Einführung in barrierefreie Software

Wenn es um gute Software geht, wird in der Regel neben der reinen Funktionalität Usability als die wichtigste Anforderung gesehen. Allzu oft wird dabei jedoch die Barrierefreiheit wissentlich oder unwissentlich ignoriert oder auf "behindertengerecht" verengt. Ein großer Irrtum ...

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Von
  • Pierre Heim
Inhaltsverzeichnis

Wenn es um gute Software geht, wird in der Regel neben der reinen Funktionalität Usability als die wichtigste Anforderung gesehen. Allzu oft wird dabei jedoch die Barrierefreiheit wissentlich oder unwissentlich ignoriert oder auf "behindertengerecht" verengt. Ein großer Irrtum ...

Zwei Artikel sollen zeigen, was sich hinter barrierefreier Software wirklich verbirgt. Zunächst werden hier einige Hintergründe erläutert, anschließend im zweiten Teil der Fokus auf die Praxis mit Beispielen, Werkzeugen und einen Blick in die Anwendungsarchitektur gelenkt.

Um zu verstehen, wie es zu der häufigen Gleichsetzung der Begriffe "barrierefrei" und "behindertengerecht" im Kontext der Softwareentwicklung kommt, muss man einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Bezeichnung "barrierefreie Software" werfen. Die Fortschritte in der Informationstechnik ermöglichten die Entwicklung von Hilfsmitteln, durch die der Computer für viele körperlich behinderte Personen eine wichtige Unterstützung im Alltag wurde. Mithilfe einer Sprachausgabe und einer Braille-Zeile können Blinde beispielsweise im Internet einkaufen oder Texte lesen und schreiben. Personen mit motorischen Einschränkungen können dank einer speziellen Tastatur Eingaben tätigen und damit ihren Schriftverkehr erledigen, obwohl sie vielleicht nur wenige Finger einer Hand bewegen können.

Finger auf einer Braille-Zeile (Abb. 1)

Die Art der notwendigen Hilfsmittel ist vielseitig und an die speziellen Bedürfnisse der Betroffen angepasst. Insgesamt bieten sie eine Steigerung der Lebensqualität, da den Betroffenen hier ein Stück Selbstständigkeit im Alltag gegeben wird, bis hin zur Ausübung hochqualifizierter Berufe.

Linux-Desktop mit Bildschirmtastatur (Abb. 2)

Linux-Desktop mit aktivierter Lupe (Abb. 3)

Damit aber derartige Hilfstechniken funktionieren, müssen Webseiten und andere von diesen Personen genutzte Software so implementiert sein, dass sich je nach genutztem Hilfsmittel zusätzliche Informationen wie Elementtypen oder Darstellungsattribute auslesen lassen oder alternative Eingabeformen möglich werden.

Schreibtisch von OS X Mavericks mit invertierten Farben (Abb. 4)

Hinzu kommt die Unterstützung der verschiedenen Darstellungsoptionen, die heutige Betriebssysteme bieten, um beispielsweise einen starken Kontrast zu nutzen. Getrieben durch Interessenverbände der Betroffenen etablierte sich für diese Anforderung in den 90er-Jahren zunächst die Bezeichnung "Barrierefreie Benutzungsschnittstelle" im Allgemeinen und "Barrierefreies Internet" im Speziellen für die Gestaltung von Webseiten des sich damals immer stärker verbreitende Internets.

Damit wurde der aus dem Bauwesen bekannte Begriff "barrierefrei" aufgegriffen. Er bezeichnet bauliche Maßnahmen, durch die Personen mit körperlichen oder mobilen Einschränkungen weitgehend selbstständig Wege in und an Gebäuden sowie deren Zugänge nutzen und sich dort orientieren können. Bekannte Beispiele sind hierfür Rampen an Treppenaufgängen oder Leitsysteme für Blinde an Ampelanlagen oder Bahnsteigen

Ampelanlage mit Vibrations- und Akustiksignal, Leitsystem und abgesenktem Bordstein (Abb. 5)