Hintergrund: Schlupflöcher in Microsofts Verhandlungsangebot?

Das Kompromiss-Angebot, mit dem Microsoft den Anti-Trust-Prozess außergerichtlich beilegen will, lenkt geschickt vom Kern des Verfahrens ab.

vorlesen Druckansicht 51 Kommentare lesen
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Wolfgang Stieler

Nach Berichten von US-Medien hat der vorsitzende Richter im Microsoft-Prozess, Thomas Penfield Jackson, den Kontrahenten noch einmal eine Verhandlungsfrist bis zum 6. April eingeräumt. Obwohl weder Microsoft noch das US-Justizministerium den Verlauf der außergerichtlichen Verhandlungen offiziell kommentieren, wetteifern Beobachter in der Interpretation von Informationshappen, die gut informierte Kreise fallen lassen.

Nach diversen US-Medienberichten soll vor allem ein "sehr technisch formuliertes" Kompromiss-Papier von Microsoft Bewegung in die fest gefahrenen Verhandlungen gebracht haben. Danach soll der Software-Riese angeboten haben, Computerherstellern den Quellcode für Windows zu geben mit der Erlaubnis, ihn zu verändern. Damit sollten sie in die Lage versetzt werden, Software anderer Firmen in das System zu integrieren. Darüber hinaus habe Microsoft angeboten, eine Windows-Version ohne den hauseigenen Internet Explorer auszuliefern. Außerdem habe das Unternehmen sich bereit erklärt, die Entwicklerschnittstellen (API) für Windows vollständig offenzulegen, einschließlich bisher undokumentierter Details.

Ganz abgesehen davon, dass die Microsoft-Anwälte sich im Prozess zunächst sehr viel Mühe gegeben haben, zu beweisen, dass Windows ohne den Internet-Explorer eigentlich gar nicht vernünftig laufen kann, kommt die Besinnung reichlich spät. Eine Abtrennung des IE aus Windows 98 wäre zwar für die Klägerseite ein symbolischer Sieg – schließlich hatte der Streit um die zwangsweise Verknüpfung von Browser und Betriebssystem den Prozess ins Rollen gebracht – aber das Angebot kommt nun erst, nachdem die Redmonder mit ihrem Softwarebündel den Browser-Markt aufgerollt haben. Für die grosszügig angebotene Offenlegung der APIs gilt Ähnliches. Auch die Veröffentlichung bisher "undokumentierter" Software-Schnittstellen ist wenig wert, wenn Microsoft nicht in Zukunft explizit darauf verzichtet, neue undokumentierte APIs ins Betriebssystem einzubauen. Die Einschätzung des Kompromiss-Papiers als "sehr technisch formuliert" lässt vermuten, dass die Redmonder Anwälte noch viele solche scheinbar grosszügigen Angebote, Schlupflöcher und juristische Fallstricke dort eingebaut haben.

Die Klägerseite könnte in Versuchung geraten, einen raschen Abschluß der außergerichtlichen Verhandlungen als tagespolitischen Erfolg zu verkaufen – zumal die Klägerfront bröckelt. Diese Schwäche wird von den Microsoft-Verhandlungsführern anscheinend geschickt ausgenutzt. Der Streit um die richtige Formulierung in den Einigungsverhandlungen betrifft, wie es aussieht, hauptsächlich Microsofts vergangene Verfehlungen während des Browserkriegs. Über den zukünftigen Erfolg des Software-Imperiums dürfte aber in anderen Märkten entschieden werden. (wst)