Helfende Roboter und die Frage der Schmerzen

Je stärker Roboter sind, desto nützlicher – aber auch gefährlicher – können sie sein. Die Standard-Organisation ISO soll jetzt klären, wo die Grenzen für Maschinen sind, die direkt neben Menschen arbeiten.

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Von
  • Tom Simonite

Je stärker Roboter sind, desto nützlicher – aber auch gefährlicher – können sie sein. Die Standard-Organisation ISO soll jetzt klären, wo die Grenzen für Maschinen sind, die direkt neben Menschen arbeiten.

Darf ein Roboter einem Menschen wehtun? Mit dieser schwierigen Frage müssen sich die Entwickler neuartiger Industrieroboter, die in Fabriken direkt neben Menschen arbeiten, beschäftigen. Die als "kollaborative Roboter" bezeichneten Maschinen könnten menschlichen Arbeitern zum Beispiel Werkzeuge anreichen oder ihnen dabei helfen, Teile auf einem Fließband zusammenzufügen.

Derzeit wird an den ersten Sicherheitsstandards für die neuen Roboter-Kollegen gearbeitet. Denn bestehende Richtlinien von Behörden wie der U.S. Occupational Safety and Health Administration gehen davon aus, dass Roboter nur dort arbeiten, wo keine Menschen in der Nähe sind. Aus diesem Grund werden kollaborative Maschinen derzeit fast nur bei kleineren Firmen eingesetzt, wie Esben Ostergaard erklärt. Er ist Technologiechef bei Universal Robots, einem dänischen Anbieter von Roboterarmen, die Menschen zur Hand gehen.

Damit kollaborative Roboter tatsächlich breiten Einzug in die Produktion halten und ordentliche Gewinne erwirtschaften können, müssen sie auch von großen Unternehmen genutzt werden – und für die sind Sicherheitszertifizierungen unverzichtbar. "Bei uns lief alles prima, bis wir Kontakt zu den großen Unternehmen aufnahmen. Dann kamen all die Probleme mit Standards", sagt Ostergaard. "Es gibt keine gesetzlichen Verbote, aber die großen Unternehmen müssen sich an Standards halten." Mittlerweile arbeitet Universal Robots laut Ostergaard mit Autoherstellern wie BMW und großen Konsumgüterherstellern zusammen.

Im kommenden Jahr steht eine Aktualisierung der bisherigen Industrieroboter-Sicherheitsstandards der International Standards Organisation (ISO) an, die dann auch kollaborative Roboter berücksichtigen sollen. Diese Regeln dürften bei US- und europäischen Sicherheitsbehörden viel Beachtung finden und auf diese Weise mehr oder weniger direkt darüber bestimmen, was solche Roboter leisten können und wie sie sich einsetzen lassen.

Beispielsweise dürfte die ISO-Aktualisierung Vorgaben dazu enthalten, wie viel Kraft ein Roboter maximal auf einen mit ihm arbeitenden Menschen ausüben darf. Diese Grenzen werden auf Untersuchungen basieren, die derzeit an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vorgenommen werden. Unter anderem werden dabei Freiwillige immer höheren Kräften an 29 unterschiedlichen Körperregionen ausgesetzt, um festzustellen, ab wann sich ein Schmerzgefühl einstellt.

Anfang Oktober kam die zuständige ISO-Standardisierungsgruppe zu einem Treffen zusammen – und manche Teilnehmer sprachen sich dafür aus, dass Roboter nicht allzu zimperlich sein sollten. "Berührungen zwischen Mensch und Roboter wird es nur selten geben, und sie sind nicht Teil der normalen Nutzung. Ich würde sagen, dass es tolerabel ist, wenn in Ausnahmefällen die Schmerzgrenze überschritten wird", sagte etwa Björn Matthias, Forscher beim Schweizer Energie- und Automatisierungsanbieter ABB, der im Jahr 2015 seinen ersten kollaborativen Roboter auf den Markt bringen will.

Wenn ein Roboter Menschen "jeden Tag eine Schramme zufügen" würde, ginge das laut Matthias eindeutig zu weit. Doch wenn ein Arbeiter bei einem Unfall einen "erheblich schmerzhaften" Schlag abbekomme, sei das akzeptabel. Matthias und andere argumentieren: Übermäßig restriktive Leitlinien würden Unternehmen zu unnötig scharfen Sicherheitsmaßnahmen zwingen, was den Nutzen der direkten Mitarbeit von Robotern verringern würde.

Bisher verfügbare kollaborative Roboter, etwa Baxter von Rethink Robotics, sind relativ schwach und können nur kleine Lasten heben. Um die Ungefährlichkeit seines Produkts zu beweisen, griff der Rethink-Mitgründer Rodney Brooks bei der Erstvorstellung bei Technology Review zu einem drastisch erscheinenden Mittel: Er ließ sich von Baxter ins Gesicht schlagen.

Die aktualisierten ISO-Richtlinien werden Überlegungen dazu enthalten, wie kollaborative Roboter gefahrlos deutlich mehr Kraft ausüben können, sagt Pat Davison, Leiter für Standardentwicklung bei der Robotic Industries Association. Helfen könnte zum Beispiel eine Technologie namens "speed and separation monitoring": Laser-Sensoren verraten dem Roboter, ob Menschen in der Nähe sind. Falls nicht, kann er tendenziell gefährliche Arbeiten erledigen, wenn sich eine Person nähert, wird er zunächst vorsichtiger und hört schließlich ganz auf. "Je weiter entfernt ich bin, desto gefährlicher kann die Aktivität des Roboters sein", sagte Davidson bei dem ISO-Treffen. Auf diese Weise könnten Menschen und Roboter bei Aufgaben wie Transport und Zusammenbau schwerer Teile tatsächlich Hand in Hand arbeiten.

Zusätzlich verkompliziert wird das aktuelle Standard-Problem der Roboter-Branche vom öffentlichen Bild von Robotern, das immer noch weitgehend von Science-Fiction geprägt ist. Dieses Bild kann, zusammen mit der Neigung, neuen Technologien erst einmal weniger zu vertrauen, zu unrealistischen Erwartungen führen. Darauf verweist Phil Crowther, ein Produktmanager bei ABB: "Glauben Sie, dass Flugzeuge sicher sind? Manchmal fallen sie vom Himmel!". Dabei sei die Grundüberlegung bei fliegenden wie helfenden Maschinen eigentlich die gleiche: "Man muss das Risiko auf ein akzeptables Niveau reduzieren." (bsc)