Was war. Was wird.
Die Wochenschau von Hal Faber: Auf der Suche nach Intelligenz im Internet.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war
*** Jetzt ist es raus: Die Europäische Union strebt nach der Weltherrschaft. Im Unterschied zu früheren Versuchen europäischer Staaten und Potentaten greift die EU aber zu moderneren Mitteln. Musste Karl der Große, der dieses Jahr groß gefeiert wird, die aufständischen Sachsen und Langobarden noch mit Schwert und Speer bekämpfen, greift das Europa unserer Tage zu Bits und Bytes. Das Internet soll's richten – die Schüler surfen im Unterricht und das normale Volk erfreut sich kostenloser Netz-Zugänge. Ein, zwei, drei – schon sind alle Probleme gelöst, das Wirtschaftswachstum explodiert und die Arbeitslosigkeit schrumpft auf Null. Na, das werden ja spannende Zeiten. Im Hintergrund aber scheppert leise das sardonische Lachen eines gewissen Herrn: "Grau, lieber Freund, ist alle Theorie..." Aber solange es der nächsten Wiederwahl dient, sind schwarze Kassen und nebulöse Projekte immer willkommen.
*** Der Zeitgeist, dem sich anscheinend auch die EU verpflichtet fühlt, schlägt allerdings voll durch. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein anderer Politiker, am besten ein Minister oder ein möglichst hoch gestellter Ministerialbeamter, entweder Internet für alle oder zumindest E-Mail für alle fordert. Das ist in, das ist modern, das fördert die Wirtschaft. So steht denn auch das ehemals unruhige Sachsen nicht hinter der EU zurück – nicht Widukind, nein, ein gewisser Karl Nolle, Landtagsabgeordneter der SPD in Dresden, will für das gesamte sächsische Wahlvolk E-Mail-Adressen einführen. Klasse Idee, und gleich befürwortet von anderen Fraktionen im Landtag. Das Adressen-Wirrwarr der sächsischen Repräsentanz im Internet würde endlich beendet, meinte gar ein PDS-Abgeordneter. Das wage ich zu bezweifeln: Folgte man dem Vorschlag Nolles, E-Mail-Adressen nach dem Muster vorname.nachmame@sachsen.de zu verteilen, dürfte das Wirrwarr eher noch größer werden. Was sollen denn dann all die Lieschen Müllers machen?
*** Nun findet sich auf der Web-Seite Sachsens, die auch alle Abgeordneten auflistet, zwar unter der Rubrik Zusammensetzung des Landtags ein gewisser Karl Nolle, seines Zeichens Druckereiunternehmer. Er kann aber nicht der gleiche Karl Nolle sein, der E-Mail für alle Sachsen fordert: Denn eine Mail-Adresse hat er nicht. Oder sind die beiden Personen doch identisch und die konfuse Gestaltung der sächsischen Web-Seite verhindert die Kommunikation? Immerhin: Warum sollte es den Volksvertreten besser gehen als normalen Mitgliedern der Bevölkerung. Auch die ist bislang nicht durchweg per E-Mail zu erreichen. Und wenn es dann doch zwei verschiedene Karl Nolles sind, bleibt die Frage, welche Mail-Adressen sie denn in Zukunft bekommen...
*** Die Lehrer will die Europäische Union übrigens gleich auch noch ausbilden. Es wäre ja auch zu peinlich, wenn ihre Schutzbefohlenen ihnen erst beibringen müssten, was denn eine E-Mail ist. Nicht alle Pädagogen dürften dem allerdings mit Freude entgegensehen. So mancher Lehrer, der sich schon um den Einsatz von Computern im Unterricht bemühte, wurde von Kollegen scheel angesehen – oder bekam sogar disziplinarische Probleme. So geschehen einem hessischen Lehrer. Erst von der Schulbehörde suspendiert, wurde nun seine Entlassung richterlich abgesegnet. Sein Vergehen: Als Leiter einer Computer-Arbeitsgemeinschaft hatte er ein Ballerspiel auf die Web-Seite seiner Schule freigeschaltet, bei dem man auf eine Klasse und deren Lehrerin schießen konnte. Die Richter lehnten den Antrag des Mannes, seine Suspendierung aufzuheben, erst einmal ab: Er habe nur zögerlich sein Fehlverhalten eingeräumt und sei daher als Pädagoge disqualifiziert. Schöne Aussichten für die Schulen, wenn die Kids dann, wenn wirklich alle europäischen Schulen am Netz sind, sich selbst ihre Wege durchs Internet bahnen.
*** Aber es weiß schon jemand Abhilfe für all die Probleme, die das Internet für die Schulen und die Zucht und die Ordnung in der Bevölkerung mit sich bringt: Die Stiftung Lesen ist der Ansicht, vor dem Surfen im Internet sollten die "Kinder erst Lesen und Schreiben beherrschen". "Der Führerschein für die Datenautobahn wird durch das Lesen erworben und nichts anderes", meint ein Vertreter der Organisation in einer Presseerklärung. Ja, was denn sonst? Oder erwartet der Mann, dass irgendein Rapper in Zukunft den Kids die URLs vorbrabbelt? Man mag angesichts mancher Web-Seite zwar an der Intelligenz der Gestalter und Inhaltsproduzenten zweifeln und sie eher für Hanseln mit verschärfter Lese- und Rechtschreibschwäche halten – schlimmer als in den diversen TV-Programmen (egal ob privat oder öffentlich-rechtlich) kann es im Internet aber auch nicht werden. Ich sehe schon die nächste Diskussion über den Untergang des Abendlands auf uns zukommen: Nach dem Radio, der Rock-Musik und schließlich dem Fernsehen ist es nun das Internet, das unsere Jugend verdirbt und sie von den klassischen Bildungsgütern unserer schönen deutschen Kultur ausschließt. Dabei ist der Zugang etwa zum Faust, der Phänomenologie des Geistes, Deutschland – Ein Wintermärchen oder gar dem Manifest der Kommunistischen Partei über das Internet oft einfacher als in der realen Welt: Ein Klick etwa auf die URL des Projekts Gutenberg, schon gibts mehr zu entdecken, als die meisten Buchhandlungen heutzutage noch anzubieten bereit sind. Anscheinend kann in den Zeiten der Internet-Euphorie jeder Hansel eine beliebige Binsenweisheit dafür nutzen, sich im Licht der Öffentlichkeit zu sonnen.
*** Solche Angebote wie das Projekt Gutenberg sehen die Vertreter der Internet-Ökonomie aber offensichtlich gar nicht so gern. Zumindest könnte man auf diese Idee kommen, wenn man die Mitteilung des Verbands der Deutschen Psychologen studiert, die jüngst in alle Redaktionsstuben flatterte. Denn die vereinigten Psycho-Doktoren greifen zu harscher Kritik: Die IT-Branche betreibe "Personalpolitik wie im Mittelalter". Hoppla, was ist da denn jetzt passiert: Die schöne neue Welt der jung-dynamischen Internet-Startups in einer Linie mit Hexenverbrennungen, Inquisition und Index Librorum Prohibitorum? Ganz so schlimm nun doch wieder nicht. Aber den Psychologen ist aufgefallen, dass auch die Manager der Branche, an die Europas Regierungschefs all ihre Hoffnungen für Vollbeschäftigung knüpfen, lieber Fachidioten einstellen als den allseits gebildeten, kommunikations- und teamfähigen Mitarbeiter, nach dem sie angeblich so händeringend suchen. Lebenslanges Lernen und ein gewisses Maß an Grundintelligenz? Vergesst es: Lernt lieber die Administration eines NT-Servers in- und auswendig, beherrscht das fließbandartige Ausstoßen von Code-Zeilen. Der neue Mensch der Internet-Ökonomie ist der alte Mensch des Taylorismus – nur macht er sich nicht mehr die Hände am Fließband schmutzig.
*** Und wo wir schon die ganze Zeit bei Intelligenz sind: Da war noch die Sache mit Open-Source-Software in der Verwaltung. Vor 14 Tagen tauchte auf dem Web-Server einer Abteilung des Innenministeriuns eine Studie auf, die darlegte, dass freie Software mittlerweile durchaus eine Alternative auch für die öffentliche Verwaltung ist – und sogar Vorteile bietet. Kostenlose Open-Source-Programme als Alternative zu teurer, proprietärer Software zumindest in Betracht zu ziehen: Allgemeine Anerkennung für diesen fortschrittlichen Gedanken war dem Innenministerium sicher. Zumal eine Arbeitsgruppe "Freie Software" schon auf EU-Ebene in dieser Richtung nachdenkt. Aber dann folgte der Hickhack um dieses Papier: Erst verschwand es "auf Anweisung von oben" von dem Server, dann war es Anfang der Woche wieder da, schließlich aber – auf Anweisung von noch höher? – endgültig verschwunden. Kommentar des Innenministeriums: Internes Papier, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, man prüfe ja nur. Aus der Analyse war inzwischen ein "Thesenpapier" geworden; geflissentlich verschwieg man in der Öffentlichkeit auch, dass die Papiere der Abteilung bislang immer veröffentlicht wurden, auch wenn sie erst einmal als Diskussionsgrundlage dienen sollten. An das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erging eine schriftliche Weisung, jegliche Stellungnahme zum Thema Open-Source-Software zu unterlassen und Anfragen direkt ans Innenministerium weiterzureichen. Ob vielleicht der Passus "aus der Abhängigkeit eines Herstellers lösen" Schuld an der ganzen Aufregung war? Fast könnte man meinen, dass ein gewisser Hersteller bei einer gewissen Staatsekretärin im Innenministerium in Berlin angerufen und unter Verweis auf langjährige gute Geschäftskontakte interveniert hat – bei der Anzahl Software-Lizenzen, die die öffentliche Verwaltung so einkauft, würde eine Entscheidung "Linux statt Windows" natürlich ein schönes Geschäft kaputt machen. Da setzt man schon mal einige Hebel in Bewegung und dreht an diversen Schrauben. Ein Schuft, der Böses dabei denkt.
Was wird
Global gesehen, um es einmal so zu sagen, ist Microsoft aber aus dem Schneider, zumindest, was den Kartell-Prozess in den USA betrifft. Nach all den Gerüchten und dem Hin und Her zwischen amerikanischem Justizministerium und dem Software-Konzern aus Seattle läuft wohl alles auf eine Einigung zwischen den Kontrahenten in der nächsten Woche hinaus. Die US-Regierung hat kein Interesse, es auf ein Gerichtsurteil ankommen zu lassen: Das langwierige Berufungsverfahren würde alle Strafen für Microsoft ad absurdum führen. Und die Redmonder möchten endlich raus aus dem Licht der kritischen Öffentlichkeit. Zwar könnte der Konzern hoffen, dass sich das gesamte Verfahren von selbst erledigt, wenn Bush Junior gegen den Demokraten Gore die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnt – das Risiko weiterer unangenehmer Enthüllungen und peinlicher Auftritte höherer Microsoft-Chargen erspart sich der Konzern aber gern. Schließlich haben Gates' Software-Bastler schon genug damit zu tun, sich der aufstrebenden Linux-Konkurrenz und der Abwendung der Benutzer vom klassischen PC zu erwehren. Es gibt genug zu tun, lassen wir's zu, wird sich Steve Ballmer, neuer Chef von Microsoft, gedacht haben: Kleine Zugeständnisse hier, ein Mini-Erfolg für das US-Justizministerium da – dafür keine Zerschlagung Microsofts, aber die Trennung von Internet-Browser und Betriebssystem. Wow, darauf haben wir die ganze Zeit gewartet. Das Ganze geht aus wie das Hornberger Schießen – oder, um es etwas angemessener für die Medienlandschaft unserer Zeit zu formulieren: Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix. (Hal Faber) (jk)