Eine reichlich späte Petition gegen Teststandard ISO 29119

Kritiker sehen beim teilweise schon fertigen ISO-Standard das Gewicht zu sehr auf Prozessen und Dokumentation, nicht jedoch der auf agil gelebten Praxis in der Softwareentwicklung.

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Von
  • Alexander Neumann

Die International Organization for Standardization arbeitet im Rahmen des ISO-Standard 29119 gemeinsam mit dem IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) und der IEC (International Electrotechnical Commission) an einem genormten Vorgehen, das Prozesse, Dokumentation, Techniken für manuelles und automatisiertes Testing behandelt. Die ersten drei Teile des Standards (Konzepte und Definitionen, Testprozesse, Testdokumentation) wurden bereits im letzten Jahr veröffentlicht, die anderen beiden stehen kurz vor der Verabschiedung (Testtechniken) oder werden wohl nächstes Jahr freigegeben (Keyword-Driven Testing). Über kurz oder lang soll der neue Standard die Normen IEEE 829 (Test Dokumentation), IEEE 1008 (Unit Testing) und BS 7925 (Testtechniken) ablösen.

Auf derzeit knapp 1000 Unterzeichner kommt die Petition gegen den neuen ISO-Teststandard.

(Bild: Stop 29119 auf ipetitions.com )

Standards sind für sich genommen meist eine gute Sache, und die hinter dem ISO 29119 stehenden Organisationen sind renommiert, doch hat sich unter der Schirmherrschaft der International Society for Software Testing eine Front gegen den neuen Standard aufgetan. Diese manifestiert sich auf der "Stop 29119"-Webseite auf ipetitions.com. Die Petitoren beobachten unter professionellen Testern schon länger eine ernstzunehmende, aber in sich uneinige Opposition gegenüber den mit dem Standard festgeschriebenen Inhalten. So lege der ISO 29119 zu viel Gewicht auf Prozesse und Dokumentation, nicht jedoch auf agil gelebte Praxis in der Softwareprüfung (Schlagwort "exploratives Testen"). In der Petition fordern die Kritiker auf, die bereits erarbeiteten Standards zurückzuziehen und die Arbeit an den noch ausstehenden einzustellen.

Matthias Daigl, Mitarbeiter bei der Standardisierung, wundert sich über die Petition.

Die Kritik an dem ISO-Standard zu diesem späten Zeitpunkt kommt überraschend, da an den Dokumenten seit einigen Jahren gearbeitet wird und drei der fünf im Standard untergeordneten Teile ja bereits seit dem letzten Jahr veröffentlicht sind. Laut Matthias Daigl von der Firma imbus, einem Spezialisten im Umfeld Softwarequalitätssicherung, hätten sich die jetzigen Kritiker auch in die Standardisierung einbringen können. Daigl, der am Standard mitgewirkt hat, berichtete im Gespräch mit heise Developer, dass er die für den ISO 29119 zuständige Behörde in ihren Prozessen als sehr offen und transparent und frei von Klüngelei wahrgenommen hätte. Er findet es zwar "sehr beeindruckend, dass es gelungen ist, so viele Menschen zu motivieren, die Petition zu unterzeichnen. Noch beeindruckender fände ich es, diese Leute zu motivieren, Zeit für die Verbesserung eines Teststandards aufzuwenden."

Außerdem kann der Berater die auf der Petitionsseite vorgebrachten Vorwürfe nicht recht nachvollziehen. Die in der Standardisierung involvierten Parteien stammen aus Forschung, Regierungsorganisationen, von großen Firmen und Beratungshäusern und hätten in ihrer Zusammenstellung zu einer "gesunden Mischung" beigetragen, die explizit eine Nähe zur Praxis gesucht hätte. Wer das so nicht sähe, der sei ja nicht dazu gezwungen, dem Standard bei der eigenen Qualitätssicherung zu folgen.

[Eine frühere Version des Artikels ließ fälschlicherweise die Association for Software Testing (AST) als Förderer der Petition auftreten.] (ane)