Wireshark – ein Business-Modell steht Kopf

Cace Technologies und Wireshark sind ein besonders gut funktionierendes Beispiel für die Open-Core-Strategie: Der Verkauf von Zusatzprodukten finanziert die Entwicklung des freien Netzwerkanalyse-Tools.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Doris Gottstein
  • Dr. Oliver Diedrich
Inhaltsverzeichnis

Seit das Netzwerkanalyse-Tool Ethereal vor drei Jahren den Namen zu Wireshark änderte und sein Gründer, Gerald Combs, zu Cace Technologies wechselte, hat sich der Jagdtrieb des Netzwerk-Hais noch intensiviert. Auf 20.000 bis 30.000 schätzt John Bruno, Präsident und CEO des US-amerikanischen Unternehmens, die Zahl der Website-Besucher pro Tag und verweist darauf, dass seit einiger Zeit auch die Finanzkrise – und der damit verbundene Sparzwang – zur Erfolgsgeschichte beitragen. Die Netzwerkanalyse-Software Wireshark, auf der das Business-Modell des Unternehmens beruht, ist nicht nur führend am Markt, als Open Source ist sie auch kostenlos.

John Bruno, Mitgründer und CEO von CACE Technologies

Bruno, früher Professor für Computer Sciences, weiß schon, dass sein Geschäftsmodell traditionelle Ansätze auf den Kopf stellt. "Strategie ist, unsere Produkte eng mit Wireshark zu verbinden, um diese Marke stark zu halten", meint er und betont, den Open Source-Gedanken niemals aufgeben zu wollen: "Free and open is the key for us." Ganz im Gegensatz zum klassischen Marketing, bei dem produktabhängige Services unter Markenaspekten kostenfrei dazugegeben – oder an Nischenanbieter ausgelagert – werden (Microsofts Position zu Open Source ist ein Beispiel hierfür), hat Bruno das kommerzielle Angebot mit viel Geschick rund um den Open Source-Kern herum positioniert. So dient, traditionell ausgedrückt, das freie Netzwerkanalyse-Tool als "Core Business", und die ergänzenden, kommerziellen Hard- und Softwareprodukte decken präzise die "Nischen" ab.

Wireshark produziert zwar keine "versteckten Betriebskosten", aber im Grunde führt Cace Technologies einen Trend fort, den Printer- und Zubehör-Hersteller begonnen haben: das Kernprodukt günstig anbieten und mit Zusatzprodukten, Ersatz- und Verschleißteilen verdienen. In der Open-Source-Welt nennt man das Open Core; eine Reihe von anbietern verfolgen den Ansatz, ihre Software als Open-Source-Plattform zu pflegen und über kostenpflichtige Zusatzmodule und Dienstleistungen einen Mehrwert zu erbringen.

Allerdings hat der gebürtige Italiener Bruno die Umkehr vom Kern zur Nische bis ins Detail perfektioniert. Mit sicherem Gespür für das ideale Team holte Bruno seinen Landsmann Loris Degioanni ins kalifornische Davis und gründete mit ihm 2005 die Firma Creative Advanced Communication Engineering (CACE) Technologies, deren abgekürzter Name sich wie "case" in "case studies" ausspricht. Noch während des Studiums in Turin hatte Degioanni WinPcap entwickelt. Auf diesem Treiber, der das Aufzeichnen von Datenpaketen unter Windows erst ermöglicht, basierte von Anfang an auch die Windows-Version von Wireshark.

John Bruno, Wireshark-Erfinder Gerald Combs und WinPcap-Entwickler Loris Degioanni (von links)

Die steigende Nachfrage nach der Analyse drahtloser Netze war es, die Wireshark-Entwickler Combs mit ihm zusammenbrachte. Er fragte ihn an, ob sich der WinPcap-Treiber für WLANs erweitern ließe. Folgegespräche führten dann dazu, dass Gerald Combs zu Cace Technologies wechselte, womit sich das "Dream Team" formierte.

Die beiden Entwickler, deren Software längst den Kinderschuhen entwachsen ist, lassen sich am besten mit dem Begriff Geek beschreiben, während Professor Bruno mit Kompetenz und Weitsicht die geschäftlichen Fäden in der Hand hält. Er wirkt nicht nur als CEO, sondern ist auf eine ganz besondere Art Business Angel und väterlicher Freund zugleich. Die Bescheidenheit, mit der er auftritt, nimmt man ihm durchaus ab: "Wir nehmen uns nicht so wichtig." Der leicht dahingesagte Leitspruch und der vertraut-fröhliche Umgangston spornt die 16-köpfige Mannschaft zu Höchstleistungen an. Diese persönlichen USPs sind schwer zu imitieren und sorgen zusammen mit den Wireshark-Produktvorteilen dafür, dass der Wettbewerbsvorsprung erhalten bleibt.

Dafür, dass das eingeschworene Team klein bleibt, sorgt schon die virtuelle Produktionsstruktur. Mehr als 600 Entwickler weltweit fühlten sich bislang herausgefordert, das Angebot an Protokoll-Decodern auf dem neuesten Stand zu halten. Die kostenminimale Produktion dürfte der Wunschtraum eines jeden Manager sein. "Gerald arbeitet vollzeit an Wireshark", erklärt John Bruno, "und Loris an WinPcap".

Um diese beiden Produkte herum werden die kommerziellen Nischen belegt. Die Angebotspalette des Unternehmens ist klein, aber perfekt auf Millionen von Wireshark-Benutzern zugeschnitten. Das sind derzeit

  • das Pilot Monitoring and Reporting System, das die Wireshark-Ergebnisse visualisiert und die Bedienung des Tools vereinfacht;
  • die auf das Analysieren von drahtlosen Netzen optimierten WLAN-Adapter der AirPcap-SerieM
  • der TurboCap Gigabit-Adapter, der das gleiche für das LAN leistet;
  • Support und Dienstleistungen.

Genauso wie das Produktions- ist auch das Marketing-Budget minimal, da das Core-Produkt sich von allein vertreibt und die kommerziell angebotenen Produkte und Services in der Heckwelle der Protokoll-Analyse mitschwimmen. Wie alle CEOs mag sich Bruno nicht zu Umsätzen äußern, es kann jedoch angenommen werden, dass sich bei etwa 500.000 Wireshark-Downloads pro Monat auch der Umsatz mit "Nischen"-Produkten zum Millionen-Business hochrechnet.

Ausgeklügelt ist auch die Konstellation, wie Wireshark weiterentwickelt wird. Neben Gerald Combs tragen rund 40 Core-Entwickler weltweit zu dem Open-Source-Produkt bei. Die wenigsten davon haben sich jemals persönlich getroffen, denn die Produktion findet verteilt über den ganzen Erdball statt. Je nach Spezialgebiet bringt jeder seine Erfahrung mit ein. Zum Core-Entwickler qualifizierten sie sich, indem sie einen wesentlichen Teil zum Wireshark-Programm hinzugefügt und damit bewiesen haben, nach den Regeln des komplexen Open-Source-Puzzles spielen zu können. Sie müssen viel Programmierkompetenz mitbringen, denn es ist ihnen erlaubt, den selbst entwickelten Code direkt einfließen zu lassen.

Gerald Combs, Chef der Wireshark-Entwicklung

Alle andern Beiträge zu Protokoll-Decodern übernimmt Combs kontrolliert ins Programm. Da jeder Mitspieler dort namentlich erwähnt wird, liest sich die im "About" von Wireshark versteckte Liste wie das Who is who der IT-Branche. Sie enthält Namen von vielen renommierten Firmen wie etwa Cisco, IBM, IEEE, Motorola, Nokia, Nortel oder Oracle sowie Entwickler von zahlreichen Hochschulen aus aller Welt.

In persönlichen Gesprächen erklären Entwickler von Ericsson, Philips und Siemens, die zum diesjährigen SharkFest kamen, wie künftig wichtige Protokoll-Erweiterungen entstehen. So beauftragen diese Firmen ihre Entwickler, noch nicht von Wireshark unterstützte Protokolle zu dekodieren und den Quelltext dann an die Community weiterzugeben. Das ist nicht nur sozial, sondern auch Selbstzweck: Die Firmen erreichen damit, dass ein ausgereiftes Tool für ihre eigenen, internen Zwecke optimiert eingesetzt werden kann. Der Benefit entspricht somit einem Gegengeschäft und kennzeichnet die Symbiose zwischen Anbietern proprietärer Produkte und der Open Source-Gemeinde.

Erstaunlicherweise läuft das Schulungsgeschäft völlig getrennt. "Training ist sehr wichtig für Wireshark", erklärt Bruno, "aber es ist nicht unser Geschäft". Dies ist der Grund dafür, dass das umsatzträchtige Business in den USA komplett an die Wireshark University von Laura Chappell abgegeben wurde. Auch in Europa, wo viele Core-Entwickler aktiv sind, ist das Trainingsgeschäft bereits gut etabliert. So bietet etwa die schweizerische Leutert NetServices eine ganze Palette von Wireshark-Kursen an.

Der Vortrag über "Wireless-Analyse mit Wireshark", mit dem Rolf Leutert die SharkFest-Teilnehmer begeisterte, war für allerdings nicht der einzige Grund, der Leutert zu der weiten Reise veranlasste: "15 Jahre lang war ich Anhänger des (kommerziellen) Sniffer von Network General und begeisterter Trainer, heute bin ich Wireshark-Fan", meint er, und erklärt den Wandel: "Mich faszinieren nicht nur dessen unzählige Möglichkeiten, sondern auch die geniale Art und Weise, wie dieses Tool weiterentwickelt wird." An dem Open-Source-Produkt schätzt er zudem die Tatsache, dass es bis heute absolut werbefrei blieb: "Die Versuchung ist groß, eine so erfolgreiche Software mit Hinweisen auf Zusatzprodukte zu verzieren."

Die Wertschätzung des Profi-Werkzeugs unterstreicht auch eine Begegnung am Rande. Selbst Harry Saal, Mitgründer von Sniffer-Hersteller Network General, erwies dem Entwickler-Team mit seiner Anwesenheit am SharkFest die Ehre. (odi) (odi)