt Blinder könnte man es nennen, wenn eine Veranstaltung wie die Doors of Perception von Holland nach Indien umzieht, um dort in Achmedabad eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem indischen Design-Institut durchzuführen. 200 Internet-Entwickler diskutierten mit den Holländern über die Leichtigkeit des Seins. Was die Europäer von den Indern gelernt haben, wird im November auf der nächsten Doors in Amsterdam weiter verarbeitet.
*** Vielleicht sollte man an dieser Stelle erwähnen, das Leichtigkeit keine typische Eigenschaft der Tulpenbauern ist: Tulipomania Dotcom nennt sich eine andere Veranstaltung, die dieser Tage für den Juni in Amsterdam geplant wird. Hier geht es unter anderem um eine marxistische Kritik des E-Goldrausches, wie man den Ankündigungen entnehmen kann. Hoch fliegt der Staub der Geschichte.
*** Andere sind da schon weiter und diskutieren nicht mehr lange, ob man die Welt tatsächlich verändern statt nur interpretieren soll. Hat Middelhoff, der Chef der Gütersloher, nicht realistischere Visionen, als ihm allgemein zugebilligt werden? Der Rückzug aus der Beteiligung bei AOL scheint Gegenteiliges zu meinen. Aber AOL hat's selbst vorgemacht: Wer schert sich noch um den Online-Dienst, wenn man Time Warner haben kann – es kümmern sich schließlich auch nur wenige darum, wie die Gesellschaft heißt, die das Kabelnetz für mittägliche Brüll-Shows und abendliche Psycho-Experimente liefert. Hauptsache, die Kiste flimmert. Was soll also Bertelsmann mit einer Beteiligung an einem Technik-Lieferanten, wenn das große Geld doch mit Inhalten ins Haus steht. Da finden sich die Mohn-Männer in einer Linie mit den Kollegen von der spanischen Telefonica. Wenn AOL Bugs Bunny bekommt, dann können Telefonkonzerne auch Hochzeitsshows mit aufgedonnerten Blondinen und Experimente zur Aufmerksamkeitsökonomie einkaufen. Nur die Telekom guckt zu und staunt: Was haben wir bloß falsch gemacht? Ganz einfach: Zu lange von künstlich hoch gehaltenen Preisen gelebt. Wer sich keine Sorgen mehr machen muss, dass ihn das Surfen in den Bankrott treibt, dem ist auch egal, wer ihm die Leitung liefert. Dann geht er dahin, wo's spannend ist – je nach Geschmacksrichtung eben zu Bertelsmann, Time Warner oder Endemol. Tschüss, AOL, tschüss T-Online – willkommen in der virtuellen Realität. Die lässt sich auch einfacher verändern als die Welt, der sich Kant, Hegel oder Marx gegenüber sahen. Ein paar PR-Mitteilungen reichen, schon steigt der Börsenkurs. Oder war da sonst noch was?
*** Nochmal Green Card: Die Anmerkungen in der letzten Wochenschau stießen nicht auf allgemeine Zustimmung. Nicht etwa, weil die Millionen Kohls nicht doch vernünftig für Umschulung und Ausbildung eingesetzt werden könnten. Nein, keineswegs, die Kritik ist grundsätzlicher: So beschwerten sich geneigte Leser über die Tatsache, bei einer Computer-Zeitung politische Kommentare zu lesen. Nun ist Technik keine wertfreie Erscheinung und bewegt sich nicht im leeren Raum, ohne jeden Bezug zu Gesellschaft und Politik. Was aber, wenn ein Magazin für Computer-Technik versucht, der Politik ins im Allgemeinen von den Technikern ungestörte Gehege zu kommen? Die Diskussion ist hiermit eröffnet...
Was wird
Wenn sich der Staub des E-Goldrausches auf Gemüsebeete legt, schlägts dem Gärtner aufs Gemüt. Wie nur wenigen anderen Zweige wurde den Lebensmitteln im Internet eine große Zukunft vorausgesagt. Nun haut es die Onkel Emmas in den USA aus den Puschen. Bei Peapod gehen die Spitzenleute, bei Webvan, NetGrocer und Streamline schmilzt nicht nur die Ware bei der Auslieferung dahin... Aufgetaut und aufgeweicht werden diese Unternehmen ein gefundenes Fressen für Amazon. Nächste Woche soll eine Allianz in dieser Richtung verkündet werden. Bohnen zu Büchern! Nicht, dass es Amazon besser machen könnte. Aber diesem Versende-Agglomerator wird mehr verziehen als der Konkurrenz, da sein einzig Geschäft das Wachstum ist. Wie anders sieht es aus in Deutschland, wo die (erfolgreiche) Gemüse-Logistik per Internet nichts anderes ist, als ein paar Studenten als Funkkuriere vor Ratio-Märkten parken zu lassen... (Hal Faber) (jk)