Die Woche: Offene Standards im Grabenkrieg

Wie gut können die Anwender von MS Office und OpenDocument-kompatiblen Bürosuiten ihre Ergüsse untereinander austauschen? Die Frage entscheidet über den milliardenschweren Office-Softwaremarkt und provoziert regelrechte Schlammschlachten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 42 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Schüler
  • Dr. Oliver Diedrich

Früher war alles so einfach: Es gab (fast) kein Office außer dem von Microsoft; und Hersteller, die ihren Konkurrenzprodukten nicht irgendwie den Umgang dem proprietären DOC-Format beibrachten, hatten keine Chance gegen den Monopolisten aus Redmond. StarOffice erschien wie der Retter aus der Not, indem es seine Dokumente als gezippte Verzeichnisse schlichter XML-Dateien ablegte. Kein Wunder, dass das durch OpenOffice populär gemachte Format schnell als OpenDocument Format (ODF) den Segen als offener Standard fand.

Mittlerweile ist die Lage dagegen recht angespannt, weil sich Microsoft und die Verfechter der ODF-nutzenden Büropakete gegenseitig mit Schlamm bewerfen.

Zunächst schlug das Imperium mit Office 2007 zurück und proklamierte das schon in Office 2003 angetestete eigene XML-Format gleichfalls als offenen Standard. Die Freude, dass damit endlich das Ende der undurchschaubaren Formate DOC und XLS eingeläutet war, mischte sich freilich mit einiger Bitterkeit. Der Riese aus Redmond prügelte nämlich mit rüden Methoden und im Eilverfahren ein wahres Standard-Monster mit dem verwechslungsfreundlichen Namen Office Open XML (OOXML) durch die Gremien, das in absehbarer Zeit wohl niemand außer ihm selbst implementieren kann.

Nun gut – OOXML standardisiert auf rund 7000 Druckseiten weit mehr Funktionen und Features als andere Bürosuiten aufweisen können, und was diese offerieren, ist im ODF-Standard mitunter nur unzureichend dokumentiert, wie sich im c't-Test herausstellte. Ob man den Featurismus der versammelten MS-Office-Versionen seit 1992 nun wirklich braucht oder nicht – Microsofts Weigerung, die jahrelang erarbeiteten Errungenschaften zugunsten eines rudimentären herstellerübergeifenden Standards fallen zu lassen, ist nachvollziehbar.

Auch der damalige Vorwurf, zum kontrovers verabschiedeten ISO-Standard für OOXML gebe es keine einzige komplette Anwendung am Markt, mutet eher polemisch an. Schließlich äußerten die Standardisierungsgremien lange nach dem Erscheinen des weitgehend kompatiblen MS Office 2007 durchaus noch Änderungswünsche für OOXML, und es ist nur gut, dass Microsoft diese nicht mit wöchentlichen Programmupdates quittiert hat. Im Übrigen orientiert sich OpenOffice seit Version 3.0 am Standard ODF 1.2; von dem gibt es allerdings bislang nur Vorentwürfe.

Ungeachtet solcher Spitzfindigkeiten lautet die Kernfrage für Softwarebeschaffer: Wie viel kann man mit Dokumenten aus MS Office und OpenOffice in der jeweils anderen Umgebung anfangen? Sun hat ein Plug-in für das Microsoft-Produkt geschrieben, mit dem sich ODF-Dokumente auch in Word und Excel öffnen lassen. Allerdings ist das Importfilter fast so sperrig wie eine eigenständige Bürosuite und auch nach Meinung der ODF-Anhänger nicht als Dauerlösung geeignet. Microsofts Ansatz, selbst ein Im- und Exportfilter für ODF-Dokumente zu entwickeln, beschert der Open-Source-Gemeinde sowohl Vor- als auch Nachteile: Einerseits wertet er den ODF-Standard auf – gelingt die Entwicklung, sind die Resultate der Open-Source-Programme auch mit MS Office verwertbar und damit für Jedermann akzeptabel. Andererseits macht sich Microsoft verständliche Hoffnungen, seine Software als einzige anbieten zu können, die mit allen relevanten Dokumentenformaten klar kommt.

Genau diese Lage scheint eingetreten zu sein, als Ende April das Service Pack 2 für MS Office 2007 mit Unterstützung für ODF herauskam. IBMs ODF-Delegierter Rob Weir brauchte indes nicht lange, um der Erweiterung schwere Probleme im Umgang mit Rechenfeldern in ODF-gespeicherten Tabellen nachzuweisen – was Microsofts XML-Nestor Jean Paoli freilich schon vor Jahren als Lücke im ODF-Standard gebrandmarkt hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorwurf der ODF Alliance, die in OpenOffice so bezeichneten Tracked Changes fänden bei Microsoft überhaupt keine Berücksichtigung. Das Gegenargument, damit seien sowieso nur wenige der Überarbeitungen erfasst, die man in Office 2007 nachverfolgen kann, mag stimmen, doch die Folgerung, also könne man die ODF-Möglichkeiten gleich ganz übergehen, riecht doch eher nach Verweigerungspolitik.

Ein ähnliches Kapitel schlägt Microsoft mit der Nicht-Unterstützung für passwortgeschützte ODF-Dateien auf. Wer derlei in Word 2007 öffnen will, erntet nur den Kommentar "Diese Datei ist mit einem Kennwort geschützt und kann nicht geöffnet werden". Das diene dem Schutz des Anwenders, kontert die Windows-Company. Schließlich sehe der aktuelle ODF-Standard 1.1 für die Verschlüsselung von Dokumenten ausschließlich das betagte Blowfish-Verfahren vor, welches bislang von keiner anerkannten Instanz auf seine Sicherheit zertifiziert worden sei. Ergo vermittele es dem Anwender nur ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, und das wolle man vermeiden.

Ganz abgesehen davon, dass weder die c't-Sicherheitsexperten noch die Wikipedia-Autoren je von einem erfolgreichen Angriff auf Blowfish gehört haben, misst Microsoft in dieser Hinsicht mit zweierlei Maß. So kann man in Word 2007 alle erdenklichen Inhalte und Stilmerkmale mit Kennwort gegen Veränderung sperren – nur bewirkt diese Sperre in der Regel gar nichts. Insgeheim ist die "Schützen"-Funktion in Office 2007 nämlich ausschließlich im Zusammenspiel mit Microsofts Information Rights Management Services wirksam. Ginge es wirklich darum, den Anwender vor Fehleinschätzungen zu bewahren, müsste Word also, wenn diese Dienste nicht verfügbar sind, konsequenterweise auch das Öffnen so geschützter DOCX-Dateien verweigern. Was es freilich nicht tut.

Wie dem auch sei, Microsoft arbeitet offiziell an der Fortentwicklung des ODF-Standards mit und wird sicher auch eigene Änderungsvorschläge einbringen. Man darf mit Spannung erwarten, ob das Softwarehaus auf diesem Wege ein akzeptables Verschlüsselungsverfahren einbringen kann und dieses dann auch mit Office 2007 unterstützt. Dann wird vielleicht auch absehbar, ob die Debatte um überall nutzbare Office-Dokumente etwas sachlichere Züge annimmt. (hps) (odi)