Big Brother Awards Austria: Keine Macht Spionen

Die Big Brother Awards setzte es unter anderem für das KFZ-Überwachungsprojekt eCall, für den Gmail-Zwang in Salzburg, die Überwachung durch LG Electronics sowie Geheimverhandlungen über Staatsverträge.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 25 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Gewinner holen nur selten ihre Betontrophäe.

(Bild: Quintessenz)

Am Sonntag begeht Österreich seinen Nationalfeiertag. Am Vorabend steigt traditionell die Gala zur Verleihung der Big Brother Awards Austria. Die Jury vergab die Negativpreise diesmal unter dem Motto "Keine Macht Spionen" an die Universität Salzburg, Facebook, LG Electronics, die österreichische Bildungsministerin sowie zwei scheidende EU-Kommissare. Das Volk schmähte die Geheimverhandlungen über TTIP und CETA.

Der Sonderpreis für das "lebenslange Ärgernis" gilt der elektronischen Krankenakte ELGA. Nur wenn der Patient seinem Arzt vertraut, kann der Arzt alle notwendigen Informationen erhalten. Daher ist der Datenschutz im Gesundheitsbereich ausnehmend wichtig. Leider taucht das Thema fast jedes Jahr bei den österreichischen Big Brother Awards auf. Nicht weniger als drei Preise und neun weitere Nominierungen gab es seit 1999.

Die Republik Österreich möchte die Gesundheitsdaten aller Einwohner zentral elektronisch sammeln. Diese "Elektronische Gesundheitsakte" (ELGA) wird als Empowerment der Patienten angepriesen. Das Volk vergab dafür bereits 2012 einen Big Brother Award. Die Jury hat ELGA nun als "lebenslanges Ärgernis" erkannt und den entsprechenden Sonderpreis zugeteilt.

In der Kategorie "Business und Finanzen" kam die Universität Salzburg zur zweifelhaften Ehre eines Big Brother Award. "Studenten wie Mitarbeiter sind gezwungen, ihre Kommunikation und Arbeit mit den Tools und Services von Google (…) zu erledigen", hat die Jury festgestellt. Dazu gehören Gmail und die Apps für Education. Der Uni waren eigene Dienste zu teuer. Ursprüngliche Zusagen hinsichtlich Datenschutz haben sich als heiße Luft entpuppt.

Auf den Pranger für "Globalen Datenhunger" wurde der alte Bekannte Facebook gestellt. Anlass war diesmal das A/B-Testing. "Der Nachrichtenstrom und die Darstellung der Postings wurden gezielt manipuliert um die emotionalen Auswirkungen von positiven beziehungsweise frustrierten Meldungen auf das Seelenleben jedes Einzelnen zu untersuchen", halten die Preisrichter fest. Sie waren vom Veranstalter Quintessenz zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit eingeladen worden.

Georg Markus Kainz ist Obmann des veranstaltenden Vereins Quintessenz.

(Bild: Joanna Pianka)

Besondere Neugier über das Familienleben von Kindern brachten der Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) den Award der Sparte "Behörden und Verwaltung". Die durch Skandale bekannte, staatseigene BIFIE GmbH hatte an alle öffentlichen und privaten Volksschulen Fragebogen verschickt. Alle Schüler der vierten Klassen mussten nicht nur ihre fachlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen, sondern auch Informationen über ihre privaten Verhältnisse preisgeben. "Kinder sollten nicht angestiftet und gezwungen werden, Daten über das Elternhaus preiszugeben", meint dazu die Jury, "Keine Macht den Spionen."

Smart-TVs von LG Electronics sind nur dann "smart", wenn der Kunde Daten preisgibt. Dazu gehört auch, dass die vollständige Dateiliste jedes angeschlossenen Datenträgers unverschlüsselt über das Internet an LG gesendet wird. Das betrifft etwa USB-Sticks, Festplatte und Handys mit Filmen oder Bildern. "Da fällt es kaum noch ins Gewicht, das auch das Fernsehverhalten und der Abruf von Zusatzinformationen ausgewertet werden", feixen die Preisrichter.

Für Neelie Kroes und Siim Kallas gab es ein räudiges Abschiedsgeschenk. Die zum Monatsende aus dem Amt scheidenden EU-Kommissare für die Digitale Agenda respektive Verkehr heimsten den Politik-Preis ein. Denn sie haben sich besonders für die flächendeckende KFZ-Verwanzung eingesetzt. Offiziell dient sie automatischen Notrufen bei Verkehrsunfällen.

"Die Autobauer werden gezwungen, mit eCall ein nicht zu deaktivierendes behördlich vorgeschriebenes Gerät in jeden Neuwagen einzubauen, das die aktuelle Standortposition per Mobilfunk weitergeben kann", heißt es in der Begründung, "Noch bevor das erste Gerät montiert wird, entwickeln behördliche Überwacher und die Glücksritter des digitalen Zeitalters mit feuchten Augen Zusatznutzen für diesen ungeahnte Datenquelle digitaler Überwachung." Auch bei den deutschen Big Brother Awards war eCall zum Zug gekommen.

Auch die Öffentlichkeit kürt jährlich einen Preisträger. In einer online und pseudonym durchgeführten Volkswahl kamen die geheimen Vorbereitungen zu Freihandelsabkommen am Schlechtesten weg. Die EU verhandelt schon lange mit Kanada über CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) sowie den USA über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Doch in welche Richtung die Vertreter der EU-Nationen gehen, verraten sie den Bürgern nicht. Ziele und Stand des diplomatischen Feilschens sind geheim.

Dabei könnten diese Abkommen die Möglichkeit, Gesetze nach dem Wunsch des Volkes zu erlassen, erheblich einschränken. Wie die Big-Brother-Volkswahl zeigt, gefällt das den Österreichern nicht. Ihr Nationalfeiertag geht übrigens auf ein Gesetz zurück: Am 26. Oktober 1955 hat ihr Parlament das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität des Landes beschlossen. (ds)