Die Senkrechtstarter

Deutschland hat neue Flugpioniere: Erfinder aus Karlsruhe haben den ersten rein elektrisch fliegenden bemannten Multicopter gebaut.

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Von
  • Jens Lubbadeh

Deutschland hat neue Flugpioniere: Erfinder aus Karlsruhe haben den ersten rein elektrisch fliegenden bemannten Multicopter gebaut.

Es riecht nach Kleber, nach Holzstaub, nach Arbeit, wenn man durch die Hallen der DG Flugzeugbau läuft, hier in Bruchsal, knapp 25 Kilometer vor Karlsruhe. Stephan Wolfs Ziel ist die hinterste Halle, vorbei an den langen Windrad-Rotoren und Segelflugzeugrümpfen, an noch unfertigen Carbonfaser-Formen. Da steht er, der Volocopter. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein normaler Helikopter – nur hat er erstens keinen Schwanz, zweitens 18 Rotoren und drittens einen Akku. Es ist der große bemannte Bruder einer Drohne, auch wenn Stephan Wolf das Wort nicht mag ("Bei Drohnen denken die Leute immer an Militär oder Spielzeug"). Fast zärtlich berührt er die Passagierkabine des Zweisitzers. Das hier ist kein Spielzeug, das ist die "Luftfahrt-Revolution made in Germany", wie der Volocopter angepriesen wird. Und es hat Wolf viele Jahre und viel Hartnäckigkeit gekostet, ihn zu bauen.

Rückblende. 28. Oktober 2011: Auf YouTube sammelt ein seltsames Video gerade rasant Klicks. Alexander Zosel, Stephan Wolfs Mitstreiter, hat es erst am Vortag fertig geschnitten und ist dann in den Flieger nach Nepal gestiegen. Wenige Tage später schickt Wolf an Zosel eine E-Mail: "Alex, du musst sofort zurückkommen. Hier bricht die Hölle los." Das Telefon läuft heiß, die Presse will Antworten. Zosels vierwöchiger Urlaub findet nach nur einer Woche ein vorzeitiges Ende.

Zosel grinst, als er diese Geschichte erzählt. "Wir hätten nie gedacht, dass das so abgehen würde." Das Video zeigt einen Mann mit Helm, der auf einem merkwürdigen flachen Drahtgebilde mit vielen kleinen Rotoren sitzt. Dieses Ding sieht tatsächlich aus wie ein Spielzeug, wie ein überdimensionierter Modellbau-Quadrocopter und noch längst nicht so ausgereift wie der Volocopter. Mann und Drohne balancieren auf einem silbernen Gymnastikball. Der Mann drückt einen Hebel, und die Rotoren fangen an zu sirren. Mann und Drahtkonstruktion heben ab – nur wenige Meter hoch, aber es war der Durchbruch: "Wir haben damit bewiesen, dass Multicopter mehr sind als nur Spielerei", sagt Zosel.

Zwei Jahre nach dem VC1, so der Name des Riesenmulticopters, stehen Zosel und Wolf in der Karlsruher Messehalle vor dem VC200, dem Volocopter. Es ist der 17. November 2013. Heute soll er seinen Jungfernflug absolvieren – vor Publikum. Potenzielle Investoren und die Presse sind geladen. Es geht um alles. Doch für Wolf, den Homo Faber und gelernten Programmierer, war klar: "Es musste einfach klappen. Wir hatten alles x-mal durchgerechnet und simuliert."

Und als dann ein Mitarbeiter den Hebel auf der Fernbedienung umlegt, heben sich tatsächlich 380 Kilogramm in die Luft: 300 Kilo Leergewicht plus ein Sack Schrauben auf dem Sitz, die das Gewicht eines Passagiers simulieren. Alles geht gut, der Volocopter landet sanft, der Schraubensack ist wohlauf, die Jungs von E-Volo – so nennen sie ihre junge Firma – jubeln. Damit beginnt der Senkrechtstart der Senkrechtstarter. 400.000 Euro an Eigenkapital hatten sie bis dahin in den Volocopter gesteckt. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte 1,2 Millionen Euro dazugegeben. Der Jungfernflug überzeugte die dringend benötigten Investoren und verhalf der anschließenden Crowdfunding-Kampagne zum Erfolg. Sie spielt nochmals 1,2 Millionen Euro ein.

Aufgebockt auf einem Holzgestell steht die Passagierkabine des Volocopters nun in der Halle in Bruchsal und wartet auf ihren nächsten großen Auftritt bei der Luftfahrtmesse Aero im April in Friedrichshafen. Stephan Wolf zeigt mir die Besonderheiten seines Babys. Der Multicopter hat keinen Heckrotor. Braucht er nicht, weil sich neun der Rotoren rechts herum drehen und neun linksherum – die Drehmomente gleichen sich aus. Geflogen wird mit einem einfachen Steuerknüppel. Hebel vor: Gas. Zurück: Bremsen. Rechts oder links fliegt eine Kurve. Man kann ihn sogar loslassen – der Volocopter bleibt auf der Stelle. Seine Spitzengeschwindigkeit beträgt 100 Stundenkilometer, 2000 Meter ist seine maximale Flughöhe und sein 90 Kilogramm schwerer Akku reicht derzeit für 20 Minuten Flug, die beiden peilen aber in der Endversion des Volocopters eine Stunde an.

"Safety first und keep it simple", sagt Zosel. "Das waren unsere Leitgedanken." Sollte ein Rotor ausfallen, stürzt man nicht ab, weil die Steuerungssoftware dann den Verlust ausgleicht. Und falls doch alles scheitern sollte, gibt es immer noch den Fallschirm im Kabinendach, den ein Seilzug auslöst.

Kein Wunder, dass es schon jede Menge Interessenten gibt. Ein russischer Millionär wollte sofort ein Exemplar haben, erzählt Stephan Wolf. Und Flugschulen stehen bereits Schlange. Für sie ist der Volocopter ein ideales Fluggerät, denn für ihn wird eine einfache Sportpilotenlizenz genügen. Sie kostet nur ein Zehntel dessen, was Hubschrauberpiloten für ihre Lizenz hinblättern müssen. Der Volocopter selbst schlägt mit 250000 Euro zu Buche, so viel wie für einen kleinen Helikopter. Doch erst muss noch eine eigene Luftfahrzeugklasse für ihn geschaffen werden – der elektrische Multicopter passt in keine bestehende hinein. Doch das sei nur noch eine Formalität, sagen Wolf und Zosel. Die zuständige Behörde habe bereits grünes Licht gegeben.

Und so lange wollen die beiden noch warten und sich dann erst hineinsetzen in ihren Volocopter, den Steuerknüppel nach vorn drücken und endlich abheben. (jlu)