iRights-Jahresrückblick: Politik und Digitalisierung fremdeln noch

Das Netz zwischen Machtverstärker und Ermächtigung der Ohnmächtigen: "Die Digitalisierung dringt weiter in alle Bereiche unseres Alltags vor", heißt es im Jahrbuch "Das Netz" von iRights. Die Politik taste sich vorsichtig, oftmals hilflos heran.

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iRights-Jahresrückblick: Politik und Digitalisierung fremdeln noch
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Inhaltsverzeichnis

Zum dritten Mal in Folge hat das Team von iRights.info einen netzpolitischen Jahresrückblick veröffentlicht. Ziel des über 270 Seiten starken Sammelbands "Das Netz 2014 – 2015" ist es, Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate anhand einer Zeitleiste nachzuzeichnen, wegweisende Geschichten aus der digitalen Welt zu erzählen und einen Ausblick in die digitale Zukunft zu geben.

Verfasst haben die Beiträge wieder Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und Aktivisten, dazu kommen Interviews etwa mit Justizminister Heiko Maas (SPD) oder dem Satiriker Martin Sonneborn, der seit Herbst für die "Partei" als EU-Abgeordneter Brüssel aufzumischen versucht.

"Die Digitalisierung dringt weiter in alle Bereiche unseres Alltags vor", schreibt Herausgeber Philipp Otto im Leitwort. Hier käme ein neues Betriebssystem auf den Markt, dort ein neues Mobilgerät. Immer mehr Menschen fragten sich, ob sie ihren Haushalt stärker vernetzten oder Online-Lernplattformen ausprobieren sollten. "Dazwischen dramatische Überschriften zu Google, zum Fahrdienst Uber, zum Thema Datenmissbrauch" und anderen netzgetriebenen Entwicklungen, "die of nur schwer in ihrer ganzen Dimension zu fassen sind".

Otto zieht weiter Resümee: Nach dem NSA-Skandal hätten die aufmerksamen Nutzer gelernt, wie wichtig Verschlüsselung sei, auch wenn es mit dem Anwenden trotzdem hapere. Selbst die Politik handele im Jahr der digitalen Agenda der Bundesregierung "jetzt scheinbar auch". Es sei ein "vorsichtiges, oftmals hilfloses Antasten an das Gefühl, dass die Digitalisierung unser Leben stärker verändern wird als gedacht". Dabei liege der Ruf nach Regulierung immer nahe.

Wie "Internet Governance" aussehen könnte, beschreibt der Internetpionier Vint Cerf im Team mit zwei jüngeren Experten. Der Grandseigneur des Netzes, der mittlerweile Google als Vordenker dient, plädiert für möglichst viel Selbstkontrolle in einem "vielschichtigen Steuerungssystem", das sich aus verschiedenen thematischen Netzwerken mit klaren Eigenverpflichtungen speise. Als Wegweiser könne das Internet Governance Forum (IGF) dienen, das einst die UN ins Leben riefen, das maßgebliche netzpolitische Entscheidungen bislang aber allenfalls vorbereitet. Dreh- und Angelpunkt müsse dabei die "universelle Einhaltung der Menschenrechte" sein.

Das klassische kartellrechtliche Repertoire von Strafzahlung und Entflechtung erweise sich zum Einschränken der Macht von Google, Facebook und Co. als wenig wirksam, ergänzt der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch. Ziel müsse es sein, Schnittstellen und Datenbanken für Dritte zu öffnen, um "Skalen- und Netzwerkeffekte" zu dämpfen.

Der Science-Fiction Autor und Blogger Cory Doctorow fürchtet dagegen, "dass Technologie die Macht der Mächtigen verstärkt". Nicht nur der Regierungen, sondern auch der Plattenfirmen, Filmstudios und Online-Vermittler. Dem spiele eine "Welt verräterischer Geräte und Netze" zu, in der man sich zwischen Orwell, Kafka und Huxley nicht mehr entscheiden müsse. Parallel erlaube es das Internet aber den bislang Machtlosen, "sich ohne große Kosten zu organisieren". Die Antwort auf die "perfekte Spionage" könne nur lauten, "sich die Informationstechnologie anzueignen und dafür zu sorgen, dass sie allen nützt".

Weitere Beiträge beschäftigen sich etwa mit den Tücken der "Sharing Economy", der durch Überwachung "manipulierbaren Demokratie" oder dem "Abschied von Karl Klammer" aufgrund des Open-Source-Vormarschs. Die "Suche nach dem besseren Menschen" durch die Roboterforschung wird in den Essays genauso beleuchtet wie die "Mogelpackung" deutscher Gesetzgebung bei der IT-Sicherheit oder "die Emanzipation der YouTuber".

Wie in den Vorjahren ist der Band gedruckt für 14,90 Euro und als E-Book für 4,99 Euro erhältlich. Erstmals gibt es eine kostenlose Leseausgabe im Web. Die Texte stehen unter Creative-Commons-Lizenzen. "Noch vor Weihnachten" soll auch das Jahrbuch von Netzpolitik.org erscheinen. Als "Dauerbrenner" stehen laut Editorial darin etwa die "Komplettüberwachung der digitalen Welt" sowie der Streit um die Netzneutralität im Fokus. (jk)