Smart Work
Ist man nun ohne Büro und Kernarbeitszeit produktiver als mit? Die Schlacht um die Präsenz-Frage ist in vollem Gang.
- Peter Glaser
Ist man nun ohne Büro und Kernarbeitszeit produktiver als mit? Die Schlacht um die Präsenz-Frage ist in vollem Gang.
Im Arbeitsleben des 21. Jahrhunderts geht es hin und her. Erst heißt es: Telearbeit! Jeder der will, kann zu Hause arbeiten oder wo auch immer er möchte. Es geht nicht mehr um Anwesenheitspflicht und Zeiterfassung, sondern um Resultate. Die Produktionsmittel der Informationsgesellschaft, Laptop und Smartphone, kann man sich mitsamt Software-Tools und Apps einfach unter den Arm klemmen oder in die Jackentasche stecken. Man fährt nicht mehr zur Arbeit und kommt erledigt nach Hause, sondern die Arbeit kommt durch die Datenleitung oder per WLAN angefahren und begibt sich danach erledigt wieder zurück.
Aber dann kommt die neue Yahoo!-Chefin Marissa Mayer und ordnet an, dass alle Teleworker wieder in die Firma müssen – so geschehen im Sommer letzten Jahres. Das sei besser für's "Team Building". Und es gebe da, schrieb sie den rund 11.500 Mitarbeitern ins Stammbuch, "diese besondere Magie", wenn Leute einander persönlich begegnen.
Nicht nur Menschen, die täglich viel Zeit im Berufsverkehr verplempern, fragten sich, was hinter dieser Anordnung steckte, die viele Yahoolinge als Rückkehr in die Legebatterie empfanden. "Um der absolut beste Arbeitsplatz zu werden, sind Kommunikation und Zusammenarbeit besonders wichtig", schrieb Mayer in einem Memo an die Mitarbeiter. "Wir müssen daher Seite an Seite arbeiten. Aus diesem Grund ist es unumgänglich, dass wir alle in unseren Büros anwesend sind."
Es hatte Fälle von Missbrauch beim Teleworking gegeben. Einer der bekanntesten war ein Programmierer namens "Bob", Mitarbeiter bei einem amerikanischen Netzwerkausrüster. Er reichte seinen Sicherheitsschlüssel, den er für die Telearbeit bekommen hatte, an eine chinesische Firma weiter, die seine Software-Entwicklungsarbeit übernahm. Während die Chinesen – für wesentlich weniger Geld, als er dafür bekam – seine Arbeit machten, schaute er sich Katzenvideos an, stöberte bei eBay – und bekam begeisterte Reaktionen auf seine "Arbeit". Wobei das Problem nicht ist, ob die Mitarbeiter zu Hause oder im Büro sitzen. Die Frage ist, wie man sich um seine Mitarbeiter kümmert; wie sie gemanaged und beaufsichtigt werden.
Gleich nach Yahoo hatte das wirtschaftlich angeschlagene Elektronik-Handelsunternehmen Best Buy angekündigt, gleichfalls seine flexiblen Arbeitsplatzregelungen am Hauptsitz des Unternehmens aufzuheben und mit den 4000 Verwaltungsmitarbeitern zur traditionellen 40-Stunden-Woche im Büro zurückzukehren. Das war umso ungewöhnlicher, als Best Buy internationale Aufmerksamkeit zuteil geworden war, als die Firma 2005 ein Programm namens Results Only Work Environment (ROWE) begonnen hatte. Dabei mussten Mitarbeiter nur noch die geforderten Arbeitsresultate erbringen und waren fortan weder an feste Arbeitszeiten noch an eine Anwesenheitspflicht im Büro gebunden.
Und nun kommt Microsoft und nimmt sozusagen die Zurücknahme zurück – los, alles wieder raus aus den Büros! Anfang Oktober wurde der Grundstein für die neue Deutschland-Zentrale des Software-Giganten in München gelegt. Zwar werden auf sieben Etagen insgesamt 26.000 Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung stehen. Für die rund 1900 Mitarbeiter würde es trotzdem knapp, wenn alle kämen, denn die Zahl der fest installierten Arbeitsplätze wurde deutlich reduziert. "Die Art des Arbeitens hat sich verändert", sagt Deutschland-Chef Christian Illek. "Man ist weg vom stationären Arbeitsplatz."
Microsoft hat stattdessen für seine Beschäftigten feste Arbeitsplätze mit Anwesenheitspflicht abgeschafft. Künftig gibt es einen "Vertrauensarbeitsort", das heißt, den Mitarbeitern bleibt selbst überlassen, ob sie von unterwegs, von zu Hause oder vom Büro aus arbeiten. Auch feste Arbeitszeiten gibt es keine mehr. (So neu wie es in der Pressemeldung anlässlich des Baubeginns klingt, ist der Ansatz aber nicht. Feste Arbeitszeiten hat man bei Microsoft schon 1998 abgeschafft.)
Mit ein Grund für das großzügige Angebot mag auch die Entscheidung gewesen sein, sich in Deutschland auf drei Hauptstandorte in München, Köln und Berlin zu konzentrieren. Niederlassungen in drei anderen Städten werden aufgelöst – ohne die freie Arbeitsplatzwahl wäre wohl mit erheblichem Unmut zu rechnen gewesen.
Ist Telearbeit nun gut für die Produktivität oder nicht? Eine neue Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Professor Ravi S. Gajendran von der Universität Illinois sagt ja – mit Einschränkungen. "Als Yahoo seine Regeln geändert hat, gab es eine breite Debatte zu dem Thema, aber es gab kaum Untersuchungen und handfeste Daten. Wir haben jetzt Material, das darauf hinweist, dass Telearbeiter gute Leistungen bringen und auch gute Teamplayer sind."
Eine speziellere Studie über Software-Entwickler, die das Massachusetts Institute of Technology (MIT) gemeinsam mit IBM durchgeführt hat, ergab ein etwas anderes Bild. Demzufolge benutzen Programmierer, die zu Hause arbeiten, beispielsweise seltener Code, den Kollegen entwickelt haben, was bei manchen Projekten die Entwicklungszeit um bis zu einem Drittel verlängerte.
Im Vorwort ihres Buchs "Das Smarter Working Manifest", in dem der Technologieexperte Guy Clapperton und der Plantronics-Manager Philip Vanhoutte die Frage "Wann, wo und wie sie am besten arbeiten" einer Generalbetrachtung unterziehen, fasst der Autor Markus Albers die positiven Folgen der bürolosen Arbeit – jedenfalls was Ideenberufe angeht – zusammen: "Weder stimmt das Klischee des einsiedlerischen Genies, das in der Isolation seine größten Werke schafft. Noch kann unter dem täglichen Dauerfeuer der Ablenkung, wie wir es am Arbeitsplatz erleben, wirkliche Kreativität entstehen."
Nach Untersuchungen der Universität St. Gallen haben wir 80 Prozent unserer neuen Ideen außerhalb des Arbeitsplatzes. Also zu Hause oder unterwegs. (bsc)