Erfindungen als technische Evolution

Mathematiker haben anhand von technischen Klassifizierungen des US-Patentamts seit 1790 untersucht, wie stark Erfindungen tatsächlich auf bekannten Technologien aufbauen.

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  • TR Online

Mathematiker haben anhand von technischen Klassifizierungen des US-Patentamts seit 1790 untersucht, wie stark Erfindungen tatsächlich auf bekannten Technologien aufbauen.

Die meisten Ingenieure betrachten Erfindungen als einen kombinatorischen Prozess. In dem verbindet jemand vorhandene Technologien, um ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Erfindungen bauen auf Fortschritten auf, die andere zuvor gemacht haben. Die Glühbirne etwa war möglich, weil man bereits Strom, Glühdrähte, Glas und reaktionsträge Gase herstellen konnte. Der Laser war dank hochreflektiver Hohlräume realisierbar.

Das Erfinden ist also eine kluge Bewegung durch einen Raum voller technischer Permutationen. Neue Dinge entstehen, indem man alte in neuer Weise zusammenfügt. Hyejin Youn von der University of Oxford und Kollegen wollten jedoch untersuchen, ob diese Ansicht wirklich begründet ist. Sie nahmen sich Daten des US-Patentamts vor, die bis zum Jahr 1790 zurückreichen.

„Wir nutzten die technischen Klassifizierungen aus, die das US-Patentamt verwendet, um die Neuheit einer Erfindung zu belegen“, schreiben Youn und Kollegen in einem Paper, das sie kürzlich auf dem arXiv-Server veröffentlicht haben. Diese Kennzeichnungen ordnen Erfindungen bestimmten technischen Feldern zu.

Mit ihrer Hilfe ließ sich die Probe aufs Exempel machen: Sind Erfindungen eher eine Verfeinerung existierender Technologien, in der bekannte Kombinationen aus mehreren Technologien weiterentwickelt werden? Oder spielen auch neue Kombinationen eine Rolle?

Die Ergebnisse ihres Patent-Dataminings zeichnen nun erstmals ein genaueres Bild. Danach sind rund 40 Prozent aller angemeldeten Erfindungen eine Variante bereits bekannter Kombinationen von Technologien. 60 Prozent hingegen bauen auf ganz neuen Kombinationen auf, auf die zuvor niemand gekommen war.

Diese Erkenntnis ist nicht nur von akademischem Interesse. Offensichtlich ist der schlichte Random Walk durch Permutationen von Technologien nicht die wichtigste Quelle von Technologien.

Youn und Kollegen weisen darauf hin, dass bestimmte Permutationen von vorneherein ausgeschlossen sind: Prothesen, die explodieren, oder Zahnbürsten, die Espresso machen, ergeben natürlich keinen Sinn. Hinzu kommt, dass bestimmte „Phänotypen“ von Technologien – Software-Betriebssysteme oder Abmessungen von Straßen etwa – den Möglichkeitsraum weiter einengen.

„Die riesige Lücke zwischen der möglichen und der tatsächlichen Anzahl von technischen Kombinationen legt nahe, dass nur eine kleine Untermenge von Kombinationen zu Erfindungen wird“, so Youn und Kollegen.

Hier tut sich eine interessante Parallele zur DNA-basierten Evolution von Lebensformen auf. Auch die ist ein kombinatorischer Prozess, der auf einer begrenzten Zahl von chemischen Bausteinen aufbaut – den Genen, die Proteine kodieren. Die Formenvielfalt, die daraus entsteht, ist dennoch beachtlich. Ähnlich ist es auch bei Erfindungen: Die Zahl der bereits vorhandenen und sinnvoll kombinierbaren Technologien ist ebenfalls begrenzt.

Mehr noch ist die biologische Evolution pfadabhängig. Ob die Anpassung einer Art an die Umwelt erfolgreich ist, hängt auch von der Reihenfolge vorangegangener Veränderungen ab. Die natürliche Selektion fällt dann das Urteil.

Youn und Kollegen empfehlen, die Natur solcher kombinatorischen Prozesse noch gründlicher zu erforschen. Dadurch könnte sich ein Weg eröffnen, die technische Evolution auch quantitativ zu bewerten. Für die Technologiepolitik, die Innovationen im globalen Wettbewerb effizient fördern will, dürfte die Arbeit der vier Mathematiker noch sehr interessant werden.

Das Paper:
Youn, H. et al: Invention as a Combinatorial Process: Evidence from U.S. Patents, arXiv.org, 11.6.2014, Abstract

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