Kolumbien: Straftaten online melden - ohne Lebensgefahr
Per Internet sollen Menschen in Lateinamerika ohne Repressalien kriminelle Vorfälle anzeigen können. Das soll Einflussnahme verhindern.
Vor fünf Jahren saß Santiago Villegas in seinem geparkten Wagen in Medellín, als er mit vorgehaltener Waffe überfallen wurde. Der Informatiker musste dann seine Autoschlüssel aushändigen. Er ging zur Polizei, wo die Anzeige gegen den unbekannten Täter mehrere Stunden dauerte. Villegas erkannte dabei, dass viele andere Bürger seines Landes wohl gar nicht erst zur Polizei gegangen wären: Nicht nur, weil die Anzeige eine kleine Ewigkeit benötigte, sondern auch aus Angst vor Repressalien, die in Villegas' Heimat an der Tagesordnung sind. Nur 24 Prozent aller Straftaten werden aus diesem Grund in Kolumbien gemeldet.
Um etwas gegen diesen Zustand zu unternehmen, tat Villegas das, was ihm als Informatiker möglich war: Er entwickelte eine eigene Webseite. Das "Online Safety Project" kommt bei Bürgern gut an, berichtet Technology Review. Über das Portal können Menschen innerhalb von Sekunden anonym Verbrechen melden – von Ruhestörung bis zu Mordtaten. Zeugen können die Angaben zudem gleich online bestätigen, entkräften, Beweisfotos hochladen und angeben, wenn sie ebenfalls von einer Straftat betroffen sind.
Martin Luther King habe gesagt: Wer Böses sehe und nicht dagegen protestiere, unterstütze das Böse, erklärt der Entwickler. "Er hat vielleicht nur nicht bedacht, dass in einer Stadt wie Medellín zu protestieren den Tod bedeuten kann", sagt Villegas.
Ein Medellíner Sicherheitsunternehmen hat die Entwicklung von Villegas' System finanziert, dass seit Kurzem auch in der Millionenmetropole Bogotá zugänglich ist. Angestellte überwachen die Webseite rund um die Uhr und kontaktieren die Polizei, wenn das nötig ist. Jeder Bericht wird zudem auf einem Online-Stadtplan markiert. Damit können die Bewohner einschätzen, wie sicher ihr Viertel gerade ist. (Suzanne Jacobs) / (bsc)
