Ungovernance-Forum: Zensur ist Einfallstor zur Überwachung

Auf dem Ungovernance Forum in Istanbul warnten Edward Snowden und Julian Assange davor, dass Filtersysteme zur lokalen Unterdrückung zum trojanischen Pferd für die globale Ausspähung durch NSA & Co. mutieren: "eine einzige Sicherheitslücke genügt".

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Volker Zota

Das Internet Governance Forum sollte eigentlich Internet Censorship Forum heißen, kritisiert Julian Assange bei seinem Videoauftritt zum Abschluss des Internet Ungovernance Forum in Istanbul am Freitag abend. Der Wikileaks-Gründer hatte kurzfristig die letzte Keynote des Gegenevents zum 9. Internet Governance Forum (IGF) in Istanbul übernommen. Den zunächst angekündigten Edward Snowden hatten “technische Probleme” von seinem Live-Video Auftritt abgehalten (PDF Dokument).

Das Ungovernance Forum war von türkischen Aktivisten und Akademikern als Reaktion auf die Ablehnung all ihrer Workshop-Vorschläge zu Internet- und Medienzensur in der Türkei auf die Beine gestellt worden. Assange nutzte den Auftritt auch, um Einblicke in sein am 18. September erscheinendes neues Buch zu geben. Darin befasst sich der nach wie vor in Ecuadors Londoner Botschaft festsitzende Australier unter anderem mit der Rolle von Google als Teil des militärisch-industriellen Komplexes. Assange sprach dabei vom "Geheimdienste-industriellen Komplex".

"I am feeling evil", heißt es auf dem Buchdeckel, den der Schriftzug Wikileaks in den bunten Google-Farben ziert. "Wenn eine Firma zu groß wird", so Assange, "driftet sie automatisch in Richtung US State Department und Geheimdienste." Beide profitierten voneinander. Der Datenreichtum von Facebook und Google sei sehr attraktiv für die NSA, sagte Assange. Ein gutes Beispiel liefere China: Offiziell sei Google dort zwar raus geflogen, über Android würden dem Netz aber jeden Tag 1,5 Millionen neue Geräte hinzugefügt. "1.5 Millionen! In einem Jahr ist das mehr als die Bevölkerung der USA. Man stelle sich mal vor, diese Konferenz oder Wikileaks würden jedes Jahr um 1,5 Millionen wachsen!".

Wer kein direkter Partner ist, der werde eben gehackt, meint Assange. Er glaube auch nicht, dass irgendein erfolgreicher Telekommunikationsanbieter oder eine Kryptolösung lange sicher sein können: "Wenn sie sich im Markt erfolgreich durchgesetzt haben, ist der Anreiz, sie zu korrumpieren, zu hacken so groß, dass ich nicht glauben kann, dass etwas auf lange Zeit sicher ist."

Assange und Snowden warnten beide vor Zensur als Einfallstor zur Überwachung. Snowden mahnte in seiner kurzen schriftlichen Ansprache an die Konferenzteilnehmer, damit ein Filtersystem funktioniere, müsse der lokale Datenverkehr darüber geschleust werden. "Das FIltersystem ist ein natürliches Ziel für staatliche Geheimdienste." Über das gehackte Filtersystem erlangten die Spione bequem Zugang zu allen Kommunikationsströmen, die über das System laufen.

"Eine einzige Sicherheitslücke oder eine gezielt platzierte Hintertür im Filtersystem genügt, um es von einem Werkzeug lokaler Unterdrückung zu einem trojanischen Pferd für die Ausspähung durch ausländische Geheimdienste zu machen", so die Mahnung des Ex-NSA-Mitarbeiters.

Assange wies noch auf einen anderen Zusammenhang hin: Die Einführung von Zensur gegen Minderheiten, so der Australier, sei praktisch immer der Einstieg. So werden in der Türkei unter anderem Informationen oder Angebote von Schwulen und Lesben gefiltert; selbst Parlamentarier hätten solche Angebote eine Zeit lang nicht zu sehen bekommen. Laut dem prominenten türkischen Juristen Yaman Akdeniz von der Bilgi-Univesität sind mindestens 50.000 Seiten gesperrt. (vza)