Watt geht ab

Elektroantriebe sind bei Profi-Radrennen strikt verboten. Parallel zu den offiziellen Wettkämpfen formiert sich jedoch eine private E-Bike-Rennszene. Freizeitsportler haben die Vorteile der Motorunterstützung ohnehin längst zu schätzen gelernt.

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Von
  • Jörn Iken

Elektroantriebe sind bei Profi-Radrennen strikt verboten. Parallel zu den offiziellen Wettkämpfen formiert sich jedoch eine private E-Bike-Rennszene. Freizeitsportler haben die Vorteile der Motorunterstützung ohnehin längst zu schätzen gelernt.

Hat er, oder hat er nicht? Nichts ist bewiesen, aber die Gerüchte schwirrten durch die Luft. Der italienische Fernsehsender RAI und der Ex-Profi Davide Cassani wiesen als Erste auf den bärenstarken Radprofi Fabian Cancellara hin. Ihr Vorwurf: Dessen Rennrad beherberge möglicherweise einen E-Motor. Die beiden Frühjahrsklassiker Paris–Roubaix und die Flandern-Rundfahrt entschied der Schweizer 2010 völlig überraschend für sich. Er fuhr, als wenn er einen Hilfsmotor hätte, der sich samt Batterie im Sattelrohr versteckte. Zuschauer können bestätigen, dass der Rennradfahrer wie "aufgezogen" dem Feld davoneilte. Noch heute sind die Details bei YouTube zu sehen.

Technisch machbar wäre das "Elektrodoping". Die großvolumigen Rohre eines modernen Rennrads bieten Platz für den Antrieb, zum Beispiel direkt auf dem Tretlager. Die Technik dafür steht seit 2007 serienreif zur Verfügung, entwickelt hat sie ein österreichisches Unternehmen. Dass die Zielgruppe eher sportliche Ambitionen hat, zeigt das Einsatzfeld: Der 200 Watt starke Motor unterstützt den Fahrer im Bereich von 60 bis 90 Pedalumdrehungen. Anfangs gab es den Antrieb nur als Nachrüstsatz, seit 2008 ist das System auch als Komplett-Bike zu haben. Er gilt als der leichteste und kompakteste Elektroantrieb weltweit, noch nicht einmal ein Kilogramm bringt er auf die Waage. Die Attribute, mit denen er beworben wird, sprechen Bände: perfekte Tarnung, unsichtbar, verdeckte Power.

Die Maße gelten allerdings nur für den Antrieb ohne Batterie. Kommt sie hinzu, ist die Power nicht mehr ganz so unsichtbar. Viele Branchenkenner glauben daher nicht an den elektrischen Helfer im Sattelrohr. Zwar könnte auch ein Rennrad mit einem Motor versehen werden, aber: "Die Batterie ist zu groß, das Motorgeräusch zu laut", wendet Arne Sudhoff ein. Er ist Pressesprecher der Derby Cycle Holding, Deutschlands größtem Fahrradhersteller, und hat die Cancellara-Fahrt beobachtet. "Motor und Batterie lassen sich nur schwer verstecken und sorgen vor allem für ein höheres Gewicht", merkt er an. Diese für ein Profirennrad enorme Gewichtszunahme durch die mitgeführte Batterie dürfte das stärkste Argument gegen das Elektrodoping sein. Restzweifel bleiben allerdings.

Wer einen Elektromotor im Profi-Radsport nutzt, macht sich eines Regelverstoßes schuldig. Auch das Ansinnen, mit den E-Bikes eine neue Rennklasse zu eröffnen, stößt beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) auf wenig Begeisterung. Als Lizenzgeber für die Profis spricht er sich bislang strikt gegen eine unterstützende Antriebstechnik aus. "Das gehört überhaupt nicht in unsere Belange, wir lehnen jede Form dieser E-Antriebe im Sport ab." Der Einsatz von Technik rund ums Rad werde vielmehr generell zurückgefahren, etwa auch bei der Vollverkleidung auf der Bahn. Der Sportgedanke drohe sonst in einer Materialschlacht unterzugehen.

Die Diskussion zeigt jedoch, wie weit die Technik mittlerweile fortgeschritten ist. Auch wenn das Elektro-Doping Profis verboten ist – im Freizeitsport hält es immer mehr Einzug. Jenseits der BDR-gesteuerten Profiliga entwickelt sich inzwischen eine Rennszene der E-Mountainbikes und in bescheidenerem Umfang auch der E-Rennräder. Sie wird an den Radsportverbänden vorbei privat organisiert. Unter dem Namen "E-Bike World Championship" startete Ende April dieses Jahres beispielsweise eine Rennserie in den Niederlanden, Deutschland und Südtirol. Ein bescheidener Anfang. Aber ähnlich begann auch der Siegeszug des Mountainbikes – vom Spielzeug kalifornischer Freaks bis zur olympischen Disziplin. Der Aufstieg dauerte 20 Jahre.

Im Hobbysport und in der Radtouristik hat sich der E-Antrieb derweil längst durchgesetzt. Viele Verleihstationen in Urlaubsgebieten haben elektrisch unterstützte Mountainbikes oder Reiseräder im Angebot. Von einem "völlig neuen Fahrerlebnis", schwärmt Radspezialist Sudhoff: "Man hat das Gefühl, Kraft ohne Ende zu haben oder ständig einen angenehmen Rückenwind zu spüren." Das findet offenbar eine zunehmend größere Gruppe von Hobbyradlern attraktiv. Laut einer Auswertung des Fahrradmarkts durch den Zweirad-Industrie-Verband sind ein Drittel der E-Bike-Käufer den Radtouristen zuzurechnen.

Diesen Trend nutzen Hotelbesitzer wie Roland Rombach. Der Unternehmer hat sich mit seinem Sport- und Bike-Hostel in Kirchzarten im Schwarzwald niedergelassen, einem Mekka der Offroad-Begeisterten. Rombach organisiert mehrtägige Touren durch das Berggelände des Schwarzwalds und hat seit zwei Jahren eine zunehmende Anzahl von E-Mountainbikes im Fuhrpark. "Ich gewinne dadurch neue Kundengruppen", lautet sein Fazit. E-Bike-Kunden sind bei ihm vor allem die Freizeitradler mit nicht ganz so durchtrainierten Oberschenkeln. "Die Touren, die wir fahren, wären für diese Gruppe mit einem normalen Bike nicht machbar", sagt er.

Jeder Neuling auf einem E-Bike bekommt bei Sporthotelier Rombach eine Fünf-Minuten-Einweisung, bevor er sich auf das getunte Rad schwingen darf. "E-Bikes sind nicht gefährlich, aber es gibt schon einige Besonderheiten", sagt Rombach. Eine der wichtigsten Regeln: Strom sparen. Die Touren sind so ausgelegt, dass man mit einer Batteriefüllung wieder ins Hostel zurückkommt oder ein Etappenziel erreicht. Wer sein Batteriepotenzial vor dem Ziel voll ausschöpft, hat es von da an schwer. Gravierender aber ist der Hinweis, sich nicht dem Geschwindigkeitsrausch zu überlassen. Gerade bergab erreicht ein E-Bike, auch bedingt durch das hohe Gewicht, ein enormes Tempo.

Eine kleine, aber besonders E-Bike-begeisterte Minderheit unter den Freizeitsportlern stellen die Fernreisenden dar. Die Grenze zum Extremsport ist dabei fließend. Susanne Brüsch leitet das Berliner Unternehmen Pedelec Adventures und setzt die Elektroflitzer seit 17 Jahren bei ihren Touren ein. Mit bis zu 45 km/h schnellen Pedelecs bereiste sie Marokko, Island und die Mongolei. Satte 50 Kilogramm brachte ihr Rad etwa bei der Fahrt durch die Mongolei auf die Waage, dazu ein Anhänger mit einer Solaranlage zum Aufladen der Batterie mit noch einmal dem gleichen Gewicht.

"Allein zehn Kilogramm wog die Batterie", berichtet sie. Trotz dieser Lasten schafften sie und ihr Team Tagesetappen, die ohne Elektrounterstützung undenkbar wären. "Für solche Touren sind die schnellen Pedelecs ideal. Mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 32 Kilometern pro Stunde kamen wir zügig voran." Dank des Solarmoduls auf dem Anhänger durchquerte das Team die mongolische Steppe und Berglandschaft völlig autark. (bsc)