EU-Kommissarin Kroes: Das Internet Governance Forum soll handeln statt zu diskutieren

In Istanbul hat das 9. Internet Governance Forum begonnen. Zur Eröffnung betonte die für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes die Bedeutung der Veranstaltung.

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Von
  • Monika Ermert
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Neelie Kroes

(Bild: EU-Kommission)

EU-Kommissarin Neelie Kroes hat auf dem 9. Internet Governance Forum (IGF) in Istanbul gefordert, das IGF müsse fest etabliert und nicht nur alle fünf Jahre verlängert werden. Gleichzeitig müsse es auch endgültig zur zentralen Plattform für Problemlösungen in der Netzpolitik werden. "Hört auf zu reden und handelt", sagte Kroes.

Vier Tage lang soll auf dem IGF in Istanbul über Fragen der internationalen Netzpolitik diskutiert werden. Kroes, die in der EU-Kommission für die digitale Agenda zuständig ist, bezeichnete auch die rasche Reform der Aufsicht über Rootzone und DNS-Management – die IANA-Reform – als eine der zu erledigenden Aufgaben.

Mit der Forderung nach "echten Ergebnissen" der IGF-Arbeit steht Kroes keineswegs allein da. Seit Jahren wird darum gerungen, wie weit das als Experiment in Basisdemokratie gestartete Diskussionsforum von Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft in seinen Abschlussdokumenten gehen darf. Wenigstens Empfehlungen forderten Zivilgesellschaft und auch einige Länder wie etwa Brasilien immer wieder.

Das 9. Internet Governance Forum (IGF)

Auf dem Internet Governance Forum (IGF) der UN diskutieren Regierungen, Wirtschaftsvertreter und Bürgerrechtler über die Verwaltung wichtiger Internetfunktionen. Das 9. IGF findet vom 2. bis 5 Septembber 2014 in Istambul statt.

Brasilien hat mit seiner NetMundial-Konferenz und dem parallel verabschiedeten Marco Civil da Internet, einer brasilianischen Grundrechtserklärung für das Netz, im April das IGF unter Druck gesetzt. Die NetMundial-Abschlusserklärung gilt, wenn auch als relativ allgemeines Grundsatzdokument, doch als enormer Verhandlungserfolg, etwa indem Grundrechte betont das kollaborative "Multistakeholder-Modell" in Fragen der Netzregulierung anerkannt wird. Der Vorsitzende des Membership Advisory Committee und litauische Unesco-Diplomat Janis Karklins, regte an, die Sao-Paolo-Erklärung in die Generalversammlung einzubringen.

Karklins bemühte sich, Fortschritte des IGF in Richtung praktische Ergebnisse in Aussicht zu stellen. Unter anderem sollen Best-Practice-Dokumente aus den Foren hervorgehen. Möglicherweise könnten sogar jeweils einzelne Schwerpunktthemen aufgegriffen und dafür ein "rough consensus", ein nicht verbindlicher, aber doch von möglichst allen Teilnehmern mitgetragener Kompromiss erarbeitet werden. Schon dieses Mal hat das IGF sich zwei besondere Schwerpunktthemen gegeben: die Netzneutralität und die IANA-Reform. Doch ein "rough consensus" auch zu diesen Themen, von Datenschutz oder Internetzensur ganz zu schweigen, erscheint angesichts der Kontroversen sehr ambitioniert.

Rashid Ismailov, Deputy Minister of Communications and Mass Media of the Russian Federation unterstrich noch einmal, dass Netzpolitik am besten bei den Vereinten Nationen aufgehoben ist, und dort bei der Internationalen Fernmeldeunion. Das Ergebnis der NetMundial lehnt Russland generell ab; die Idee des "rough consensus", um zu politischen Übereinkünften in Internetfragen zu kommen, bezeichnete ein russischer Vertreter als ebenso unsinnig wie "ein bisschen schwanger". Eine Aufwertung des IGF oder eine Etablierung als dauerhafte UN-Einrichtung wie Kroes und, noch vor ihr, Teilnehmer des IGF gefordert haben, wird damit unwahrscheinlich.

Die Entscheidung muss die Generalversammlung treffen und die Mitgliedsländer müssen auch finanzielle Mittel zuweisen, sagte so Thomas Gass, Assistant-Secretary for Policy Coordination and Inter-Agency Affairs. Gass sagte gegenüber heise online, ein Verzicht auf das IGF wäre, gerade wegen seiner besonderen Organisationsform, bedauerlich, ganz ausgeschlossen sei er aber nicht trotz eines Bekenntnisses wie des von Kroes oder von Ministern aus Japan und verschiedenen lateinamerikanischen Ländern.

Um Geld kümmern sich dabei längst auch die anderen "Stakeholder". In Istanbul wurde die IGF Support Association ins Leben gerufen. 100.000 Dollar spendierte der Initiator, die Internet Society. Die Kernidee ist, im Stil der Obama-Kampagne für Crowdfunding für das IGF zu sorgen.

Karklins verwies als ein "echtes Ergebnis" auf eine offizielle Datenbank mit Programmen und Projekten. Darin finden sich etwa die Schaffung des Digitalisierungs-Rates in Polen oder des Cert in Indonesien.

Die IGF Koalition Internet Rechte und Prinzipien, die vor fünf Jahren einen Grundrechtskatalog vorgelegt hat, feierte als ein praktisches Ergebnis, das dieser auf türkisch publiziert wurde. Die trotz Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiter verschärften Internetzensur-Gesetze in der Türkei sind im Lauf der Woche noch Thema in einer eigenen Ungovernance-Konferenz. Auch Kroes ging mit der Verletzungen von Meinungsfreiheit online und offline in Istanbul hart ins Gericht, aber nicht auf dem IGF, sondern in einem Vortrag an der Bilgi-Universität. (anw)