Streitgespräch: Müssen wir Google zerschlagen?

Im Digitalzeitalter entstehen in rasender Geschwindigkeit gefährliche Monopole, warnen Kommentatoren deutscher Zeitungen. Muss der Staat Google, Amazon und Facebook in die Schranken weisen?

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Im Digitalzeitalter entstehen in rasender Geschwindigkeit gefährliche Monopole, warnen Kommentatoren deutscher Zeitungen. Muss der Staat Google, Amazon und Facebook in die Schranken weisen?

Die Kontrahenten: Justus Haucap ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf und leitet dort das Institut für Wettbewerbsökonomie. Von 2008 bis 2012 war Haucap Vorsitzender der Monopolkommission, der er bis Juli 2014 angehörte. In der Öffentlichkeit ist er unter anderem als scharfer Kritiker des Leistungsschutzrechts aufgetreten.

Jan Philipp Albrecht sitzt seit 2009 für Bündnis90/Die Grünen im Europaparlament. Der Jurist, der stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses ist, setzt sich schwerpunktmäßig für den Schutz der Bürgerrechte ein. Zurzeit ist er Berichterstatter des Europäischen Parlaments für das in der Verhandlung befindliche Datenschutzrahmenabkommen zwischen der EU und den USA.

Technology Review: Die Position in den Google-Suchergebnissen entscheidet vielfach über den Erfolg von Unternehmen. Der Digitalkonzern erschafft sich ein Imperium von Smartphones über autonome Autos bis Smart-Home-Anwendungen, an dem immer weniger Menschen vorbeikommen – und mit ihren Daten bezahlen müssen. Herr Haucap, ist Google zu mächtig?

Justus Haucap: Speziell in Deutschland wird die Diskussion primär befeuert von den traditionellen Print-Häusern, insbesondere dem Axel-Springer-Konzern. Das hat weniger direkt mit Google zu tun, sondern mit dem Problem, dass die Digitalisierung das Modell der alten Zeitung kaputtgemacht hat. Die zahlenden Leser und die Anzeigen sind weg. Für die Presse ist das eine schreckliche Sache, und wenn es für die Presse eine schreckliche Sache ist, dann auch für Politiker. Das treibt die Diskussion momentan mehr als die Angst der Bürger.

Wenn ich meine Studierenden frage oder die Leute in der Eckkneipe, ob Google nicht ganz schrecklich ist, antworten die: "Sag mal, tickst du noch richtig? Das ist doch 'ne tolle Sache!" Google ermöglicht vielen Leuten Geschäfte, die sie in der Vergangenheit nie hätten tätigen können. Die Digitalisierung ist wunderbar für den Wettbewerb, weil die Eintrittsbarrieren auf vielen Märkten stark gesunken sind und Mini-Unternehmen plötzlich global agieren können. Es gibt sicherlich bestimmte Branchen, wo leicht eine gewisse Abhängigkeit entstehen kann. Die Gefahr wird aber gern übertrieben.

TR: Stimmen Sie zu, Herr Albrecht?

Jan Philipp Albrecht: Das Marktumfeld zeigt derzeit, dass Google einen sehr großen Einfluss besitzt. Das Unternehmen hat einen Markt geschaffen, von dem ganze Wirtschaftszweige profitieren. Daraus entsteht aber auch eine sehr große Abhängigkeit. Allein deshalb muss man reagieren. Es muss nicht zwangsläufig nach der Frage "Monopol oder nicht?" gehen, sondern danach, ob sich Unternehmen in diesem Marktumfeld überhaupt noch frei bewegen können.

Haucap: Man muss doch erst einmal identifizieren, wo genau diese Abhängigkeiten vorhanden sind. Robert Maier klagt in einem langen Beitrag in der "FAZ", dass seine im Wesentlichen zu Axel Springer gehörenden Shopping-Plattformen nicht überleben können, weil Google sie so weit hinten in den Suchergebnissen listet. Aber es gibt natürlich unzählige dieser Shopping-Plattformen, und jede wäre gern auf Seite eins. Jetzt sagt die Europäische Kommission: Okay, ihr dürft nicht nur Google Shopping anzeigen, sondern müsst direkt daneben noch drei andere Shopping-Portale stellen. Das fand ich gar keinen schlechten Kompromiss.

TR: Kompromiss oder neue Geldquelle für Google? Für die Plätze müssen die Anbieter schließlich bezahlen.

Haucap: Wie soll man denn die Plätze sonst zuteilen? Zufällig, ohne Rücksicht auf Beliebtheit? Oder abgestimmt mit so einer Art Rundfunkrat – mit Gewerkschaften, Kirchen und allen Beteiligten? Google hat sicherlich Anreize, sich selbst zu bevorzugen und mit eigenen Inhalten vorzudrängeln. Aber als Abhilfe ein behördliches Genehmigungsverfahren mit einer real existierenden Behörde stelle ich mir gruselig vor. Das wären ja chinesische Verhältnisse.

Google hat seinen Suchalgorithmus im letzten Jahr angeblich 900-mal verändert. Wenn die behördliche Begutachtung so funktioniert wie beim Eisenbahnbundesamt, ist der technische Fortschritt tot. Dann werden die Suchmaschinen demnächst in Moskau oder was weiß ich wo entwickelt, aber nicht mehr in Europa und den USA.

Albrecht: Ich halte den Kompromiss, den der EU-Wettbewerbskommissar vorgeschlagen hat, nicht für ausreichend. Im Übrigen finde ich es hanebüchen, wie einige Unternehmen, insbesondere Google, in der öffentlichen Debatte so tun, als dürfe es keine Regulierung geben. Zu sagen, dass jegliche Regulierung chinesischer Repression gleichkommt, ist vollkommen unangebracht. Wir müssen überlegen, wie wir gemeinsam Regeln für den digitalen Markt schaffen, ohne dass unfaire Ungleichbehandlung stattfindet und individuelle Grundrechte oder wichtige Verbraucherrechte übergangen werden.

TR: Was meinen Sie konkret?

Albrecht: Wir müssen etwa die Frage klären, wie neutral Suchmaschinen ihre Dienste anbieten müssen. Und es geht natürlich auch um Datenschutz sowie Meinungs- und Informationsfreiheit. Für den Einzelnen ist Google eine weiße Webseite mit einem Eingabefeld und ein paar bunten Buchstaben. Niemand versteht, was dahinter mit den eingegebenen Daten passiert.

Es gibt keine Behörde oder andere Form der Aufsicht, die diese algorithmischen Prozesse einsehen darf. Hier muss die Politik dafür sorgen, dass ich als Individuum einem Multimilliardenkonzern wie Google wieder auf Augenhöhe gegenübertreten kann. So haben wir es beim Finanzmarkt auch gemacht. Wir haben gesagt: Bestimmte Berechnungsalgorithmen im Finanzmarkt sind illegal. Die wollen wir so nicht akzeptieren. Also beseitigen wir sie. Und damit wir sie beseitigen können, muss es jemanden geben, der in diese Algorithmen reinguckt.

TR: Herr Haucap, ist das Regulierungswut?

Haucap: Regeln werden immer von denen gemacht, die davon profitieren. Wie viele Leute befassen sich schon mit den Details zur Regulierung einer Branche? Davon versteht der normale Bürger viel zu wenig. Aber diejenigen, die viel davon verstehen, wissen, wie sie die Regeln gestalten müssen, dass sie ihnen nutzen. Nun kommen neue Firmen wie Google oder auch Amazon, die naturgemäß nicht dabei waren, als die Regeln geschaffen wurden. Sie tun Dinge, die eine hinreichende Zahl von Nutzern gut zu finden scheinen.

Prompt wehren sich die Alten mit Händen und Füßen. Das war immer schon so. Als Rowohlt das Taschenbuch eingeführt hat, haben die Leute vor der Proletarisierung des Buchwesens gewarnt. Da muss man sich durchaus fragen: Wird es wirklich so schrecklich sein, wenn Amazon E-Books jetzt noch mal billiger macht?

TR: Gut, dass Sie Amazon ansprechen. Wir wollen ja nicht nur über Google reden, sondern über eine gefährliche Tendenz in der digitalen Wirtschaft generell: Der Gewinner bekommt alles. Ist das kein Problem?

Haucap: Amazon hat 25 Prozent Marktanteil in Deutschland, so groß sind sie auch wieder nicht. Im Buchhandel ist es doch so: Jeder hat über das Copyright eine Art Mini-Monopol auf seine Werke. Natürlich existieren Bücher, die vielleicht austauschbar sind, Kochbücher etwa. Aber Romane?

Wenn ich "Der Circle" lesen will, sage ich ja nicht: Ach, der ist mir zu teuer, ich kaufe lieber den Harry Potter. Mit dem Internethandel haben Menschen selbst an Orten ohne Buchhandlung ein Sortiment, das sie vorher nie hatten. Soll ich nun sagen: Der Internethandel wird wegreguliert, damit die Buchhandlung in Hintertupfingen bestehen bleiben kann? Und wenn ja: Wer trifft diese Entscheidung?

Albrecht: Da muss ich dann doch einhaken. Freuen sich die Menschen etwa darüber, dass Tausende von Mitarbeitern im Buchhandel entlassen werden und Amazon alleinig profitiert?

Haucap: Gegenfrage: Warum muss ich dafür sorgen, dass eine Buchhandlung Geld verdienen kann, wenn ich keinen Vorteil davon habe?

TR: Geschieht also alles im Sinne der Nutzer?

Haucap: In Teilen ist es so. Amazon hätte sich bestimmt nicht gegen den Willen der Nutzer durchgesetzt.

TR: Das Argument führen auch Google und Facebook an. Wirklich zu Unrecht, Herr Albrecht?

Albrecht: Dem Problem ist nicht mit dem Ansatz beizukommen: Da, wo die Leute hingehen, liegt die Lösung. Gerade bei der jüngeren Generation läuft die meiste Kommunikation über WhatsApp oder andere Internetdienste. Sie sind weitestgehend darauf angewiesen, so wie die Generationen vor ihr auf die Post oder das Radio. Die Frage ist also: Können jene, für die Facebook oder WhatsApp eine soziale Infrastruktur darstellt, bestimmte Regeln einfordern oder auf bestimmte Regeln vertrauen?

Hier muss man sagen: Das ist derzeit überhaupt nicht der Fall. Im Moment haben wir ein massives Ungleichgewicht zwischen dem, was die Nutzerinnen und Nutzer von diesem System wissen, und dem, was das System über die Nutzer weiß. An dieser Stelle hat die Politik über Jahre hinweg versagt.