Wissen ist Macht: die Netzpolitik der kleinen Anfragen

Seit der jüngsten Bundestagswahl hat es die Opposition schwer. Linke und Grüne kommen im Parlament insgesamt gerade mal auf 20 Prozent. Um trotzdem Politik zu machen, nutzt vor allem die Die Linke ein sehr effektives Mittel: die Politik der Kleinen Anfragen.

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Von
  • Stefan Mey
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Die Linkspartei kann allein in diesem Jahr 18 kleine Anfragen zu digitalen Themen an die Bundesregierung vorweisen, die Grünen sind mit fünf Anfragen etwas zurückhaltender. Im Mai hat die Linkspartei die Bundesregierung etwa zur Zukunft der Breitbandversorgung befragt, im April zur Rolle privater IT-Dienstleister bei der Strafverfolgung und im März zur Manipulation vernetzter Fahrzeuge.

Bei den momentanen Mehrheitsverhältnissen seien Kleine Anfragen fast das einzige parlamentarische Mittel, das ihnen als Opposition noch bleibt, meint Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion. Das Ziel der Anfragen sei: Informationen zu erlangen, die dann in einen Gesetzesentwurf münden oder der Zivilgesellschaft zugänglich gemacht werden.

Der Anstoß für eine Kleine Anfrage komme entweder von ihr direkt, von Mitarbeitern und Kollegen, und manchmal auch von Bürgern. So war es bei ihrer jüngsten Anfrage, zum zum Beschäftigungs-Datenschutz in sozialen Netzwerken. Ein Bürger hatte sich telefonisch in ihrem Büro gemeldet, da er wegen einer Äußerung in einem Netzwerk Probleme mit seinem Arbeitgeber bekommen hatte. Wawyzniak ist der Sache nachgegangen: "Wir haben das gecheckt und gesehen, dass es nicht nur um einen Einzelfall, sondern um ein generelles Problem handelt. Es gab verschiedene, haarsträubende Urteile zu dem Thema. Deswegen haben wir eine Anfrage dazu gemacht."

Kleine Anfragen stehen jedem Bundestagsabgeordneten zu, sie müssen formal aber von 5 Prozent der Abgeordneten gestellt werden, in der Regel geschieht das über die Fraktion. Die Fragen werden schriftlich formuliert und die Bundesregierung muss innerhalb von zwei Wochen antworten. Oft verlängert sie die Frist aber. Am Ende erhält der Fragesteller ein Vorabformular und kurze Zeit später wird die Anfrage auf der Webseite des Bundestags veröffentlicht.

Die Kleine Anfrage hat in den vergangenen Jahren eine rasante Karriere hingelegt. Während es in den ersten Legislatur-Perioden der Bundesrepublik nur wenige hunderte gab, stieg die Zahl etwa ab 1987 stark an. In der 16. Wahlperiode, zwischen 2005 und 2009, wurden insgesamt 3300 solche Anfragen gestellt, mehr als 45 Prozent von der besonders aktiven Linkspartei. "Kleine Anfragen passen gut zur Logik des modernen Parlaments", erklärt sich Sven T. Siefken den Bedeutungszuwachs, Siefken ist Politikwissenschaftler an der Uni Halle. "Eine kleine Anfrage lässt sich vergleichsweise leicht stellen, sie führt zu einer ausführlichen schriftlichen Antwort, die sich an anderer Stelle verwenden lässt."

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Obwohl sie allen Parlamentarieren offen stehen, werden Kleine Anfragen fast ausschließlich von der Opposition genutzt, tendenziell stärker von den Linken als von den Grünen. Alternative parlamentarische Mittel sind die Große Anfragen, die von 5 Prozent des Parlaments zu stellen sind, sowie Schriftliche Fragen und Mündliche Fragen von Einzelabgeordneten.

Die Anfragen der Grünen kommen oft von Konstantin von Notz und Tabea Rößner, aber auch von Volker Beck (vor allem in den Bereichen digitale Bürgerrechte allgemein und Open Data), Renate Künast (Urheberrecht, Verbraucherrechte) und von Hans-Christian Ströbele (digitale Bürgerrechte allgemein).

Bei den Linken stammen Anfragen oft von Halina Wawzyniak (netzpolitische Sprecherin), aber auch von Andrej Hunko (besonders zum Thema Überwachung), Petra Sitte (Urheberrecht), Jan Korte (Datenschutz) und Herbert Behrens (Breitbandausbau).

Die Anfragen dienen der Informationsbeschaffung, sie haben aber auch eine symbolische Funktion, meint Siefken: "Parlamentarier können ihrem Wahlkreis oder ihrer Zielgruppe signalisieren: 'wir sind zwar in der Opposition, trotzdem kümmern wir uns um eure Belange. Wir löchern die Regierung mit den Fragen, die euch am Herzen liegen'."

Diese Nutzung kleiner Anfragen ist auch Gegenstand von Kritik. Im Februar warf der Focus die Frage auf, ob die Linke ihr Recht auf kleine Anfragen missbraucht. Das Magazin zitierte den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach und nicht näher charakterisierte hochrangige Beamte aus Sicherheitsbehörden, die hinter den vermeintlichen Späh-Angriffen eine Art linksradikale Verschwörung witterten. Die Linke nutze kleine Anfragen, um der Regierung sicherheitsrelevante Informationen zu entlocken, beispielsweise zu PR-Auftritten der Bundeswehr, und spiele sie dann linken Medien zu.

Die so gescholtene Partei bat wenige Tage später die Bundesregierung um ein Statement – per Kleiner Anfrage natürlich. Die Regierung sah jedoch keinerlei Hinweise auf einen Missbrauch des Fragerechts.

Auch Siefken hält den Vorwurf für nicht gerechtfertigt: "Von einem solchen Missbrauch kann keine Rede sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass parlamentarische Anfragen auch Öffentlichkeit herstellen. Was der Geheimhaltung bedarf, kann ja als vertrauliche Verschlusssache eingestuft werden." Die Praxis der kleinen Anfragen kritisiert er trotzdem. Er fragt sich, ob die Oppositionsparteien ihr Recht nicht manchmal überstrapazieren, da Kleine Anfragen für die Verwaltung sehr aufwändig sind. Informationen müssen in einem sehr kurzen Zeitraum zusammengetragen und intern abgestimmt werden. Wenn so viel angefragt wird, könne das sogar Gegenreaktionen provozieren: "Man muss aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Wenn Kleine Anfragen zu exzessiv und nur als Selbstzweck genutzt werden, ist es durchaus möglich, dass als Konsequenz das Fragerecht des Parlaments begrenzt wird."

Von Studierenden hat er Geschichten gehört, die an der Ernsthaftigkeit aller Anfragen zweifeln lassen: "Praktikanten im Bundestag berichten, dass ihnen gesagt wurde: 'Denk dir mal eine kleine Anfrage aus, die wir stellen könnten.'" Halina Wawzyniak von der Linken will für sich selbst ausschließen, dass die Anfragen der Selbstprofilierung dienen: "Für mich und mein Büro zumindest kann ich das nicht sagen. Ich frage mich nicht, welche kleine Anfrage wir heute stellen könnten, sondern wir denken uns tatsächlich etwas dabei."

Die Zivilgesellschaft greift kleine Anfragen dankbar auf. Dass das Maß voll sein könne, kann sich Christian Heise von der Open Knowledge Foundation Deutschland (Okfn) nicht vorstellen: "Meiner Meinung nach kann es gar nicht zu viele Anfragen geben. Sie sind ein legitimes demokratisches Mittel. Und in der aktuellen Parlamentskonstellation sind sie fast die einzige Möglichkeit, noch Einfluss zu nehmen." Netzpolitische Vereine und Initiativen wie die Okfn greifen die Antworten auf Kleine Anfragen oft dankbar auf. Als nützliches Beispiel fällt ihm eine Anfrage der Linken-Politikerin Petra Sitte ein. Sie hatte sich nach dem Stand des Opendata-Portals GovData erkundigt und bei der Erstellung der Fragen auch die Öffentlichkeit einbezogen.

Auch Alexander Sander vom Verein Digitale Gesellschaft findet die Anfragen sinnvoll: "Wir erfahren Sachen, die wir ansonsten nicht wüssten. Wir können das dann für unsere politische Arbeit nutzen, zum Beispiel für Gespräche mit Politikern." Er nennt als Beispiel eine Kleine Anfrage der Linken, die sich für "Computergestütztes Aufspüren von unerwünschtem Verhalten im öffentlichen Raum" interessierte, woraufhin das Innenministerium einige Fakten zu dem heiklen Thema preisgab.

Allerdings sind nicht alle Antworten in dem Schreiben der Bundesregierung gleichermaßen ergiebig, das ist ein generelles Problem bei kleinen Anfragen. Die Qualität der Antworten variiere sehr stark, kritisiert die Linken-Abgeordnete Wawzyniak. Das Justiz- und Verbraucherministerium beispielsweise zitiere oft schlicht aus Gesetzestexten, teilweise gebe man sich in den Ministerien aber schon Mühe, umfassend zu antworten.

Siefken hat das Gefühl, dass manche Beamte die Anfragen einfach schnell vom Tisch haben wollen, das habe aber sicher auch mit der schieren Menge zu tun. Regelmäßig komme es vor, dass ganz eng im Wortlauf geantwortet wird, teilweise nur mit Ja oder Nein. Sander von der Digitalen Gesellschaft stört, dass immer wieder versucht wird, Fragen nicht zu beantworten. "Da werden mehrere Fragen zu einer zusammengezogen, nach dem Motto 'wir antworten jetzt auf die Fragen 7 bis 11', und dann wird auf eine der Fragen eigentlich gar nicht eingegangen." Auch Heise von der Okfn sieht Optimierungs-Potenzial, nicht nur in der Verwaltung. Bei einigen Anfragen sei mehr herausholen, wenn die Fragen schlauer seien.

Nicht nur deswegen fände er es sinnvoll, wenn ein weiterer Kreis an der Erstellung kleiner Anfragen beteiligt wäre. Gerade bei Detail-Anfragen gebe es Menschen, die näher an der Lebenswirklichkeit dran sind als die Parlamentarier. Bis jetzt gab es mit der Anfrage zum Opendata-Portal GovData einen schüchternen Versuch des Crowdsourcings. Die Linken-Politikerin Petra Sitte hatte die Netz-Öffentlichkeit um Fragen gebeten und die auf einem Etherpad gesammelt und zusammengestellt. "Das war ein Test, wie sich eine Anfrage kollaborativ erstellen lässt", erläutert Wawzyniak. Sie schließe nicht aus, dass sich das in Zukunft vielleicht wiederholt, allerdings seien solche kollaborativen Prozesse auch zweischneidig: "Ich würde ungern jemanden erklären müssen, wieso diese oder jene Frage gerade nicht so sinnvoll ist."

Zur Zeit warten Wawzyniak und ihre Kollegen von der Linkspartei auf Antworten auf drei klassisch erstellte Anfragen: Es geht um das rechte Onlineportal Politikfragen.net, den Stand der europäischen "Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen" und das deutsch-amerikanische Abkommen zum Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten.

Sie nutzen das Mittel, das ihnen als Opposition bleibt. Natürlich hat der politische Gegenspieler gelernt, mit dem Instrument umzugehen, und vielleicht ist es durch zu häufigen Gebrauch auch abgenutzt.Trotzdem bleibt es ihre schärfste Waffe im Kampf um Regierungsbekenntnisse, Verwaltungsgeheimnisse und öffentliche Aufmerksamkeit: die Netzpolitik der kleinen Anfragen. (anw)